Die Strukturdatenerhebung belegt große Einkommensunterschiede in Köln. Aber wie sind die Daten zu verstehen? Ein Interview mit einem Statistiker gibt Aufschluss.
Reich oder arm?Wie die Stadt Köln Armutsgefährdung berechnet
Dr. Ersin Özşahin leitet die Kommunale Statistikstelle im Amt für Stadtentwicklung und Statistik. Michael Fuchs sprach mit ihm über die neue Strukturdatenerhebung 2023 zur Einkommenssituation in Köln.
Warum gilt ein Haushalt mit einem Netto-Monatseinkommen von 4238 Euro oder mehr in Köln schon als „einkommensreich“? Bei Reichen denkt man doch eher an eine Villa im Hahnwald oder eine Jacht im Mittelmeer.
Moment. Wir reden hier nicht über das tatsächliche Netto-Monatseinkommen von der Gehaltsabrechnung. Hier geht es um das so genannte Netto-Äquivalenzeinkommen. Das ist eine rein mathematische Größe.
Und was versteht man darunter?
Das Äquivalenzeinkommen ist im Prinzip nur die Gewichtung der Informationen, die wir über das Haushaltsnettoeinkommen haben, nach der Zahl der im Haushalt lebenden Personen. Es macht ja einen Unterschied, ob Sie als Alleinstehender 5000 Euro im Monat zur Verfügung haben oder mit 5000 Euro eine siebenköpfige Familie ernähren müssen. Um dieser Situation gerecht zu werden, gibt es das Konzept des Äquivalenzeinkommens. Vereinfacht gesagt, ist es ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied.
Heißt das, ein Singlehaushalt gilt mit 4238 Euro Äquivalenzeinkommen im Monat als „einkommensreich“, während man bei einem kinderlosen Paar das Doppelte rechnet, also 8276 Euro?
Nein, tatsächlich liegt der gewählte Grenzwert hier beim Anderthalbfachen des sogenannten Median-Nettoäquivalenzeinkommens. Dieser Wert liegt in Köln bei 2119 Euro pro Haushaltsmitglied im Monat. Das ist die Benchmark, also der Bezugswert. Er besagt: Die Hälfte der Kölner Haushalte verfügen über ein Pro-Kopf-Äquivalenzeinkommen oberhalb dieser Schwelle und die andere Hälfte darunter. Haushalte, die weniger als 60 Prozent davon haben, also pro Kopf weniger als 1271 Euro im Monat zur Verfügung haben, gelten per Definition als armutsgefährdet. Haushalte, deren Einkommen das Doppelte des Schwellenwertes übersteigt, die also pro Kopf mehr als 4238 Euro im Monat zur Verfügung haben, gelten hingegen als einkommensreich.
Wie wird das konkret berechnet?
Bei einem kinderlosen Single entspricht das reale Nettoeinkommen dem Netto-Äquivalenzeinkommen, das heißt, das Einkommen wird mit dem Faktor 1 gewichtet. Bei größeren Haushalten werden zur Berechnung des Äquivalenzeinkommens Bedarfsgewichte anhand einer OECD-Skala auf die Haushaltsangehörigen verteilt. Danach wird der ersten erwachsenen Person im Haushalt das Bedarfsgewicht 1 zugeordnet, für die weiteren Haushaltsmitglieder werden Gewichte kleiner 1 eingesetzt: ein Faktor von 0,5 für weitere Personen im Alter von 14 und mehr Jahren sowie Faktor 0,3 für jedes jüngere Kind. Hierbei wird grundsätzlich angenommen, dass sich durch die gemeinsame Haushaltsführung Einsparungen erreichen lassen.
Ein Beispiel, bitte.
Nehmen wir eine alleinerziehende Mutter mit einem 15-jährigen Sohn und einer 11-jährigen Tochter. Angenommen, diese Alleinerziehende hätte ein reales Nettoeinkommen von 2500 Euro, inklusive Kindergeld. Nach der Äquivalenz-Umrechnung – also 2500 geteilt durch den Faktor 1,8 – hätte jede Person ihres Haushaltes ein rechnerisches Pro-Kopf-Äquivalenzeinkommen von 1388 Euro zur Verfügung. Verwirrend ist hier eventuell, dass die Summe der Äquivalenzeinkommen das nominale Einkommen übersteigt.
Aber genau das ist der Effekt der Relativierung des nominellen Einkommens an der Haushaltsstruktur. Dieser Beispiel-Haushalt ist dann per Definition nicht armutsgefährdet, da das Äquivalenzeinkommen leicht über dem Schwellenwert liegt,
Warum nimmt man nicht das reale Nettoeinkommen?
Wir reden beim Äquivalenzeinkommen in der Tat von einer künstlichen, rein mathematischen Größe, die fürs Benchmarking genutzt wird mit dem Ziel, relative Armut oder auch relativen Reichtum auszudrücken. Das hilft uns, Einkommensungleichheiten zwischen Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung genauer zu analysieren und zu verstehen. Armut und Reichtum sind vom Kontext abhängig, in dem man lebt. In einer Stadt wie Köln sind Mieten und Lebenshaltungskosten höher als etwa in der Eifel. Da macht es keinen Sinn, mit fixen Grenzwerten zu arbeiten. Deshalb braucht man ein relatives Konzept, um Armutsgefährdung und Wohlstand ausdrücken.
Was ist das Ziel dieser Datenerhebung? Geht es darum, räumlich zu definieren, wo die Problemzonen in Köln sind?
Nein, das ist nur ein Nebeneffekt, sozusagen. Erst mal geht es uns darum, dass wir mit der Strukturdatenerhebung versuchen, Daten zu erheben, die wir auf amtlichem Wege nicht erhalten. Es gibt zum Beispiel keine amtliche Quelle, aus der wir als Kommune Einkommensdaten ziehen könnten. Wir haben keinen Zugriff auf die Einkommensteuerdaten. Wir befragen die Bürgerinnen und Bürger auch zu vielen anderen Themen wie Mieten, Ausbildung und so weiter. Wir wollen das fortsetzen und eine belastbare Datengrundlage schaffen, die wir auch im Zeitverlauf analysieren können. Diese Daten geben wir in die planenden Dienststellen der Verwaltung, auch an die Sozialverwaltung. Diese überprüft unter anderem auf dieser Grundlage ihre Programme, Konzepte und Maßnahmen in den betreffenden Stadtteilen.
24 Prozent der Kölner gelten als armutsgefährdet. Hat sich die Entwicklung verschärft?
Wir haben die Strukturdaten zuletzt 2016 erhoben. Damals waren 23 Prozent der Kölnerinnen und Kölner armutsgefährdet. Wenn man die stichprobenbedingte Schwankung bedenkt, ist der Anteil armutsgefährdeter Kölner stabil geblieben.