Auf der Spur der Galapagos-Affäree Der neue Roman von Werner Köhler
Köln – Am 31. August 1999 geht ein hoch aufgeschossener Deutscher aus Hamburg im ecuadorianischen Guayaquil an Bord der „Virgen de Montserrate“. Für Harald Steen, einst Bankangestellter, nun Frührentner, ist die Reise viel mehr als nur ein Abenteuer. Der 64-Jährige hat eine Mission: „Er wusste seit Jahren, dass er es zu tun hatte und es tun würde. Der Sog der eigenen Geschichte war immer stärker geworden. Es hätte kein Entrinnen gegeben, selbst wenn er es gewollt hätte. Er war unterwegs.“
So mysteriös lässt Werner Köhler seinen Roman „Die dritte Quelle“ beginnen – und hat Leserinnen und Leser damit gleich an den Haken genommen. Hauptschauplatz des Buchs ist Steens Reiseziel: die kleine Insel Floreana im Galapagos-Archipel. Auf der angeblich ein Fluch lastet. Mitte der 1930er Jahre erlangte sie schaurigen Ruhm durch „die Galapagos-Affäre“. Wer nicht weiß, was es damit auf sich hat, braucht sich nicht zu schämen.
Ein Unwissender
Auch der Autor war anfangs ein Unwissender: „Bei Galapagos fiel mir nur Darwin ein“, erzählt er im Rundschau-Gespräch. Dann aber las er in der FAZ einen Artikel über die „Affäre“: „Ich dachte: ,Das gibt’s doch nicht. Da steckt alles drin: Exotik, Sex und Crime. Diese Geschichte ist ,Bigger than life’.“
Im Kern geht es um zwei sehr unterschiedliche Auswandererpaare, die sich auf Floreana niederlassen, einander zwar nicht mögen, aber tolerieren. Mit weiteren Ankömmlingen, einer verruchten Baronin und ihren beiden Gespielen, gerät das empfindliche Gleichgewicht in Schieflage. Am Ende sind die Adlige und einer ihrer Liebhaber spurlos verschwunden, ein Erstbesiedler stirbt unter rätselhaften Umständen. Alle drei, so munkelt man, wurden ermordet. Aber wer hat’s getan? Das bleibt bis heute nebulös.
„So langsam habe ich Feuer gefangen“, berichtet Köhler, „in mir wuchs der Wunsch, etwas daraus zu machen.“ Doch schon bald war klar: „Das ganz naiv, als Tatsachenroman, nachzuerzählen, das geht nicht. Da passiert mehr, als man beschreiben kann, da müsste man alles Mögliche weglassen. Und selbst dann würde es einem keiner glauben.“ Stattdessen entschied er, die „Urgeschichte nur als Startrampe zu nutzen“. Aber bis er tatsächlich zu einer Form fand – die Figur des Harald Steen zu erfinden, der im heutigen Floreana auf Nachkommen der Siedler von vor über 60 Jahren trifft – „war es ein langer, langer Prozess“.
Das könnte Sie auch interessieren:
Fünf Jahre dauerte es, bis der Roman fertig war. Dreh- und Angelpunkt von „Die dritte Quelle“ ist Steen. Ein stiller Einzelgänger, der „für menschliche Kommunikation keinen Kompass besitzt“, der Bier und Brillen mag und Nietzsche und Opern liebt, und in seinem weißen Anzug aussieht wie eine XL-Version von Fitzcarraldo. Wie er sich daran macht, den Urwald zu roden und dabei fast verblutet, ist komisch und heroisch zugleich.
Köhler hat seinen Held wunderbar vielschichtig gestaltet. Aktiv und ängstlich, naiv und gut informiert, linkisch und humorvoll, unsicher und mutig. Zugleich haftet ihm etwas Pathologisches an. Er leidet unter Stimmungsumschwüngen und Panikattacken, später kommen Allmachtsfantasien, Verfolgungswahn und Halluzinationen hinzu. „Irgendwann frage ich mich: Kann ich dem Vogel eigentlich trauen?“, sagt Köhler, „und inwieweit können wir unseren eigenen Erinnerungen trauen? Und wenn nicht denen – wem dann?“ Worauf sich ein ungemütliches Gefühl einschleicht. „Ich mag es, wenn der Boden beginnt zu wackeln“, sagt Köhler. Wer sich von „Die dritte Quelle“ Aufklärung darüber erhofft, wer damals wen ermordet hat oder auch nicht, liest das falsche Buch. Es ist kein Krimi. Sonden das beängstigend packende „Psychogramm eines Menschen, der sich in seinem Alleinsein eingerichtet hat.“ Und der, wenn er diese Schutzzone verlässt, erlebt, was das auslöst. Im Guten wie im Bösen.
Werner Köhler: Die dritte Quelle. Kiepenheuer & Witsch, 428 S., 22 Euro. Am 24. 3., 19.30 Uhr, stellt der Autor das Buch im Rahmen der lit.COLOGNE im Comedia Theater vor. Moderation: Wolfram Eilenberger.