Mit zwei Konzerten treten Depeche Mode in NRW auf. Insgesamt 90.000 Menschen schauen sich die Elektro-Pioniere an. So war der Auftritt.
KonzertDepeche Mode mit „Memento Mori Tour 2023“ in Düsseldorf
Sätze, die er nicht gesagt hat: „Fletch, wir vermissen dich furchtbar“. „Du fehlst uns sehr“. „Es war ganz großartig, mit dir über 40 Jahre Musik zu machen.“ Nicht nur, was den Tod von Mitbegründer Andrew Fletcher angeht, der am 26. Mai 2022, im Alter von 60 Jahren verstarb, gibt sich Frontmann Dave Gahan, beim ersten von zwei Depeche Mode-Konzerten in der Düsseldorfer Merkur Spiel-Arena wortkarg.
Hier und da ein „Thank you“ oder, als Steigerung, ein „Thank you very much“, eine knappe Vorstellung der Band, ein „You’re alright?“, „Geht es euch gut?“, das war dann aber auch schon fast alles. Sonntag ficht das die Fans nicht an. Und auch am Dienstag wird das kaum anders sein. Denn insgesamt 90.000 Menschen zieht es schließlich nicht in diese Arena, weil sie sich hier Vorträge anhören wollen, sondern Stücke wie „Stripped“, „Enjoy the silence“ oder „Never let me down again“. Wobei speziell diese aber erst gegen Ende des gut zweistündigen Abends erklingen werden.
Depeche Mode mit 15. Album „Memento Mori“
Wer für eins von nur zwei Konzerten der Elektro-Pioniere in NRW (und nur acht Konzerten in Deutschland) ein Ticket ergattert hat, kann sich glücklich schätzen. Mit den beiden Überlebenden Dave Gahan (61) und Martin Gore (61), live unterstützt von Keyboarder Peter Gordeno und Schlagzeuger Christian Eigner, steht eine der erfolgreichsten Bands der Welt auf der Bühne. Depeche Mode haben Musikgeschichte geschrieben.
Seiner Zeit voraus
Wenn Harry Styles sich im Rock fotografieren lässt, gilt das als stilbildend. Und passt auch ins Zeitalter der Diversität. Martin Gore war, was das angeht, seiner Zeit voraus. Schon 1985 befand er: „Sexuelle Barrieren und Geschlechterrollen sind altmodisch und out. (…) Meine Freundin und ich tauschen oftmals die Klamotten oder das Make-Up.“ Einen Rock hat er in Düsseldorf auf der Bühne nicht getragen, aber er lackiert sich die Nägel immer noch schwarz. So wie 1984/85, als er mit seiner damaligen deutschen Freundin in Berlin lebte.
Das aktuelle 15. Album „Memento Mori“ fügte dem Ende März ein weiteres Kapitel an. Zwei Stücke von „Memento Mori“, „My cosmos is mine“ und „Wagging tongue“, eröffnen den Abend. Im blauen Licht puckert vorab klangewaltig die Herzschlagmaschine. Sobald Gahan und Gore die Bühne betreten, brandet gewaltiger Jubel auf. Von Weitem sieht das Jackett von Gore aus, als sei es mit Blumen gemustert. Wer den Lockenkopf näher heranzoomt, gewahrt indes: es sind Gesichter, die an Totenköpfe erinnern. Bedenke, dass du sterblich bist als Prägedruck im Anzugstoff.
Gahan dagegen kann auf derlei Plakatives verzichten. Ist er doch schon selbst dem Tod oft genug von der Schippe gesprungen. Seine Ausdrucksmittel: eine magische Stimme und sein Körper. Den er kreiseln, sich in den Hüften wiegen und sich schlängeln lässt, biegsam, federnd, Hand aufs Herz und tiefer Blick aus dunkel umrandeten Kajalaugen, derweil die Hände Bewegungen vollführen, die man sonst nur von Tempeltänzerinnen kennt.
Gahan widmet Song verstorbenem Band-Mitglied
„Sister night“ und „In your room“ geraten so nachgerade beschwörend. Wie ein Lichtstrahl bricht „Everything counts“ mit Gore am Keyboard hervor. Mit solchem Synthie-Pop deluxe, der später zunehmend düsterer und schwermütiger wurde, haben die Briten ihren Ruhm begründet. Dass die Bühne von einem großen „M“ dominiert wird, kann man von den Seiten her kaum erkennen, weil die, leider, keinen Durchblick bieten.
Auch schwarzromantische Klassiker wie das von Gore gesungene „A question of lust“ fehlen nicht. „World in my eyes“ widmet Gahan dem verstorbenen Fletch, dessen Antlitz sechsfach dabei im Zeitraffer altert. Allerdings ohne zu erklären, dass es das Lieblingsstück des Kollegen war, und dass er es geliebt hätte, jetzt dabei zu sein. In Leipzig, am 26. Mai, beim deutschen Tourauftakt war das noch drin. Aber das war auch der Todestag.
Das ganz großartige „Wrong“ läutet die Endrunde mit „Stripped“, „John the revelator“ und „Enjoy the silence“ ein. Gore und Gahan haben sich längst ihrer Jacketts entledigt, tragen Westen auf nackter Haut. Gahan, der sich immer wieder die Haare zurückstreicht, wirkt inzwischen wie durchs Wasser gezogen. Kurze Verschnaufpause vor der ersten Zugabe.
„Waiting for the night“, das beide zusammen auf dem Catwalk singen, versinkt in einem Meer der Rührung, die Gefühle schlagen haushohe Wellen, illuminiert von Tausenden von Handylichtern. Zum Schluss verbeugen sich beide sehr tief voreinander, ehe sie sich umarmen. Die zwei, die überlebt haben