Ein neuer Dokumentarfilm verspricht, die privaten Seiten von Björn Höcke zu zeigen - und bleibt an vielen Stellen vage und fragwürdig.
100 Minuten SelbstbeweihräucherungDer schräge Dokumentarfilm über Björn Höcke
Er fährt einen Jeep, zieht sich auf dem Land festes Schuhwerk an, und er hackt Holz. Und er greift schon mal beherzt zur Kettensäge. So sehr Björn Höcke im Politikalltag smart und glatt optisch rüberkommt, so bodenständig zupackend präsentiert er sich in „Der lange Anlauf“, einer knapp 100-minütigen Dokumentation, die seit einigen Tagen in seinem You-Tube-Kanal zu sehen ist und bislang knapp 107000 Aufrufe zählt. Nicht schlecht für einen Film, der an Langeweile kaum zu überbieten ist.
„Es ist ungewöhnlich, wenn sich ein bekannter Politiker ein Jahr lang von einem Kamerateam begleiten und dabei auch unbemerkt filmen läßt“, schreibt er selber dazu, ohne sich dabei an aktuellen Rechtschreiberegeln zu orientieren.
Kameramann im Dauerlauf
Und wahrlich: Die Kamera begleitet ihn, der Kameramann scheint ihm ständig auf den Fersen zu bleiben – rein in Veranstaltungssäle und wieder raus, durch Katakomben ins Auto, auf zum nächsten Termin, sei er auf einem Marktplatz oder bei einem Abend der Handwerkskammer.
Sehr oft sieht man ihn im Gespräch mit Vertrauten oder Kollegen — aber mit einem solchen Abstand, dass dies fast schon wie Aufnahmen eines Spions sein könnten – mit dessen Leistung kein Geheimdienstchef der Welt zufrieden sein könnte. Da spricht also Höcke mit Alice Weidel am Rande eines Parteitages. Der Erkenntnisgewinn bleibt gleich null.
Denn Björn Höcke spricht niemals direkt in die Kamera. Zu hören ist er nur in Ausschnitten von öffentlichen und semi-öffentlichen Auftritten oder auch mal bei einer Sitzung seiner Landtagsfraktion, die so seltsam geschnitten ist, dass selbst der sonst so gewieft wirkende und wortgewandte Protagonist desorientiert und schlecht vorbereitet wirkt.
Frauen kommen nicht zu Wort
Das Reden mit der Kamera überlässt er anderen, wobei das gemäß der Natur der Sache zu wahren Lobpreisungen gerät. Autor Benedikt Kaiser, Verleger Götz Kubitschek, Stefan Möller, Sprecher der AfD Thüringen, Parteikollege Daniel Haselow oder sein Büroleiter Robert Teske fungieren als brave Testimonials.
Man spürt, dass hier Männerfreundschaften und das verklärte Aufblicken zu einer väterlichen Figur gepflegt werden. Mitstreiterinnen? Fehlanzeige. Frauen kommen nicht zu Wort.
Familie wird nicht gezeigt
Genauso wie die Familie von Höcke, die zwar immer wieder erwähnt wird, aber nie zu sehen ist. Und auch das als Rückzugsort propagierte Haus auf dem Land wirkt eher wie eine angemietete Kulisse, als wie das Heim von sechs Personen
Das Werk des „Filmkunstkollektivs“ (mehr Informationen werden auch im Abspann nicht genannt) greift zu obskuren Stilmitteln. Da werden Ausschnitte aus öffentlichen Ansprachen Höckes von einem Klangteppich derart überlagert, dass nur Fetzen und Bruchstücke darunter hervorlugen können. Größere Sinnzusammenhänge scheinen nicht gewünscht.
Lustiger Fehler
Off-Stimmen suggerieren durch ihren Tonfall, dass das von ihnen Gesagte aus Nachrichtensendungen stammt. Fast schon spaßig: Bei vielen Ausschnitte wird so getan, als würden sie von einem Filmprojektor aus dem guten alten 60er-Jahre-Heimkino auf eine Leinwand projiziert. Zu dumm, dass sich nur die hintere der beiden Rollen dreht, während die vordere starr bleibt.
Gar nicht spaßig sind all die kruden, von Höcke selbst oder den anderen Männern getätigten Aussagen. Die man aber allesamt schon an der einen oder anderen Stelle gehört hat
Aber man kann auch bizarr: „Neulich hat eine Dame zu ihm gesagt, Sie sind mein neuer Messias, mein neuer Jesus Christus“, erinnert sich Büroleiter Robert Teske. Höcke sei peinlich berührt gewesen. Er ist auch nur ein Mensch, mit einer besonderen Gabe, aber nicht gottgleich. Was aber die Filmemacher nicht davon abhält, in der nächsten Szene ein ländliches Glockengeläut erklingen zu lassen.