Der österreichische Autor Tonio Schachinger ist Träger des Deutschen Buchpreises 2023. Stefan Lüddemann sprach mit dem 31-Jährigen.
Autor Tonio Schachinger im Interview„Gaming ist eine dominante Kunstform“
Ihre Reaktion bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises war zurückhaltend. Andere Gewinner haben aus ihren Dankreden eine Performance gemacht, wie Kim de l´Horizon im letzten Jahr.
Ich habe die Zeremonie als sehr anstrengend erlebt. Deshalb war meine Reaktion auch so wie sie war. Ich habe bislang nur einen Literaturpreis gewonnen, den Förderpreis des Bremer Literaturpreises. Auch da habe ich mich nicht bei der Jury bedankt.
Literaturpreise verändern für Autoren viel. Wie hat der Buchpreis Ihr Leben als Autor verändert?
Er hat es kurzfristig stressiger gemacht, um es dann langfristig zu entspannen. Ich habe bald die Möglichkeit, ruhiger zu schreiben. Aber jetzt gerade geht das nicht, weil ich auf Lesereise bin. Sie schreiben wieder einen Roman? Ja, wahrscheinlich, aber das sehen wir dann. „Echtzeitalter“ erzählt die Zeit zwischen 2012 und 2020. Was hat sich Ihrer Meinung nach in dieser Zeit verändert? Es verändert sich ständig etwas. Inzwischen gibt es einen allgemeinen Fatalismus. Viele Menschen denken, dass die Welt vor dem jüngsten tragischen Ereignis noch in Ordnung war. Das war aber nie der Fall. Deshalb gibt es als Reaktion darauf auch eine starke Nostalgie. Mein Roman endet mit der Covid-Pandemie. Das war ein großer Einschnitt, ebenso wie der Krieg in der Ukraine und der Krieg im Nahen Osten tiefe Einschnitte markieren. Auch die Wahl von Donald Trump war ein solcher Einschnitt. Jeweils zuvor schien die Welt noch in Ordnung gewesen zu ein. Das stimmte aber nie.
Und in „Echtzeitalter“?
Im Roman sind es eher kleine historische Ereignisse, die bedeutsam sind wie zum Beispiel das Rauchverbot in Österreich. Dazu gehört auch die Ibiza-Affäre von 2019 um den damaligen österreichischen Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache. Aber im Vergleich zu den Ereignissen, die uns jetzt umtreiben, war das ein Operetten-Ereignis.
Wäre es sehr giftig formuliert, gerade solche Operetten-Ereignisse mit Österreich zu assoziieren?
Nein, das kann man schon.
Das Internat, das Ihre Hauptfigur Till besucht, liegt in einer ehemaligen Habsburger-Residenz. Spielen Sie damit auch auf Zeitenwenden an?
Es geht in dem Roman natürlich viel um die österreichische Geschichte, um Brüche und Kontinuitäten. In Wien verweisen viele Namen auf die imperiale Vergangenheit. Und selbst wenn man zum Beispiel das Kaiser-Franz-Josef-Spital irgendwann in Klinik Favoriten umbenennt, wie auch der 10. Bezirk heißt, bezieht sich der neue Name auf dieselbe Vergangenheit.
Geht es Ihnen damit um ein anderes Verständnis von Geschichte, das Kontinuität und Zeitenwende zusammendenkt?
Ich denke vor allem, dass in Österreich anders geschrieben wird. Das hat mit den Büchern zu tun, die gelesen werden. Österreich hat einen anderen Kanon. Alles in Österreich hat mit Kultur zu tun. Das prägt ungemein.
Sie sprechen von einem österreichischen Literaturkanon. Wie sieht denn Ihr Kanon aus?
