StraßenmusikerWarum sie der Stadt auch Probleme bereiten

Im erlaubten Bereich befindet sich dieser Saxophonist auf der Domplatte.
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Köln – An diesem Nachmittag ist er alleine vor dem Dom. Der Schotte Luke entlockt seinem Dudelsack unüberhörbar „Amazing Grace“. Auch wenn die Musik vielleicht nicht jedem gefällt, Luke hält sich an die städtischen Vorgaben. Er steht an einer der wenigen Stellen, an denen Straßenmusik im Domumfeld erlaubt ist. Vier solcher Plätze gibt es im Domumfeld, gekennzeichnet sind sie durch einen gut sichtbaren Notenschlüssel.
Vorgaben durch die Kölner Stadtordnung
Die Vorgaben für Straßenkunst sind in der Kölner Stadtordnung (KSO) verankert.
Nach Paragraph 9 KSO darf nur in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde musiziert und dargeboten werden. Zwischen 21.30 und 10 Uhr ist spielfreie Zeit. Verboten sind zudem lautstarke Darbietungen, die eine erhebliche Belästigung für andere darstellen.
Seit 2018 gilt außerdem ein generelles Verbot von Lautsprechern und Verstärkern. Des Weiteren macht die Kölner Stadtordnung auch Vorgaben für den Standort. Nach 30 Minuten muss der Standort gewechselt werden.
Der neue Spielort muss so gelegen sein, dass am vorherigen Spielort die Musik oder Darbietung nicht mehr hörbar ist, mindestens aber 300 Meter entfernt. Jeder Standort darf am Tag nur einmal aufgesucht werden.
Nach Paragraph 10 der KSO sind Störungen der Ruhe in Krankenhäusern, Heimen für ältere Menschen und anderen schutzwürdigen Einrichtungen sowie die Störung von Gottesdiensten, Prozessionen und Schulunterricht verboten. (dha)
Seit der lautstarken Debatte um störende Straßenmusik in der Innenstadt vor mehr als zwei Jahren war es eine ganze Weile ruhig geblieben. Nicht nur in den Straßen, auch im politischen Raum. Schuld war Corona. Erstens gab es kaum Touristen, dementsprechend auch wenig Musik. Und wenig Klagen. Während 2018 die Anwohner des Wallrafplatzes noch entnervt drohten, die Stadt zu verklagen, wenn sich nicht bald eine wirksame Lösung gegen zu viel Lärm vor der Haustüre fände, tat sich gut zwei Pandemiejahre lang eine fast gespenstische Ruhe auf.
Doch das ist vorbei. Domplatte, Hohe Straße, Schildergasse − pickepackevoll. Die Menschen sind zurück, und ebenso die Straßenmusik. „Es wird wieder schlimmer“, sagt eine Mitarbeiterin der Physiotherapie-Praxis am Wallrafplatz. Physiotherapeutin Stefanie Grueter ist gerade in Urlaub. Sie gehörte zu jenen Anwohnern, die 2018 die Musik nicht mehr ertragen konnten. „Da kann man nur aggressiv und krank werden“, sagte sie gegenüber der Rundschau. So groß wie damals ist der Unmut offenbar noch nicht. Aber der frust nimmt wieder zu. Die Mitarbeiterin klagt: „Das Ordnungsamt kümmert sich nicht.“
Weniger Beschwerden als 2017
Das sieht die Stadt anders. „Der Ordnungsdienst kontrolliert die Einhaltung der Regeln im Rahmen seiner täglichen Präsenzstreifen vor Ort. Bei festgestellten Verstößen werden entsprechende ordnungsrechtliche Maßnahmen durchgeführt“, heißt es auf Nachfrage. Wie viele offizielle Beschwerden es bisher gab, kann die Stadt nicht sagen. Es dürften aber deutlich weniger sein, als 2017, als es zwischen März und September 329 Beschwerden gab.
„Das Ordnungsamt kontrolliert mich durchaus manchmal. Vor allem achten sie darauf, dass ich nicht länger als eine halbe Stunde spiele“, sagt Luke, der angibt, dass er seit rund sieben Jahren auf Kölner Straßen spielt. Seinem Dudelsack entlockt er durchaus laute Töne, zum Teil in fast schmerzhaften Tonlagen.
