ARD-Fernsehdirektor„Der ,Tatort’ verträgt auch Experimente, die nicht jeder mag“

Jörg Schönenborn
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- Für ARD-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn ist die Krimi-Reihe ein Stück Föderalismus.
- Im Interview spricht er über frühere Tatort-Zeiten, Lieblingskommissare und den Kult um die Krimi-Reihe
Können Sie sich an Ihren ersten „Tatort“ erinnern?Ich weiß nicht mehr, welcher der erste war. Aber ich weiß, dass ich als Heranwachsender „Reifeprüfung“ mit Nastassja Kinski gesehen habe, dass ich fasziniert war und dass das in der Schule Thema war.
Hatte der „Tatort“ damals schon eine herausgehobene Rolle im Fernsehabend?
Ich glaube schon, dass der „Tatort“ etwas Besonderes war. Aber in den ersten Jahrzehnten wurde er nicht wöchentlich gesendet. Es hat mit einem „Tatort“ im Monat begonnen, irgendwann wurden es zwei, aber erst in den 90er Jahren ist daraus diese feste Verabredung am Sonntagabend geworden.
Hatten Sie damals einen Lieblingskommissar, und haben Sie heute einen?
Heute bin ich befangen, das darf ich nicht sagen (lacht). Damals fand ich die Essener um Hansjörg Felmy klasse, ich habe aber auch wunderbare Erinnerungen an „Tatort“-Abende mit Schimanski während meines Studiums.
Gibt es auch einen Lieblingsbösewicht?
Ich finde, dass Armin Rohde immer wunderbare Bösewichte gespielt hat.
Warum kommen so viele Kult-Teams aus NRW?
Na ja, der „Tatort“ hat ja seinen Ursprung beim WDR, und das war im Sender stets eine besonders herausgehobene Aufgabe. Vielleicht ist das ein Grund dafür. Vielleicht haben wir im Westen auch stärker den Mut gehabt, Milieus zu zeichnen, die Kultur der Region lebendig werden zu lassen. Der Essener „Tatort“ war so eine Milieuzeichnung, die Dortmunder sind es heute, dann Münster als „liebevolle Provinz“, Schimanski war es sowieso. Da lassen sich viele „Tatorte“ nennen.
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Woher resultiert der Erfolg?
Zum einen ist der „Tatort“ ein Date, das man sich gar nicht in den Kalender eintragen muss. Bei den Sehgewohnheiten gibt es zwei Trends: Der eine ist, als Zuschauer der „Souverän“ zu sein und selbst bestimmen zu wollen, wann man die Nacht durchmacht mit einer Serie – und der andere ist der Wunsch, dabei sein zu wollen, wenn andere es auch sind. Dieses Bedürfnis erfüllt der „Tatort“ wie sonst nur WM-Endspiele. Außerdem ist der „Tatort“ ein starkes Stück Föderalismus, er hat die Qualität, überall zu Hause zu sein, ob in Nord, Süd, Ost oder West, auf Dörfern und in Großstädten – er spiegelt die Heimat.
Erreicht man auch bei den Zuschauern einen breiten Querschnitt?
Wir haben beim „Tatort“ ein so junges Publikum wie selten im Fernsehen. Grundsätzlich haben wir alle Bildungsschichten, Jung und Alt, und alle Regionen dabei. Das ist ein Zeichen dafür, dass man gesellschaftsverbindendes Fernsehen machen kann.
Teilen Sie die Kritik, dass es zu viele Teams gibt?
Ich verstehe die Kritik. Momentan haben wir 20 Teams in 16 Bundesländern, darüber hinaus eines in Österreich und eines in der Schweiz. Ich glaube aber, dass diese Zahl nötig ist, wenn wir das Land abbilden wollen. Ich glaube, eine deutliche Reduzierung würde dem „Tatort“ auch seinen Zauber nehmen.
Als ARD-Koordinator Fiktion müssen Sie die „Tatort“-Wünsche aller Sendeanstalten unter einen Hut bringen – nicht immer leicht, oder?
Na klar. Wenn man sich den „Tatort“ als Familie vorstellt, dann sind da alle Charaktere vertreten, und meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir eine Familie bleiben. Dazu gehört, dass wir uns immer verbindlich auf Regeln, aber auch auf Ausnahmen verständigen, und dass wir uns gegenseitig unsere Planung früh offenlegen. Ich finde, das klappt ziemlich gut.
Aber sie streiten schon auch?
Natürlich streiten wir, natürlich kommen Filme auf den Tisch, wo ich sehr kritisch zurückfrage oder vorsichtig Änderungen anrege. Ich glaube aber an die kreative Kraft der Vielfalt. Und der „Tatort“ verträgt auch mal Experimente, die vielleicht nicht jeder gut findet.
Greifen Sie konkret durch?
Nein. Wir sind ein Verbund von Rundfunkanstalten, die am Ende alleine und souverän entscheiden, was produziert wird. Meine Entscheidungsmacht ist, dass ich die „Tatorte“ im Programm platzieren kann und im Zweifel auch sagen könnte, wir senden einen Film erst einmal gar nicht. Aber das wäre der Extremfall. Ich liege mit meinem Urteil aber auch nicht immer richtig und bin froh, dass ich zum Beispiel nicht über Inhalte mitentscheiden muss. Das würde ich mir nicht zutrauen.
Fast jeden Abend wird mittlerweile ein „Tatort“ in den dritten Programmen wiederholt. Haben Sie keine Angst vor Übersättigung?
Darüber sprechen wir in der Tat, beobachten auch sehr genau das Publikum. Aber wir verzeichnen den interessanten Trend, dass in den vergangenen Jahren in der Wiederholung die Klassiker attraktiver geworden sind. Wir haben jetzt im WDR gerade die Reihe der alten Schimanskis – neu in HD-Qualität –, die sehr gut angenommen wird.
Gibt es beim „Tatort“ Verbesserungsbedarf?
Ich glaube, dass wir gute Schritte gegangen sind, was die Diversität angeht, aber dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Die zweite Entwicklung ist der Weg in die Provinz. Die Mehrheit unserer Zuschauerinnen und Zuschauer wohnt in Städten unter 100 000 Einwohnern.
Wie steht es um die finanzielle Zukunft des „Tatorts“?
Der „Tatort“ ist „sicher“. Natürlich macht unsere Finanzierung in allen Bereichen Einschnitte nötig, aber dabei werden wir berücksichtigen, was bei unserem Publikum höchste Priorität hat.
Das heißt, auch die Einzel-Etats für die Filme bleiben gleich?
Ehrlicherweise sind die Etats der Filme in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als unsere Redaktionsetats. Das hat damit zu tun, dass wir einen boomenden Markt haben, dass die Kreativen heute mehr Möglichkeiten haben, Geld zu verdienen.
Gibt es eine Budget-Grenze, die nicht unterschritten werden sollte?
Ein „Tatort“ darf kein Kammerspiel sein.
Würden Sie selbst gerne mal einen Cameo-Auftritt im „Tatort“ übernehmen, wenn das noch nicht der Fall war?
Ich würde mich da vornehm zurückhalten. Zumal ich gelernt habe, dass Leichen besonders schwer zu spielen sind, also das käme schon mal gar nicht in Frage.