Tocotronic-Sänger im Interview„Die Verbindung hat in Köln immer gestimmt“
Köln – Am 1.Juli spielen Tocotronic mit ihrem aktuellen Album „Nie wieder Krieg“ in Köln. Mit Sänger Dirk von Lowtzow sprach Jens Meifert über Einsamkeit, Alkohol und Gedanken in Bewegung.
,Nie wieder Krieg„ ist der Titelsong Eures Albums. Das Stück handelt von inneren Narben, vom Kampf gegen sich selbst, aber natürlich hat es mit dem Krieg nun eine ganz andere Ebene bekommen. Ist euch das Lied entglitten?
Zunächst mal sind unsere Befindlichkeiten relativ egal, angesichts des brutalen Angriffskrieges auf die Ukraine. Es gibt jeden Tag neue entsetzliche Nachrichten, und das alles ist unendlich viel wichtiger als unser Album. Aber ja: Die Stücke erzählen vor allem von inneren Spannungsverhältnissen und seelische Vernarbungen, so haben wir das 2018 und 2019 geschrieben. Da haben wir von diesem Krieg noch nichts geahnt. Grundsätzlich können Songs immer eine zweite Bedeutungsebene bekommen, und das finde ich gar nicht schlimm. Manchmal wissen Lieder mehr als ihre Autoren.
Tocotronic geht auf Tour
Wie ist es jetzt, in diesen Zeiten auf Tour zu gehen?
Wir starten gerade erst (15. Juni/Anm. d. Red.), wir wissen nicht, was bis dahin passiert. Man hat sich inzwischen an große Veränderungen der Lebensverhältnisse gewöhnt. Was das Musizieren in Zeiten des Krieges angeht, bin ich hin- und hergerissen. Das geht ganz vielen Künstlern so, es gibt die Sehnsucht nach gemeinsamen Ereignissen, wie die Musik sie zu schaffen vermag. Aber ich verstehe auch, dass man dies aktuell als wohlfeil und nutzlos betrachten kann. Da wird es keine abschließende, zufriedenstellende Antwort geben können. Vermutlich werden wir erst auf der Tour wissen, wie es sich anfühlt.
Vereinzelung und Isolation sind auch keine leichte Kost. Ihr habt früher gesungen: ,Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein„. Sind das die großen Themen der Zeit für Euch?
Offenbar, ja. Manchmal wissen das Journalisten besser als wir selbst, weil von außen Querverbindungen zu sehen sind, die uns gar nicht bewusst werden. Bei der Arbeit an einem Album ist man immer auch etwas betriebsblind und mit einem Tunnelblick unterwegs. Aber über fast 30 Jahre, die wir nun Musik machen, gibt es schon eine verbindende Linie. Man könnte bestimmt ein schönes Psychogramm erstellen (lacht).
In einer Welt, in der jeder in den sozialen Netzwerken permanent darstellt, wie viel Spaß er mit diesem oder jenem hat, da kann man nicht zugeben, einsam zu sein. Das ist wie eine Niederlage. Ist Einsamkeit das letzte Tabu?
Für mich war das immer ein wichtiges Thema. Popmusik, die einen etwas folkigen oder blues-artigen Einschlag hat, eignet sich wunderbar für diese Beschreibung. Und das haben wir in den vergangenen Jahren verstärkt zugelassen. Gesang ist ein sehr probates Mittel gegen das destruktive Einsamkeitsgefühl.
29 Jahre Tocotronic
Ihr habt euch vor 29 Jahren gegründet. Auch das Gründungsgefühl einer Band ist doch: Wir gegen den Rest der Welt.
Ja, weil es so ein unglaublicher Zufall und ein Glück ist, dass man sich findet. Das ist wie die Nadel im Heuhaufen. Es ist nur zu vergleichen mit dem Gefühl des Verliebtseins, das einen wie ein Schlag trifft. Und dann geht die Geschichte weiter, auch in einer Band: Die Konstellationen verändern sich, man entwickelt sich einzeln und, wenn es gut läuft, gemeinsam. Oder aber es zerbricht. Alles ist möglich.
Wie viel ist bei Euch noch da vom Gemeinschaftsgefühl?
Es gibt aus meiner Sicht keinen großen Unterschied zu früher. Wir haben damals fast jede freie Minute auch außerhalb des Proberaums miteinander verbracht. Viele Kneipenbesuche gehörten dazu, das war in Hamburg nicht anders als in der Kölner Kunstszene. Natürlich gibt es Verschiebungen durch neue Lebenssituationen, einige von uns haben Kinder. Aber das Gefühl ist das gleiche, weil wir doch eine starke Verbindung haben, die weit über die Musik hinaus geht. Ich würde private Erschütterungen immer mit den Freunden in der Band besprechen. Vermutlich sogar als erstes.
Und am Tresen seid ihr nicht mehr unterwegs?
Nicht mehr so häufig, da lässt unsere Konstitution nicht mehr zu.
Nie wieder Alkohol?
Wir haben 30 Jahre Rock’n’Roll hinter uns. Das klingt nach einem Klischee, aber natürlich hat das Spuren hinterlassen. Jeder muss Wege finden, dass er daran nicht zerbricht, wie das regelmäßig vorkommt. Ich trinke sehr selten Alkohol, weil ich eine starke Gefährdung verspüre. Es gelingt mir aber ganz gut, mich vom Sumpf fern zu halten.
Die Band
Tocotronic gründeten sich 1993, die Musiker zählten neben Bands wie Blumfeld oder Die Sterne zur Hamburger Schule. Zur Ursprungsformation gehören neben Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow Schlagzeuger Arne Zank und Bassist Jan Müller, 2004 stieg Rick McPhail ein. Tocotronic zählen zu den wichtigsten deutschsprachigen Bands, die Feuilletons lieben von Lowtzows verschlungene Lyrik, die zuletzt weniger Rätsel aufgab. „Nie wieder Krieg“ ist das 13. Studioalbum.
Konzert im E-Werk am Freitag, 1. Juli. Karten kosten 42 Euro. www.koelnticket.de
Ihr habt zuletzt 2019 letztmals in Köln gespielt, in der Philharmonie. War das ein besonderer Abend für Euch?
Absolut, wir waren da noch nie, hatten aber viel Gutes gehört. Die Ränge sind sehr steil, was uns auf der Bühne Nähe vermittelt hat. Und auch wenn die Philharmonie so groß ist, war es ein sehr intimes Konzert. Das habe ich sehr genossen. Generell hatte ich in Köln immer das Gefühl, dass die Verbindung stimmt. Das letzte Mal im E-Werk haben wir übrigens am 11.11. gespielt, das war auch besonders. Wir hatten aber mehr Piraten und Dinosaurier erwartet (lacht).
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Dirk von Lowtzow geht gerne zu Fuß. Entstehen dabei auch Lyrics?
Ich versuche jeden Tag ein bis zwei Stunden zu laufen. Dann sind die Gedanken in Bewegung und dabei entstehen viele Ideen, durchaus auch Songtexte, ich kann anhalten und etwas davon eintippen ins Smartphone oder ins Gerät aufsprechen. Wenn man läuft hat man einen gewissen Rhythmus, dann schwingt alles mit. Es ist kein Wunder, dass es Wanderlieder gibt. Ich versuche immer, morgens zu laufen, auch wenn wir auf Tournee sind. Ich kann aber keine Wander- oder Freizeittipps geben, es geht mir eher um das Gehen selbst.