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Brachial und gewaltigBritische Band Muse lässt Kölner Rhein-Energie-Stadion beben

Lesezeit 4 Minuten
09.06.2023, Köln: Das Konzert der britischen Band Muse im Rhein-Energie-Stadion.

Foto: Michael Bause

Zwei Stunden lang erwartet die Fans im Kölner Rhein-Energie-Stadion ein Klang- und Bilderrausch mit alptraumhaften Zügen, aber versöhnlichem Schluss.

Zwei Stunden lang erwartet die Fans in Köln ein Klang- und Bilderrausch mit alptraumhaften Zügen, aber versöhnlichem Schluss.

Brachial. Stark. Gewaltig. Nicht ganz so gewaltig (voll) wie 2019, als sie hier zuletzt vor 42 000 Menschen spielten. Aber annähernd. Genauso stark in der Gesamtumsetzung. Vom Sound her noch brachialer. Am Anfang zu brachial. Da überlagert die Musik den Gesang. Aber wer will schon groß motzen? Wenn Muse Freitagabend im Kölner RheinEnergieStadion auftreten… Die britische Band erzählt Rockmärchen im XL-Format.

Zwei Stunden lang erwartet die Fans ein Klang- und Bilderrausch mit alptraumhaften Zügen, aber versöhnlichem Schluss. Passend zum aktuellen Album „Will of the People“ (2022), das der Tour ihren Namen gibt. „Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein menschliches Antlitz tritt. Immer und immer wieder“, ließ George Orwell seinen Oberfolterer O’Brien in „1984“ sagen.

Einspieler erzählen Bildergeschichten

In der Bildergeschichte, die die Einspieler in Fortsetzungen zwischen den Sets erzählen, ist es riesenhafter flammendroter Minotaurus. Ein Horrorgeschöpf mit spitzen Hörnern und Augenhöhlen, in denen neongelbes Licht flackert. Eine Manifestation des Bösen. Die Figur, die vor ihm kniet, trägt unter ihrer Kapuze eine spiegelnde Maske. Mit einer Stange schlägt der Minotaurus mitten hinein. Und die Maske zersplittert. In unzählige Teile. Aber der Spiegelrebell ist nicht allein.

In einer Werkstatt, irgendwo in einem Keller, inmitten von handgeschriebenen Flugblättern, werden die Scherben wieder beschliffen und zusammengesetzt. Neue Masken für neue Kämpfer. Und es werden immer mehr. Inmitten einer dystopischen, in blutrotes Licht getauchten Häuserlandschaft laufen und springen sie durch Ruinen. Verfolgt vom Minotaurus… Wenn man sie das erste Mal erblickt, um 20.49 Uhr, im immer noch taghellen Stadion, tragen auch Matthew Bellamy (Gesang, Gitarre, Keyboards), Dominic Howard (Drums) und Christopher Westenholm (Bass) solche Spiegelmasken.

Drei Erz-Muser im Mittelpunkt

Als vierter Mann auf Tour ist Dan Lancaster (Keyboards, Gitarre, Percussion) dabei. Aber klar im Mittelpunkt stehen die Erz-Muser von 1994. Inzwischen 45, 45 und 44 Jahre alt. Auf Leinwänden sieht man sie umzüngelt von Flammen. Und hinter ihnen, in einem Kreis, miteinander verschlungen, die Initialen W, O, T, P. – gleichfalls brennend. Ist man im falschen Film, wenn man dabei an Ku-Klux-Klaner denkt? Oder denkt man genau richtig, wenn einem dabei Trumps marodierende Horden in den Kopf kommen, die das Capitol stürmten?

Definitiv lieber nicht ausmalen möchten sich diejenigen, die auf den Rängen und im dreifach unterteilten Innenraum ob der Hitze förmlich zerlaufen, wie es sich unter den Gesichtkomplettabdeckungen spielen lässt. Aber nach W, O, T, B, also „Will of the People“, ist der Maskenzwang auch gottlob schon vorbei. Vorübergehend. Leitmotivisch wird immer wieder gespiegelt. Nicht nur in den Gesichtern der Protagonisten, sondern auch in Form von sechs riesigen beweglichen flachen Spiegeln, die aus der Ferne an Smartphones erinnern und von oben bis unten mit LEDs bestückt sind.

Muse erinnern mal an Queen, mal an Coldplay

Sie gleiten hinauf und hinunter, bilden Formationen, gehen in Schräglage, fangen das Laserlicht auf und werfen es hundertfach zurück. Oder dann, wenn Frontmann Bellamy über den Catwalk auf die rechteckige Mittelbühne zustrebt, in schimmernder Komplettarmierung mit integriertem Tastenarsenal als Überzug des linken Ärmels: „Behold, the Glove“, buchstäblich umgesetzt. Getragen von seiner Vier-Oktaven-Überfliegerstimme vollbringen Muse das Kunststück, mal an Queen zu erinnern, mal an The Who, an Ultravox oder an Coldplay.

Und dabei trotzdem immer so zu klingen wie nur Muse klingen. Vom Tour-Album steht da das elfenhaft-sphärische „Verona“ gleichberechtigt neben dem kompromisslos-krachenden „We are Fucking Fucked“ – dagegen hört sich „Won’t Get Fooled Again“ so an, wie eine höfliche Aufforderung, mal darüber nachzudenken, was auf der anderen Straßenseite alles so falsch läuft. Eingeläutet von Bachs Toccata von Bellamy am Piano ist „You Make me Feel Like It’s Halloween” eine perfide Liebesballade, “Kill Or Be Killed“ dagegen das Vorzeige-Rockmonster schlechthin – mit Potential zum Klassiker.

Die alten Hits – solche wie „Bliss“, „Time Is Running Out“ oder „Supermassive Black Hole“ – fügen sich nahtlos ein in die neue Rockmär von den Spiegelrebellen und dem Minotaurusmonster. So, als hätten sie schon immer dazu gehört. Zehntausende jubeln all dem zu. Die Massen baden in Chorgesängen und Wonne, tanzen und moshen. Konfetti, das aussieht wie plustriges Plankton erfüllt die Luft. Grüne, rosa, weiße und türkisfarbene Luftschlangen flattern vom Himmel.

Flammenfontänen spucken ihren heißen Atem in die Nacht. Laser speien rote Schlieren aus, Schicht um Schicht. Ein Blutplasma-Teppich. Der Minotaurus, als gigantische Figur im Hintergrund, dominiert am Ende das Bild. Jetzt aber grau, wie zu Stein erstarrt. Rechts und links der Bühne legen sich graue steinerne Hände darum wie um eine Schale. Wolstenholme spielt Ennio Morricones „Spiel mir das Lied“-Thema mit der Mundharmonika. Das Intro zum Outro: „Knights of Cydonia“. Und Bellamy singt: „Time has come to make things right. You and I must fight for our rights. You and I must fight to survive.” Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Auch wenn er kein Ritter oder sie keine Ritterin ist.