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„Aufbruch ins Ungewisse“Wenn Deutsche aus dem eigenen Land flüchten müssen

Lesezeit 3 Minuten
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Lehrerin Sarah hofft auf einen neues, sicheres Leben in einem anderen Land.

Köln – Europa wird im Chaos versinken, Unterdrückung, Willkür und Gewalt werden herrschen. Vermeintlich prophetische Mahnungen mit eben diesen oder ähnlichen Worten findet man dieser Tage in den Kommentarspalten sämtlicher Online-Medien, in Foren, auf Twitter und bei Facebook. Der Auslöser für die vermeintlich drohende Katastrophe: Fremde. Flüchtlinge. Muslime. All jene, die die westliche Kultur unterwandern wollen. Die Absender der unheilvollen Botschaften: Populisten, Rechtsextreme und „besorgte Bürger“. Deutschland, Europa, so ihre Schreckensvision, ist dem Untergang geweiht.

Die ARD hat diese nationalistische Urangst nun aufgegriffen – und auf den Kopf gestellt. „Aufbruch ins Ungewisse“ heißt der Film unter der Regie von Kai Wessel, der am Mittwochabend gesendet wurde und Rechte im Internet auf die Palme treibt. In ihm wird die Vision von einem Europa im Chaos, von feindlicher Machtübername real. Doch sind der Auslöser keineswegs Flüchtlinge, sondern Faschisten.

Im Deutschland, im Europa von „Aufbruch ins Ungewisse“ herrschen die Rechtsextremen. „Volksfeindliche“ Journalisten werden im Zuge von „Säuberungsaktionen“ inhaftiert, Nicht-Linientreue werden denunziert. Bürger-Brigaden patrouillieren durch die Straßen. Über die Fernseher flackern Bilder von einem einem Kanzler Maier, der von „nationalen Wurzeln“ spricht, und daran erinnert: „Am Anfang hat man uns noch belächelt, uns als Abschaum und Pack verhöhnt.“ Worte, die dem Zuschauer direkt eine unangenehme Realitätsnähe offenbaren.

Familie Schneider wird zur Flüchtlingsfamilie

Es ist dieses erdrückende Deutschland, aus dem eine Familie fliehen muss, die plakativ deutscher nicht sein könnte: Familie Schneider – Vater Jan, Mutter Sara und die Kinder Nora und Nick –, weiß, gut situiert irgendwo Düsseldorf. Weil Rechtsanwalt Jan sich für die Opfer des totalitären Regimes engagiert, wurde auch er denunziert und muss deshalb um seine Freiheit fürchten. Doch wohin, wenn das eigene Land nicht länger sicher ist? Der Familie bleibt nur der Weg nach Südafrika, dem einzigen Land, das ihnen noch Schutz gewähren würde. So wird Familie Schneider zur Flüchtlingsfamilie, und ihre Odyssee beginnt, Schlauchboot und Schlepper inklusive.

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Flüchtlinge: die Eltern Sara (l.) und Jan Schneider mit ihrer Tochter Nora

Rechte Entrüstung im Netz

Es braucht keine prophetischen Fähigkeiten, um zu erahnen, was diese Umkehrung der Schreckensbilder von Rechten bei selbigen auslöst. Das fiktive Gemisch aus der historischen Vergangenheit des Nationalsozialismus und der seit 2015 beschrienen „Flüchtlingskrise“ stößt im Netz vielen sauer auf. Schon vor der Ausstrahlung sei auf einschlägigen Portalen dazu aufgerufen worden, die Diskussion über den Film zu beeinflussen, berichtete das Anti-Fake-News-Portal der ARD „Faktenfinder“. Unter dem Hashtag #AufbruchInsUngewisse finden sich zahlreich Tweets mit Memes und Anfeindungen, die sich gegen Südafrika und die ARD richten, gegen die aktuelle deutscher Regierung, den „Staatsfunk“, und „linke Hetze“.

„Es kann UNMÖGLICH noch jemals was Dümmeres vom ör-Staatsfunk produziert werden“, schreibt etwa AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Eine andere Nutzerin fragt: „Wo waren eigentlich die Szenen, in denen die "minderjährigen" Deutschen afrikanische Schülerinnen vergewaltigen und ermorden?“

Simple Botschaft mit plakativen Mitteln

Die ARD dürften diese Reaktionen nicht überraschen, versucht die Macher des Films doch bewusst überspitzt – und in Zügen durchaus plakativ und flach – einen Spiegel vorzuhalten. Dabei ist die Botschaft am Ende eine ganz simple: Angst, Not und Leid sind nicht exklusiv, Hetze ist niemals die richtige Antwort und Menschen verdienen nicht mehr oder weniger Mitgefühl abhängig ihrer Herkunft. Diese Erkenntnisse sind im besten Fall auch gebührenfrei erhältlich.

Wer sich selbst ein Bild davon machen will, ob und wie diese Botschaft rüber kommt: „Aufbruch ins Ungewisse“ ist noch bis zum 9. März in der ARD-Mediathek verfügbar.