Darüber, wie laut die Musik exakt ist, kann man nur spekulieren. Denn noch hat die Verwaltung das 2020 beschlossene Pilotprojekt, bei dem zwei Jahre lang eine Dezibelmessung an den Musizier-Stellen um den Dom erfolgen sollte, nicht gestartet. „Dieses Teilprojekt wurde Corona-bedingt noch nicht umgesetzt, was jedoch für die zweite Jahreshälfte dieses Jahres geplant ist“, teilt die Stadt auf Rundschau-Nachfrage mit. Alles, was deutlich über 80 Dezibel hinausgeht, sollen Schallmessgeräte automatisch ans Ordnungsamt melden.
Gesang oft sehr laut
Allerdings nur, so lange die Musik an einer der vier ausgewiesenen Stellen um den Dom erklingt. In den Fußgängerzonen beispielsweise wird es solche festen Messgeräte nicht geben. Nötig wären sie aber. 102 Dezibel – das entspricht in etwa dem Geräuschpegel einer einfahrenden U-Bahn und liegt nur knapp unter Motorsäge – wurden von der Rundschau mit einer Smartphone-App auf der Hohe Straße gemessen. Ausgangspunkt war eine osteuropäische Großfamilien-Combo, die herzhaft eine Volksweise im Chor schmetterte.
Ein Phänomen, das zunimmt. „Ich merke, dass die organisierte Bandmusik mehr geworden ist. Wenn immer die selben Stücke gespielt werden, ist das eine Bettelmusik“, urteilt Innenstadt-Bürgermeister Andreas Hupke (Grüne) − und findet das nicht gut. Sein Vorschlag war schon vor Jahren, eine Art „Musik-TÜV“ einzuführen, der die Qualität der Straßenmusik garantieren soll. Wie genau, weiß er auf Anhieb nicht. Nur so viel: „Als mein Bruder in Paris als Maler auf der Straße sein wollte, musste er auch durch eine Art Mal-TÜV.“ Stille will Hupke allerdings nicht, Qualität ist ihm wichtig. Seine Meinung: „Musik ist doch Brot für die Seele.“
Plädoyer für eine „Straßenkunstordnung“
Eine Einstellung, die Sozialarbeiter, Streetworker und Straßenmusiker Franco Clemens wohl voll und ganz unterschreibt. Zwar möchte er auf keinen Fall eine Art Münchener Modell, das vor Jahren beinhaltet habe, dass man vorspielen musste, um einen Erlaubnis-Stempel zu bekommen. Aber eine verständliche und an die Bedürfnisse von Künstlern angepasste Straßenkunstordnung fände Clemens ausgezeichnet. „Dazu würden dann auch Info-Flyer in verschiedenen Sprachen gehören, die Künstler auch auf Auftrittsorte außerhalb des Domradius hinweisen. Es gibt schließlich immer mehr autofreie Zonen, wie die Ehrenstraße, wo es auch Raum für Straßenkunst gibt“, sagt Clemens.
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Dezibel-Zahlen hält er für „Blödsinn“, ebenso wie das generelle Verbot von elektrischen Verstärkern, das es in Köln gibt. Wichtig sei dagegen, dass der Umgang mit der Straßenkunst an das Kulturamt angebunden sei. Derzeit gäbe es in Köln eine Überreglementierung, die dafür gesorgt habe, dass die Straßenkulturszene, zu der auch Malerei, Puppen- oder Theaterspiel gehört, im Argen läge.
„Für Profi-Musiker ist Köln kein gutes Pflaster“, urteilt Clemens. Die würden inzwischen lieber in kleineren Städten wie Freiburg spielen. Auch Berlin habe gute Ecken. Fehlende Professionalität gehe oft mit einem kleinen Repertoire einher. Und dass das ein stümperhaftes Vorgetragen nerven kann, versteht auch Clemens: „Ich möchte auch nicht den ganzen Tag ,El Condor pasa’ hören“, formuliert er mit Verständnis für gestresste Geschäftsleute.