AboAbonnieren

Erstes Abba-Album seit 40 Jahren„Voyage“: Alte Liebe rostet nicht

Lesezeit 4 Minuten
Abba Gruppenfoto

Björn Ulvaeus (v.l.), Agnetha Fältskog, Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad.

Es ist keine Untertreibung, wenn man von einer Sensation in der Geschichte der Pop-Musik spricht: Am 2. September verkündete die Band ABBA ihr erstes Album seit 40 Jahren herauszubringen.

Abba Cover

Das Cover

Nun kann man „Voyage“ in den Händen halten, als CD, als Schallplatte und für alle die, die es ganz besonders retro mögen, auch als Musikkassette.

Und „retro“ ist das Stichwort, das wurden Björn Ulvaeus und Benny Andersson in den wenigen Interviews, die sie in den vergangenen Wochen gegeben haben, nicht müde zu betonen: Sie hätten sich nicht an dem orientiert, was derzeit die Charts dominiert, sondern mehr oder minder da weitergemacht, wo sie mit „The Visitors“ aufgehört haben. Ganz ohne Druck, weil’s Spaß macht, einfach nur eine Wiedersehen alter Freunde – „the way old friends do“, um mal eines ihrer früheren Lieder zu zitieren.

Keine zehn Evergreens

Aber, um das vorweg zu nehmen: Ein bisschen mehr Druck hätte der Platte vielleicht nicht geschadet. Wer auf zehn Evergreens in der Qualität von „Dancing Queen“, „Mamma mia“, „Fernando“, „Waterloo“ oder „The winner takes it all“ hofft, dürfte enttäuscht werden.

Die vier Schweden, allesamt jenseits der 70, schlagen einen gemächlicheren Ton an, setzen wie auf all ihren Alben auf einen bisweilen verwirrenden Stilmix, dessen Stimmigkeit sich erst beim wiederholten Hören erschließt.

Abba Produktion

Es ist das erste Abba-Album seit 40 Jahren.

Euphoriegetränkte Melodien, die sich ab dem ersten Hören in den Gehörgang fräsen, sind rarer gesät. Auch an die hörbar gealterten Stimmen von Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad und ihren Akzent, der sich über die Jahre hörbar verstärkt hat, muss man sich ein wenig gewöhnen. Und dennoch erlebt man viele großartige ABBA-Momente.

So gehören die beiden im September veröffentlichten Vorboten „Don’t shut me down“ und „I still have faith me“ ganz klar zu den Höhepunkten.

Aber auch „Keep an eye on Dan“ ist großes ABBA-Kino – schon allein, weil Agnethas Stimme in der ersten Zeile fast bricht wie seinerzeit in „The winner takes it all“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Und die Geschichte der Frau, die sich von ihrem Mann trennen will und ihn bittet, doch auf den gemeinsamen Sohn aufzupassen, geht einfach nur ans Herz.

Erinnerungen an frühere Songs

Die scharf gesetzten Geigen als Gegensatz zu den 80er-Synthesizer-Läufen erzeugen Gänsehaut – genauso wie die raffinierten Chorsätze, die an jene in „Knowing me, knowing you“ erinnern.

Dazu als Schlusspunkt ein paar Noten aus „S.O.S.“ zitiert – das ist Perfektion, wie man sie von Benny Andersson, Komponist, Arrangeur und Mann am Klavier, gewohnt ist!

„I can be that woman“ ist eine klassische Ballade, ebenfalls über Beziehungsprobleme – mit dem interessanten Text-Ansatz, wie der Hund des Paares auf die Streitereien und Ansätze von Versöhnung reagiert.

Und noch ein Ehe-Drama: „No doubt about it“ ist die pseudo-rockige Nummer, wie sie sich auf jeder Platte der vier Schweden findet, jedoch durch den ein oder anderen musikalischen Bruch interessant wird.

Weihnachtlicher Text mit Xylophon

Textlich hat Björn Ulvaeus arg in der Mottenkiste gewühlt, wenn er Agnetha und Frida alle Schuld auf sich nehmen lässt.

Zeitgemäßer lässt er in „Bumblebee“ Frida im sanft säuselnden Folklore-Ton darüber sinnieren, wie schön es ist, dass in ihrem Garten die Hummeln fliegen – und man nicht zulassen dürfe, dass es sie irgendwann nicht mehr gibt.

ABBA.neu- Studio image 5 (Credit_ Ludvig Andersson)

Agnetha Fältskog (l.) und Anni-Frid Lyngstad

Eine ähnliche Fingerübung: „Little things“, der weihnachtliche Text wird garniert mit Xylophon und Kinderchor.

„Ode to freedom“ ist ähnlich getragen wie das instrumentale Titelstück des Albums „Arrival“ (1976), ein besänftigender Rausschmeißer, der auch aus einem der Musicals der ABBA-Männer stammen könnte.

Das Herz schlägt trotzdem höher

Aber wie immer bei gibt es neben all dem Licht auch hin und wieder Schatten. In Schweden ist Benny Andersson seit Jahren erfolgreich mit seiner Folklore-Formation BAO auf, und „When you danced with me“ könnte von einem ihrer Alben stammen: fröhliches Humtata, das jedes Volksfest ziert. Auch das leicht schrammelige Stück Nostalgie-Pop „Just a notion“ wirkt verzichtbar.

Aber, ach, nach dem fünften oder sechsten Hören schlägt auch bei diesen beiden Nummern das Herz höher. Das nennt man wohl Stockholm-Syndrom.

Zum Reinhören:

"Keep an eye on Dan"

"I can be that woman"

"Little things"