BonnLandesmuseum zeigt „Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fremden Land“
Bonn – Ein Demonstrant protestiert: „Manöver sind Vorbereitung zum Krieg.“ Ein Kind beugt sich zum Boden, greift nach einem Plakat mit der Friedenstaube: „Atomtod bedroht uns alle. Keine neuen Atomraketen in Europa.“
Die beiden am Rand von Demonstrationen entstandenen Fotos von Martin Langer sind fast 40 Jahre alt und muten doch angesichts des Krieges in der Ukraine und der Bedrohung Europas erschreckend aktuell an. Entstanden sind sie 1984 und 1982 bei einer Demo gegen ein Nato-Manöver und beim Ostermarsch in Bielefeld.
Das Jahrzehnt startete – den traumatischen Deutschen Terror-Herbst 1977 in den Knochen – mit Demos gegen das Wettrüsten im Kalten Krieg und endete mit dem Mauerfall, dem Auseinanderfallen der Sowjetunion und der Hoffnung auf Entspannung und eine Friedensperiode in Europa. Wie trügerisch.
Aus Telefonzelle in der Ausstellung anrufen
Der Soundtrack dieses unglaublich dynamischen Jahrzehnts ?– das den Aufstieg der Grünen, der Punks und von Helmut Kohl ebenso erlebte wie den Siegeszug der Vokuhila-Frisur in West und Ost und den Untergang des Wählscheibentelefons – reicht (angereichert durch die 1970er) von Ideal, über Tangerine Dream bis zu den Sex Pistols und Bob Dylans „Desire“.
Vierhundert Plattencover hängen auf dem Weg zur Ausstellung „Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fremden Land“ des LVR-Landesmuseums Bonn in einer Lounge, auf deren Tischen Walkmen mit den Hits des Jahrzehnts liegen. Wer will, kann eine Telefonzelle betreten und von dort in der Ausstellung anrufen – dort klingelt ein Wählscheibentelefon.
Mit viel Liebe zum Detail wird hier ein Jahrzehnt rekonstruiert. In bewährter Kooperation mit der Deutschen Fotothek und der Stiftung F.C. Gundlach hat das Landesmuseum ein atemberaubendes Zeit-Panorama auf die Beine gestellt. Für Lothar Altringer, Ausstellungs- und Sammlungsdirektor des Hauses, ist es die letzte Ausstellung vor dem Ruhestand. Für den neuen Chef des Landesmuseums, Thorsten Valk, ist es seine erste Ausstellung in Bonn.
Beleuchtung aus sieben Perspektiven
Aus sieben Perspektiven werden die Jahre kurz vor und nach 1980 beleuchtet, zwei Fotografinnen, fünf Fotografen, aus dem Westen und dem Osten. Politisches, Gesellschaftliches, Künstlerisches – auch ein Stück Provokation: Angela Neuke, Chronistin der Bonner Republik, stellt in ihrer Fotostrecke „Deutscher Herbst 1977“ Bilder der Beerdigung des durch RAF-Terroristen ermordeten Hanns Martin Schleyer neben Bilder der zwei Tage später erfolgten Beisetzung der RAF-Chefs Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe nach deren Selbstmord.
Momente einer zugleich lähmenden wie aufgewühlten Stimmung. Neuke begleitet den Aufstieg der Grünen, den politischen Alltag in Bonn, macht aber auch eine Homestory über Roberto Blanco.
Ähnliche Bandbreite wie ihre Frankfurter Kollegin Barbara Klemm von der FAZ, der von der Wahl zur Miss Rhein-Main bis zum Lebensalltag einer türkischen Familie bis zu eskalierenden Demo, zum innigen Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker und zum glücklich vereidigten Kanzler Kohl im Bonner Plenarsaal kein Thema fremd ist.
Ein Porträt der DDR wird in Bildern festgehalten
Mahmoud Dabdoub, aus dem Libanon stammender Palästinenser, seit 1981 in Leipzig, legt ein fantastisches Porträt der Menschen in der DDR vor, zeigt Ost-Punks und knutschende Jugendliche, Arbeiter und Passanten, Fassaden und Schaufenster in Leipzig, den Mann, der auf der Beethovenstraße seinen Trabi repariert.
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Ein Exot in der Schau ist der Modedesigner, Schauspieler und Fotograf Ingolf Thiel, der Glamour in das 80er-Septett bringt und mit seinen artifiziellen Collagen und Porträts den Zeitgeist des Jahrzehnts gut erfasst. Von hier zu den Plattencovern der 1980er ist es nur ein kleiner Schritt. Insgesamt eine sehenswerte, sehr aktuelle Ausstellung.
Die Ausstellung „Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fremden Land“ läuft bis 14. August im LVR-Landesmuseum Bonn. Di-So 11-18 Uhr.