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Humor mit RisikofreudeJoachim Król über das Phänomen Wokeness

Lesezeit 5 Minuten
Joachim Król und Iris Berben bei der Weltpremiere des Kinofilms „791 km“ am Dienstag in München. Król spielt darin einen Taxifahrer. dpa

Joachim Król und Iris Berben bei der Weltpremiere des Kinofilms „791 km“ am Dienstag in München. Król spielt darin einen Taxifahrer.

Schauspieler Joachim Król über seinen neuen Film „791 km“, lange Taxifahrten und über Witze zwischen früher und heute.

In der Tragikomödie „791 km“, die heute im Kino startet, legt der Winter den Bahnverkehr lahm. Fünf Reisende müssen sich ein Taxi teilen. Jedes aktuelle Streitthema wird nun auf engstem Raum ausgefochten. Den Taxifahrer spielt Joachim Król. Was für ein Konflikttyp er ist, verrät der Schauspieler im Interview mit Daniel Benedict.

Herr Król, in München hat der Wintereinbruch den Zugverkehr stillgelegt – genau wie in Ihrem Film. Man könnte meinen, das Wetter wäre von Ihrer Marketingabteilung inszeniert.

Und eben hat mir jemand erzählt, dass sogar der Bundestrainer für den Weg von München zur EM-Auslosung in Hamburg dann wirklich ins Auto umsteigen musste – weil kein Flieger ging. Kein Film ist zu verrückt, als dass die Geschichte nicht wirklich passiert.

Fahren Sie selbst 791 Kilometer lieber in der Bahn, im eigenen Auto oder gar mit dem Taxi?

Ich packe nicht so gerne. Beim Auto kann man alles reinschmeißen und später überlegen, was man braucht. Bei der Bahn muss man sich vorbereiten – auch weil sie selbst nicht mehr so zuverlässig ist. Die Idee einer Bahnreise ist natürlich gut: Man steigt in Köln ein, packt das Laptop ein, geht im Speisewagen was Leckeres essen und steigt pünktlich in Berlin aus. In der Wirklichkeit hat man leider kein Internet, kommt zu spät und das einzige warme Getränk im Speisewagen ist das Bier.

Sie haben für die Interviews zum Film bestimmt ein paar gute Taxi-Anekdoten vorbereitet.

Die besten Anekdoten haben die Taxi-Fahrer selbst. Sie haben Wind von unserem Film bekommen und mir ihre Langstreckenerlebnisse erzählt. Einer hatte – wie bei uns – eine Truppe bunt zusammengewürfelter Fremder chauffiert. Zwei davon haben sich gestritten, zwei haben sich angefreundet, vielleicht sogar verliebt. Aus dem ersten gemeinsamen Urlaub haben sie ihm eine Postkarte geschickt.

Was war Ihre längste Tour?

Ich bin mal im Streit von einer Theaterprobe abgehauen, damals am Bochumer Schauspielhaus. Noch im Kostüm bin ich beim Pförtner raus, da stand ein Taxi und mit dem bin ich dann direkt nach Köln. Eine gute Stunde Fahrt. Das hat einiges gekostet – aber es musste sein. Ich wollte nur weg.

Ihr Film bringt Leute ins Gespräch, die sonst nie miteinander sprechen würden. Wo begegnen Ihnen Menschen jenseits der eigenen Blase?

Bei mir gibt es keine Berührungsängste. Ich unterhalte mich mit den Leuten in der Eckkneipe, in der Buchhandlung – ich fahre sogar Bus, seit es das 49-Euro-Ticket gibt. Auch wenn ich das Ticket wohl nicht ausnutze. Aber es ist doch schön, dass man überall einfach reinspringen kann. In Bussen werde ich aber fast nie angesprochen. Da rechnen die Leute nicht mit mir.

Ein starker Einschnitt in die Gesprächskultur war Corona. Haben Sie in der Zeit unversöhnliche Gespräche erlebt, gegen die Wand geredet, Freunde an verrückte Theorien verloren?

Die erste Corona-Phase habe ich angenehm ruhig und sehr zurückgezogen zu Hause erlebt. Einer meiner besten Freunde ist auch mein Arzt. Der hat mir das gut erklärt. Und wenn mir danach jemand gesagt hat: Du bist naiv, dich impfen zu lassen – dann habe ich geantwortet: Nein, du bist irrational. So!

Hat das Ausmaß an Irrationalität Sie auch so verblüfft?

Das hat mich verblüfft – genauso wie mich die technologische Explosion der Kommunikationswege verblüfft. Und beides hängt zusammen. Heute hat jeder seine ganz persönliche „Bild“-Zeitung in der Hosentasche. Ob das gut ist? Ich glaube nicht. Aber wir gehen leichtfertig damit um. Warum gibt man einem Sechsjährigen keinen Autoschlüssel? Damit er keinen Unfall baut. Ein Handy gibt man ihm aber – und das Kind wird einen Unfall bauen. Es wird ungute Dinge sehen und tun und sich übermäßig damit beschäftigen.

„791 km“ umkreist aktuelle Triggerpunkte. Haben die Dialoge über MeToo und Rassismus, das Klima und das Canceln auch die Kollegen-Gespräche geprägt?

Ich erinnere mich, dass ich beim Catering einen Witz gemacht habe – und sofort spürte: Mit dieser Pointe bist du bei den jungen Kollegen jetzt aber gar nicht gelandet. Ich war nicht woke genug gewesen. Und darüber haben wir dann gesprochen. Ich habe den Eindruck, dass viele mit einem Filter durch die Welt gehen. Ein Witz verlangt eine spontane Reaktion. Und dieser Moment verrutscht heute, weil die Leute vor dem Lachen nachdenken. Ein Witz, zumindest ein intelligenter, muss was riskieren. Aber man riskiert nichts mehr. Und damit verlieren wir richtig viel.

Theater setzen inzwischen in ihre Spielpläne Trigger-Warnungen, weil fast jedes Stück von etwas handelt, das Menschen retraumatisieren könnte ...

Wo soll das enden? Können Sie noch Hühnereier in die Pfanne hauen? Aus denen hätten doch Küken schlüpfen können – traumatisiert das nicht Ihre Kinder? Eine Schauspiellehrerin hat mir gerade diese Geschichte erzählt: Eine ihrer Schülerinnen hat eine Tschechow-Rolle abgelehnt. Begründung: Ich spiele keine Frauen, die so schlecht behandelt werden. Irgendwas ist da schwer am Knirschen.

Lars Eidinger wurde kritisiert, weil er Richard III. mit künstlichem Buckel spielt, ohne wirklich behindert zu sein. Beim „Bewegten Mann“ müssten Sie heute erklären, warum Sie als Hetero-Mann einen Schwulen spielen.

Aber wenn jede zweite Rolle eine Schusswaffe in der Hand hat, fragt keiner: Ist der Schauspieler denn auch privat gewalttätig? Das scheint in der menschlichen Natur zu liegen. Müssen wir da wirklich drüber reden? Das hake ich als Quatsch ab.