Auf der falschen Seite überholtSchauspiel Köln – Rafael Sanchez inszeniert „Ode“
Köln – „Ihr werdet euch mit den eigenen Maßstäben noch selbst blau und blutig schlagen!“ Regisseur Orlando versteht die (Theater-)Welt nicht mehr: Da war er doch einmal radikal und auf der richtigen Seite, nun ist er ein von links überholter, alter weißer Mann, dem sein Ensemble den (Identitäts-)Kampf angesagt hat. Autor Thomas Melle macht ihn in „Ode“ zu einer Witzfigur, die Benjamin Höppner in Rafael Sanchez Inszenierung im Depot 2 mit Hingabe zelebriert.
Für Köln überarbeitet
Melles „Ode“ scheint das Stück der Stunde, wird hier doch alles verhandelt, was derzeit auf der kulturpolitischen Agenda steht: Identität, Gendern, Aneignung (darf man spielen, was man nicht selber ist?) und in der Folge Cancel culture. Aber auch die (vor allem vom rechten Spektrum gestellte) Fragen nach der Rechtfertigung von Subventionen oder der Bedeutsamkeit für ein „deutsches“ Publikum. Nach der Uraufführung von 2019 in Berlin hat Melle das Stück nun überarbeitet und fürs Schauspiel Köln einen neuen dritten Teil geschrieben.
Auf einen Blick
Das Stück Thomas Melle stellt brandaktuelle Fragen zu Ethos, Ethik und Ästhetik – in einer Komödie. Die Regie Rafael Sanchez setzt auf den Text und verzichtet auf überflüssige Ablenkungsmanöver. Das Ensemble „Alte“ Garde und Neuzugänge agieren Hand in Hand. (HLL)
Am Anfang steht die – wie sich herausstellt unsichtbare – Skulptur der Künstlerin Anne Fratzer (Yvon Jansen), die diese „Ode an die alten Täter“ nennt: Hätten die Nazis ihren trunksüchtigen und vergewaltigenden Großvater nicht umgebracht, hätte dieser sicher seine Frau und seine Tochter getötet – und die Künstlerin hätte nie das Licht der Welt erblickt. Kaum vorstellbar, kann sie mit ihrer ganz persönlichen Geschichte dem Dritten Reich etwas Gutes abgewinnen. Den kontrovers geführten Diskussionen folgt ein Karriere-Aus, denn ein Kollege verrät, dass sie darüber nachgedacht habe, es „Ode ans KZ“ zu nennen. Selbst der – im Privaten geäußerte – Gedanke der Grenzüberschreitung führt zur Ausgrenzung, Fratzer wird zur persona non grata und nimmt sich das Leben.
Exzellente Schauspieltruppe
Zehn Jahre später will Orlando die Geschichte auf die Theaterbühne bringen, scheitert aber gleichermaßen am Widerstand seines Ensembles wie an seinen antiquierten Regiekonzepten. Unterdessen hat sich eine Bürgerwehr (unter anderem Nikolas Benda) von kommentierenden Beobachtern zur Macht im Staat entwickelt. Der von Seinesgleichen verstoßene Orlando landet im Arrest, die Kunst selber versucht (verkörpert von Nicola Gründel als Präzisa), in einem Plädoyer für sich selber zu werben – scheitert aber an der Korrumpierbarkeit ihrer Akteurinnen und Akteure, von denen eine wie selbstverständlich für eine Gefälligkeit vor einem Stefan in die Knie geht – nur dumm, dass es der Kulturdezernent Charles und nicht der Intendant Bachmann war. Egal, sie macht trotzdem weiter, wer weiß, wofür es gut es ist...
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Bis auf dieses blödsinnige Späßchen gibt Rafael Sanchez dem Affen reichlich des von Thomas Melle bereitgestellten Zuckers – und lässt seine exzellente Schauspieltruppe genügend, aber auch nur so viel lange Leine, dass sich sie sich kaum in irgendwelchen Regietheater-Mätzchen verstricken müssen.Neben den langjährigen Ensemblemitgliedern Nikolaus Benda, Nicola Gründel, Benjamin Höppner und Yvon Jansen geben die drei Neuzugänge am Schauspiel Köln eine richtig gute Figur ab.
Rebecca Lindauer, Paul Basonga und Kei Muramato kommen frisch von der Schauspielschule und mischen aber in diesem komischen Drama von Anfang nicht nur kräftig, sondern auch kraftvoll mit – was sicher auch auf Rafael Sanchez’ Konto zu verbuchen ist. weil er sie nicht mit Winzauftritten abspeist. Und so darf Basonga „wienern“, Muramato schlaumeiern und Lindauer die mal romantischen, mal punkigen Songs von Cornelius Borgholte (der auch die Live-Musik besteuert) singen.
135 Minuten, wieder am 23.9., 9. und 10.10., jeweils 20 Uhr.