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„Reise nach Laredo“Arno Geiger geht in seinem neuen Roman ungewöhnliche Wege

Lesezeit 4 Minuten
Der Schriftsteller Arno Geiger.

Der Schriftsteller Arno Geiger.

In seinem Roman „Reise nach Laredo“ greift Arno Geiger die Geschichte des Habsburgers Karl V. auf.

Vor den Augen seiner kleinen Gefolgschaft lässt er sich mit einer Hebevorrichtung in ein Bad mit heißem Wasser hieven. Gebrechlich ist seine Welt geworden. Was kann ein Regent, zumal nachdem er zurückgetreten ist, da noch ausrichten? Was erscheint ihm noch lebenswert?

Auf Reisen mit Pferd und Maultier

Arno Geiger geht in seinem neuen Roman „Reise nach Laredo“ einen ungewöhnlichen Weg, indem er die Geschichte eines der mächtigsten Herrscher des 16. Jahrhunderts, des Habsburgers Karl V. (1500 bis 1558), von da an erzählt, nachdem er abgedankt hat. Es sind die drei Jahre vor seinem Tod, in denen er sich für einen selbst gewählten Weg zu sich selbst entscheidet.

Zuletzt lebt er in einem Palast im spanischen Yuste, in der Nachbarschaft eines Klosters der Hieronymiten, einem Orden, dessen Mitglieder als Eremiten leben, um das Leben des Asketen Hieronymus nachzuahmen. Ein Ort also, an dem überhaupt nichts passiert, so dass sich Karls Gefolgsleute insgeheim wohl seinen Tod wünschen, um die Einöde wieder verlassen zu können. Doch statt eine Geschichte voller Kontemplation zu erzählen, wählt Geiger den Ausbruch: Karl stiehlt sich mit dem elfjährigen Geronimo davon, der nicht weiß, dass er ein uneheliches Kind des Herrschers ist.

Von da an wird es so fiktiv wie spannend. Pferd und Maultier lassen an Don Quichotte erinnern. Und ähnlich verrückt erscheint auch das Unterfangen, sich alleine in das fast 600 Kilometer entfernte Laredo in der Bucht von Santoña aufzumachen.

Den Roman als einen historischen zu bezeichnen, würde in die Irre führen, da Geiger nur am Rande einige Zahlen und Fakten nennt, die Rückschlüsse auf Karl vermuten lassen. Seine Biografie, sein Befinden, ist aber so meisterhaft nachempfunden, dass der Leser spürt, wie intensiv sich der Autor in die damalige Zeit – und womöglich sogar sehr authentisch in den Kopf Karls – hineinversetzt.

Tizian porträtierte Karl

Ein Meisterwerk, bei dem man ständig auf der Suche nach den historischen Bildern ist, um sie im Netz sofort anhand seiner Schilderungen zu erkennen. Tizian hat Karl porträtiert, wie auch sein Umfeld. Und schon ist der detektivische Spürsinn des Lesers geweckt: Sei es, dass man nach der „Habsburger Unterlippe“ und der nach vorne geschobenen Kinnpartie forscht, die Geiger fein beobachtend skizziert: „Die Unterlippe warf einen mächtigen Schatten aufs Kinn.“ Die „Hässlichkeit“ seines Gesichts macht ihn gegenüber Frauen befangen.

Geigers Landschaftsbeschreibung tastet sich ebenfalls an Bildern Tizians entlang: „Am frühen Abend überschritten sie einen Pass, rechts ragte ein gewaltiger Berg auf, El Nuboso, der Wolkige. Karl glaubt, diesen Berg schon einmal gesehen zu haben. Es war der Berg, den man im Fenster eines der Porträts sah, welche Tizian von Isabel gemalt hatte.“

Seiner lange vor ihm verstorbenen Frau trauert Karl hinterher. Das macht ihn nahbar, gleichsam erfährt man, wie sich der abgedankte Herrscher in einem neuen Personenkreis bewegt und sich dabei neu findet. Begleitet werden er und Geronimo von einem verprügelten Geschwisterpaar, das sie auflesen. Sie gehören zur ausgestoßenen Personengruppe der Cagots.

Gemeinsam wehrt sich das Quartett gegen Übergriffe, die damalige Gesellschaft beschreibt Geiger als rau. Auch die Natur ist abenteuerlich, Geigers Sprache dabei voller Melodie: „Ein fahler, kalter Morgen stieg herauf. Der Schürhaken des Mondes hatte eine Wolke entzweigerissen. Unter dem Nebel krochen triefend die Wiesen hervor.“

Ein Klima, das dem Endfünfziger Karl nicht gut tut. Daher gibt es eine Zwischenstation in einem heruntergekommenen Wirtshaus. Karls Leben bäumt sich noch einmal mit allen Exzessen vom Alkohol bis zur Spielsucht auf.

Kein betulicher Pilgerroman

Bei seiner Geschichte über den Herrscher, den Ernst Krenek in seiner Oper „Karl V“ behandelt und nach dem sogar ein antarktischer Berg benannt ist, verfällt Geiger nicht der Verlockung, über Macht und Ohnmacht zu schreiben. Vielmehr ist es das Menschliche, das er hervorhebt, zumal Karl bei ihm inkognito reist.

Auch ist es kein betulicher Pilgerroman, in dem die Sentenzen eines Altersweisen herausgefiltert werden. Vielmehr ist es eine unspektakuläre Geschichte, in der die Überraschungsmomente und bei allem Siechtum auch mitunter die Freude hervorstechen: „Sie sahen das Zicklein am Weg, das unablässig meckernd Luftsprünge machte. Es war so begeistert von sich selbst, dass sie alle lachten.“

Arno Geiger: Reise nach Laredo, Hanser, 272 S., 26 Euro.