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Darian auf Lit.Cologne in Köln„Mir war es wichtig, für andere Opfer von chemischer Unterwerfung zu schreiben“

Lesezeit 4 Minuten
17.03.2025, Nordrhein-Westfalen, Köln: Die Autorin Caroline Darian stellt ihr Buch "Und ich werde Dich nie wieder Papa nennen"  bei einer Veranstaltung der Lit.Cologne vor.

Caroline Darian bei ihrem Auftritt in Köln. 

Im Interview spricht die französische Autorin Caroline Darian, über ihre Bücher, in denen sie die Sexualverbrechen ihres Vaters Dominique Pélicot verarbeitet.

„Ich werde dich nie wieder Papa nennen“ heißt das Buch, in dem Caroline Darian die Entdeckung der Sexualverbrechen ihres Vaters verarbeitet. Ihr zweites Buch, „Pour que l'on se souvienne“ (auf Deutsch: „Damit man sich erinnert“) erschien jetzt zunächst auf Französisch. Vor ihrem lit.Cologne-Auftritt sprach die Autorin mit Johanna Tüntsch.

Frau Darian, Ihr erstes Buch erschien in 19 Sprachen, inzwischen haben Sie ein zweites geschrieben. Ausgangspunkt für beide sind schreckliche Verbrechen, die Ihre Familie erlitten hat. Was möchten Sie mit Ihren Büchern erreichen?

Meine Bücher sind der Versuch, ein kleines Stück der Welt zu verändern. Beim ersten Buch ging es darum, die Fakten in Worte zu fassen. Im zweiten Buch geht es um eine Wahrheit, die mir gehört und die ich teilen musste, um etwas von mir zu hinterlassen.

Der Gerichtsprozess war eigentlich vor allem der Prozess meiner Mutter. Mir war es wichtig, für andere Opfer von chemischer Unterwerfung zu schreiben, die keine Beweise für ihr Martyrium haben und nicht als Opfer anerkannt werden. Von uns gibt es viele.

Warum ist es so wichtig, als Opfer anerkannt zu werden?

Für meine persönliche Wiedergutmachung, den persönlichen Wiederaufbau. Das ist Teil des Heilungsprozesses.

Sie haben gesagt: „Wir haben eine Arbeit gemacht, die zählt.“ Was sehen Sie in diesem Zusammenhang als Ihren größten Erfolg an?

Ich glaube, das war der Startschuss für die Regierungsmission, die derzeit läuft und von der Abgeordneten Sandrine Josso geleitet wird. Sie wird uns ermöglichen, echte Ansätze für die Unterstützung von Opfern und die Sammlung von Beweisen vorzuschlagen. Ein weiterer Erfolg ist, dass man heute jeder versteht, was chemische Unterwerfung bezeichnet. Vor fünf Jahren wusste das niemand, Vorurteile gab es außerdem. Heute wissen wir, dass chemische Unterwerfung sogar im eigenen Haus passieren kann.

Sie haben die chemische Unterwerfung als ein erschreckend verbreitetes Phänomen in den Fokus gerückt. Den Fall Ihrer Mutter sehen Sie nicht als Einzelfall und fordern ein Klima des Bewusstseins. Welche Veränderungen wünschen Sie sich konkret?

Dass den Opfern noch viel mehr geglaubt wird, als es heute der Fall ist. Wenn ein Opfer die Türen einer Polizeidienststelle öffnet und sagt, dass es gegen seinen Willen missbraucht wurde, ist das kein einfacher Schritt, weil die Polizeibehörden nicht darauf eingestellt sind. Als wesentlich sehe ich den Zugang zu toxikologischen Analysen. An wen wendet man sich mit entsprechenden Bedenken, wie funktioniert das?

Es bedarf einer echten Informations- und Sensibilisierungsarbeit. Vor sieben Jahren wussten wir nichts von chemischer Unterwerfung und konnten in den ungewöhnlichen Zuständen, in denen wir meine Mutter gesehen haben, nichts erkennen. Heute wäre das anders.

Kann Frankreich im Umgang mit der chemischen Unterwerfung ein Vorbild für andere Länder sein?

Das denke ich schon, wenn dieser Regierungsauftrag von den Politikern wirklich ernst genommen wird. Die Täter sind zahlreich und bilden einen Querschnitt der französischen Gesellschaft ab.

Wie ist es mit diesem Wissen noch möglich, nicht in jedem Mann einen potenziellen Sexualstraftäter zu sehen?

Man darf nicht verallgemeinern, nicht alle Männer potenzielle Sexualstraftäter. Das Vertrauen, das ich zum Beispiel meinem Mann entgegenbringe, ist nicht beeinträchtigt und ich möchte mir auch nicht jedes Mal, wenn ich jemanden kennenlerne, sagen, dass das potenziell ein Sexualstraftäter sein könnte. Es ist richtig, wachsam zu sein und mögliche Opfer zu Nachforschungen zu ermutigen. Man sollte aber auch nicht in Paranoia verfallen.

Sie haben sich für den Schritt in die Öffentlichkeit entschieden. Haben Sie keine Sorge davor, dass es das noch schwerer macht, irgendwann wieder Ruhe zu finden?

Nein. So oder so wird die Geschichte immer Teil meines Lebens sein. Wenn man durch eine solche Katastrophe geht, ist für mich wichtig: Was macht man daraus? Mein erstes Buch war ein Logbuch, das mir geholfen hat, einen Teil der Untersuchung zu überstehen, der schwer zu bewältigen war, weil ich tief in Dominiques Verbrechen eintauchen musste.

Das zweite Buch ist für mich ein Manifest, ein Schrei des Herzens und eine Kritik an Inkohärenzen und Systemfehlern, die es nicht geben sollte. Meine Botschaften dienen der Prävention und der Sensibilisierung.

Woher nehmen Sie die Kraft, das alles zu tun?

Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich halte mich nicht für eine starke Frau, eher für eine Überlebenskünstlerin. In den Büchern spreche ich aus dem Herzen heraus und gebe alle meine Schwächen preis. Ich weiß nicht, ob ich damit eine starke Frau bin, aber ich bin authentisch. Soziale Masken habe ich schon mit dem ersten Buch abgelegt.

Gibt es für Sie und Ihre Familie noch oder wieder auch ein ganz normales Privatleben, in dem ganz andere Dinge als dieses Trauma eine Rolle spielen?

Ja, zum Glück kann ich trotzdem ein normales Leben mit meinem Sohn, meinem Mann und meinen Freunden führen. Auch, wenn ich jetzt viel reise und viele Leute kennenlerne, bin ich immer noch ein einfacher, normaler Mensch. Aber diese Geschichte ist leider mein familiäres Erbe, also kann ich nicht anders, als damit umzugehen.