Auf einige Titel wird ja im Roman angespielt. Was die österreichische Literatur von der deutschen unterscheidet, ist die Art, wie geschrieben wird. Es wird mehr darauf geachtet, wie die Menschen sprechen. In Deutschland entstehen viele Bücher in einem eigenartig fiktiven Deutsch, das den Eindruck erwecken soll, dass die Menschen wirklich so sprechen. Es gibt nur wenige Bücher, die die Vielfalt der dialektalen Landschaft oder der Alltagssprache abbilden.
Welche Titel fallen Ihnen denn dabei aktuell ein?
Der Roman „Sauhund“ von Lion Christ, der bei Hanser erschienen ist. Da wird Bayerisch, also Dialekt gesprochen. Bei der Lektüre ist mir aufgefallen, wie selten das in der Literatur geworden ist.
Schule kommt in Ihrem Roman nicht gut weg. Was lernt man denn in der Schule?
Man lernt in der Schule, dass man auch später noch Dinge wird machen müssen, die einen nicht interessieren. Dass man beweisen muss, imstande zu sein, diese Dinge trotzdem zu machen, auch wenn sie für das weitere Leben keine große Rolle spielen.
Aber vor allem lernt man doch, dass Schule keine Vorbereitung auf das Leben ist, sondern dass das Leben dort schon beginnt?
Ja, das kann man auch sagen. Es geht um den richtigen Umgang mit Machtdynamiken zum Beispiel. Die gibt es zwischen Lehrern und Schülern, aber auch zwischen den Kindern. In den Mikrobeziehungen ist viel Missbrauch von Macht im Spiel.
Was kann die Pädagogik dann noch bewirken?
Es gibt jedenfalls in meinem Roman wenige positive Beispiele dafür. Mein Bild von Schule hat natürlich nicht nur mit meiner eigenen Schulzeit zu tun. Ich habe ja auch selbst auf das Lehramt hin studiert und damit Schule auch aus einer anderen Sicht kennengelernt. Das reduziert sich für mich nicht auf das im Roman Geschilderte. Das soll nicht allgemein gültig sein.
Manche Literaturkritiker haben Figuren Ihres Romans mit Figuren aus „Harry Potter“ verglichen. Welche Bedeutung hat für Sie diese überaus populäre Schulgeschichte?
„Harry Potter“ ist wohl jenseits des Schulgenres die populärste Geschichte überhaupt der letzten Jahre. Harry Potter ist auch ein wenig ein Motiv in meinem Buch. Die Figur des Lehrers Dolinar bezieht sich schon sehr stark auf die Welt Harry Potters. Mein Protagonist Till hat die Harry-Potter-Romane nicht gelesen. Die Figur erschließt sich für ihn über Filme und die Computerspiele.
Ihr Buch ist vor allem ein Buch über Gamer. Computerspiele sind umstritten. Wie sehen Sie das?
Sehr positiv. Dabei ist der Begriff Gaming sehr weit. Er umfasst sehr widersprüchliche Dinge. Außerhalb der Kulturwelt hat Gaming alles andere als einen schlechten Ruf. Es ist eigentlich eine dominante Kunstform. Solche Kunstformen hatten immer mit Vorbehalten zu kämpfen.
Manche Kritiker haben empfohlen, Ihren Roman in den Schulkanon aufzunehmen, ähnlich wie Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Was halten Sie von einer solchen Empfehlung?
Dafür bin ich nicht zuständig. Das müssen sich die Bürokraten im Schulwesen überlegen.
Das beantworten Sie aber jetzt sehr elegant zurückhaltend.
Ich sehe die Aufgabe von Autoren darin, Bücher zu schreiben. Interviews zu geben, liegt schon an der Grenze. Und Empfehlungen für den Schulkanon liegen jenseits davon.
Finden Sie es richtig, Ihren Roman mit „Tschick“ zu vergleichen?
Ich habe „Tschick“ nicht gelesen. Ich habe überhaupt noch nie etwas von Wolfgang Herrndorf gelesen. Ich habe die gerade über ihn publizierte Biografie zu Hause liegen. Aber die habe ich auch noch nicht gelesen.