Zahnärzte gehen auf dem Zahnfleisch. Schuld ist die Bürokratie.
Zu viel BürokratieDeshalb stehen Kölner Zahnärzte am Mittwoch auf dem Wiener Platz
„Es geht um das Wertvollste, was wir haben: Das ist die Zeit für die Patienten“, sagt Dr. Georg Arentowicz. Dem Kölner Zahnarzt fehlt sie immer öfter. Er verbringt immer mehr Zeit am Schreibtisch statt am Behandlungsstuhl. Etwa ein Viertel der Arbeitszeit in seiner Innenstadt-Praxis widmen er und seine sieben Mitarbeitenden der Bürokratie. Ein Phänomen, unter dem die gesamte Zahnärzteschaft leidet.
Mit einem Aktionstag am kommenden Mittwoch, 25. September, macht die Zahnärzteschaft Nordrhein in vielen Städten auf das Dilemma aufmerksam. In Köln gibt es von 10 bis 16 Uhr einen Informationsstand auf dem Wiener Platz. „In direkter Nachbarschaft zum Wahlkreisbüro von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach werden sie Patienten über die Auswirkungen von einer überbordenden Bürokratie und einer praxisuntauglichen Digitalisierung informieren“, teilt die Zahnärztekammer Nordrhein mit. Sie beruhigt im Vorfeld: Behandlungen werden durch den Aktionstag nicht eingeschränkt, die Praxen bleiben offen.
582 Praxen in Köln
1403 Zahnärzte und Zahnärztinnen arbeiten in Köln in 582 Praxen. Arentowicz, der auch im Vorstand der Zahnärztekammer Nordrhein ist, übt seinen Beruf seit gut 35 Jahren aus. Im Prinzip sehr gerne. Doch, das, was Verordnungen und Regeln inzwischen von ihm und seinen Mitarbeitenden verlangen, hat für den 64-Jährigen längst ein gesundes Maß überschritten. Dokumentationspflichten und Verwaltungsaufgaben fressen nach Berechnungen der Zahnärztekammer Nordrhein pro Woche 24 Arbeitsstunden, hochgerechnet auf ein Jahr sind es 51 Tage.
„Das hat sich schleichend verändert und eine Eigendynamik entwickelt“, sagt Arentowicz. EU-Verordnungen seien auf bereits bestehende Regeln obenauf gekommen. Die Folge: Eine wahre Flut an Vorgaben. „Um einen einfachen Mundspiegel zu reinigen und zu desinfizieren, müssen sieben Verordnungen, elf DIN-Normen, 14 Arbeitsanweisungen und neun Dokumentationsvorgaben beachtet werden“, rechnet die Zahnärztekammer vor. Ihre Forderung: Was nicht wissenschaftlich begründet werden kann, gehöre abgeschafft.
Effizienz bleibt auf der Strecke
„Hygiene und Patientensicherheit stehen unzweifelhaft über allem“, betont Arentowicz, „aber der Weg dorthin ist nicht effizient.“ Dass erfahrene Mitarbeitende jedes Jahr erneut belehrt werden müssen über Dinge, die für sie Routine sind, hält er für unnötig. Ebenso wie die seitenlangen Anweisungen für die täglichen und wöchentlichen Prüfungen. Leitfäden und Anleitungen füllen mehrere Ordner in der Praxis von Dr. Arentowicz. Diese Anweisungen gingen so weit, dass dokumentiert werden müsse, dass die Reißnaht bei einem sterilisierten Instrument den richtigen Abstand zum Rand habe.
Auch in die Telematik für den Austausch mit den Krankenkassen sei nicht genügend zahnärztlicher Sachverstand eingeflossen. „Das ist nicht sehr durchdacht erfolgt“, kritisiert Arentowicz. Ähnlich unverständlich findet er die Regelung, dass die Röntgenbilder von Minderjährigen bis zum 28. Lebensjahr aufbewahrt werden müssen, während die Frist sonst zehn Jahre beträgt. Und dass Begehungen einer Praxis, die beispielsweise von Gesundheitsamt oder Bezirksregierung gemacht werden, nicht auf einen Tag gelegt werden können, sondern eine mehrmalige Praxisschließung bedingen, findet der erfahrene Zahnmediziner unverständlich. Er hofft darauf, dass es hilft, jetzt gemeinsam gegen die Bürokratie Zähne zu zeigen.