Tötungsdelikt in DünnwaldVollstreckungsbeamter kannte mögliche Gefahr nicht
- Der am Freitag getötete Vollstreckungsbeamte der Stadt wusste nichts von der möglichen Gefahr, die von dem Mann ausging, den er aufsuchte.
- Für Angriffe auf Bedienstete gibt es bei der Stadt Köln kein zentrales Register.
- Die Stadt Köln prüft nun, welche Konsequenzen sie aus der Gewalttat zieht.
Köln – Der am Freitag getötete 47-jährige Vollstreckungsbeamte der Stadt wusste zuvor nicht, wie gefährlich der Mann (60) war, bei dem er am Freitagmorgen klingelte. Und das obwohl dieser schon im März einen städtischen Amtsarzt angegriffen hatte und danach für Wochen in die geschlossene Abteilung einer Klinik eingewiesen worden war.
Die Stadt teilte mit: „Nach derzeitiger Erkenntnislage hatte der am Freitag getötete und sehr erfahrene und besonnene Kollege keinerlei Erkenntnisse zur mutmaßlichen Gefährlichkeit des Schuldners, da dies die Aktenlage nicht hergab.“
Es gibt kein zentrales Melderegister
Wie berichtet, hat die Stadt kein zentrales Melderegister für Übergriffe, das die Mitarbeiter auf mögliche Gefahren hinweist – unabhängig davon, für welches Dezernat sie arbeiten. Der 60-Jährige hatte zwar schon im März zwei städtische Mitarbeiter angegriffen, damals waren sie aber für das Sozialamt unterwegs gewesen, das 47-jährige Opfer von Freitag arbeitete für die Kämmerei.
Es waren also Mitarbeiter zweier Dezernate, eine übergreifende Informationsplattform existiert nicht. Ein Mitarbeiter der Vollstreckungsabteilung kritisierte gegenüber der Rundschau anonym diese fehlenden Informationen.
Auch in anderen Städten fehlt ein solches Register, das bestätigten unter anderem Düsseldorf und Stuttgart. Die Stadt Köln kündigte an, die Prozesse zu prüfen.
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Wie die Rundschau am Montag erfuhr, ging es bei dem ersten Besuch der Stadt in dem Haus „Auf der Schildwache“ in Dünnwald um eine Untersuchung zur Einweisung in eine Psychiatrie. Dabei attackierte der Angreifer eine Mitarbeiterin des Sozialamtes an der Wohnungstür mit einem Schraubenzieher und verletzte sie leicht – trotz Polizeibegleitung. Auch der 72-jährige Amtsarzt wurde angegriffen, er konnte die Attacke mit einer Mappe abwehren.
Tage nach dem Vorfall musste der 60-Jährige tatsächlich in die geschlossene Abteilung einer Klinik eingewiesen werden. Mehrere Wochen später entließ ihn das Krankenhaus wieder, der Mann kehrte zurück in seine Wohnung nach Dünnwald.
Warum der 60-Jährige die Klinik verlassen durfte, blieb am Montag unklar. Die gegründete Mordkommission will das klären. Wie berichtet, ist er laut Polizei und Staatsanwaltschaft wohl als „schuldunfähig“ einzustufen. Es sei von einer „schweren psychischen Erkrankung“ des Mannes auszugehen.
Die Stadt hat jetzt die Sicherheitsvorkehrungen für Außendienstmitarbeiter erhöht, nachdem Kämmerin Dörte Diemert zunächst für Montag alle Termine abgesagt hatte. Ab sofort dürfen die Beamten nur in Zweierteams raus, sie können sich vom Ordnungsdienst begleiten lassen. Ob die Kollegen überhaupt wieder rausgehen, stellt ihnen die Stadt angesichts der psychischen Belastung frei.
In der Vergangenheit haben die Beamten selbst entschieden, ob sie alleine oder zu zweit Schuldner besuchen oder in besonders schlimmen Fällen die Polizei hinzuziehen. Falls sich in den Akten ein Hinweis auf eine Gefährdung findet, sollen offene Beträge per Kontopfändung aus dem Büro erfolgen. Erst wenn das nicht klappt, besucht die Kämmerei Schuldner vor Ort.
Laut Stadtverwaltung hat die Zahl der Übergriffe in dieser Abteilung abgenommen: 2016 wares noch zehn Anzeigen, im Jahr danach 5, im vergangenen und in diesem Jahr keine.
In der Stadtverwaltung gab es 2018 und 19 insgesamt 57 Anzeigen wegen Beleidigungen und Bedrohungen, darunter waren vier wegen Körperverletzung. Die Zahlen sind gegenüber den Vorjahren rückläufig.
Aufgeschreckt wird die Bevölkerung immer dann, wenn es zu brutalen Übergriffen kommt: 2014 ist ein Mitarbeiter im Job-Center an der Luxemburger Straße von einem 23-jährigen Hartz IV-Empfänger zusammengeschlagen worden. Dem Mann sollten die Leistungen gekürzt werden, weil er Arbeitsangebote ausgeschlagen hatte.
Zwei Jahre zuvor hatte ein Mann eine Mitarbeiterin (32) in einem Job-Center in Neuss mit einem Fleischermesser erstochen. Der Fall hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Der 52-Jährige wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Verschärfte Tonlagen bekommen auch Mitarbeiter in den Bürgerämtern oder der Kfz-Zulassungsstelle zu hören. Letztlich steht die Verwaltung vor der Frage, was sie tun muss, um die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitarbeiter zu schützen.
Wann bleibt es beim Wutausbruch? Wo beginnt die Gewalt, die Bedrohungssituation? „Die öffentliche Verwaltung darf nicht zur Festung werden“, sagt Britta Ibald, Sprecherin des Deutschen Beamten-Bundes (dbb). Man wolle helfen und den Menschen entgegenkommen. „Andererseits dürfen wir die Mitarbeitern nicht Gefährdungslagen aussetzen.“ Daher sei es wichtig, verbindliche Regeln zu haben, an die sich die Mitarbeiter halten.
Eine Grundlage dafür bietet das „Aachener Modell“. Es dient der Gefahreneinschätzung und wurde von Unfallkasse Nordrhein-Westfalen und Aachener Polizei entwickelt.
Schweigeminute
Am Mittwoch findet um 12 Uhr in ganz Köln eine Gedenkminute statt. Alle städtischen Mitarbeiter sollen die Arbeit währenddessen ruhen lassen. Seit Montag liegen auch Kondolenzbücher im Historischen Rathaus und dem Spanischen Bau aus (geöffnet Montag bis Donnerstag: 8 bis 16 Uhr, Freitag: 8 bis 12 Uhr).
Ob es eine Gedenkfeier geben wird, prüft die Stadt und stimmt sie sich mit den Angehörigen des Opfers ab. (EB)
Es fasst Gefahrenpunkte und Ursachen zusammen und Formen, wie Mitarbeiter bei Bedrohungslagen reagieren können. Natürlich erfordern Beleidigungen andere Gegenmaßnahmen als ein Waffengebrauch. Die Stadt Köln antwortete am Montag nicht auf die Frage, ob sie nach dem Modell arbeite.
Für jede der drei Gefährdungslagen (siehe Bild) wird dargestellt, wer in bedrohlichen Situationen handeln muss, wie bei einem unvorhergesehenen Ereignis zu reagieren ist und welche organisatorischen Voraussetzungen ein Betrieb oder eine Verwaltung schaffen muss. „Es muss feste Regeln geben“, sagt Britta Ibald, damit eben nicht ein Amtsleiter sagen könne: „Schulze, stellen Sie sich nicht so an, da passiert schon nichts.“