Rhein-ReportageWSA – Die Wächter der Fahrrinne
Köln – Das Dienst-Handy von Rolf Nagelschmidt (63) klingelt derzeit ziemlich oft. Wenn besorgte Bürger bei Behörden anrufen, weil sie verdächtige Gegenstände im Rhein entdeckt haben, wird das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Köln (WSA) informiert. Und das ist momentan wegen des Niedrigwassers häufig der Fall. Aber nicht nur dann.
„Am Mittwoch hat die Besatzung des Baggerschiffs an der Hohenzollernbrücke eine Granate aus dem Krieg entdeckt. Die war zum Glück leer. Danach hieß es, vor dem Tanzbrunnen liege ein Blindgänger. Hat sich aber als harmlos herausgestellt“, berichtet der Wasserbaumeister.
Der Rhein verändert sich ständig
Er ist seit 46 Jahren beim WSA Köln, kennt den Rhein wie seine Westentasche. Wir sind mit der Crew des Verkehrssicherungsschiffs „Köln“ unterwegs, eines von vier Schiffen, mit denen das WSA, eine Bundesbehörde, für die Sicherheit der Schifffahrt sorgt. Soeben passieren wir die „Deutzer Platte“ – die Untiefe im Rhein zwischen Deutzer Brücke und Severinsbrücke. „Auf Höhe der Einfahrten in den Deutzer Hafen und den Rheinauhafen wird der Rhein breiter, fließt dadurch langsamer und lädt mitgebrachten Kies hier ab“, erläutert Nagelschmidt. Bei Niedrigwasser fahren sich hier immer wieder Schiffe fest. „Einmal waren es vier Stück an einem Tag.“ Das WSA lässt die Kiesbank daher etwa alle eineinhalb bis zwei Jahre abbaggern. „Wir sind dafür zuständig, dass die 150 Meter breite Fahrrinne frei gehalten wird.“
Das WSA Köln kümmert sich um die 38,7 Rheinkilometer zwischen Porz und Zons. Zweimal pro Jahr wird mit dem Peilschiff „Gereon“ untersucht, ob sich neue Untiefen gebildet haben, auf der Deutzer Platte auch öfter. „Der Rhein verändert sich ständig. Auf seinem Weg in die Nordsee bringt er alles Mögliche mit – Kies, Sand, Müll, Schrott“, so Nagelschmidt.
Viele Bäche führen bereits kein Wasser mehr - Ein Kommentar von Ingo Schmitz
Dass der Pegel des Rheins dramatisch gesunken ist, das hatte ein Vorspiel – und zwar in den Bächen Kölns. Mag der Rhein immerhin noch Wasser führen, in vielen seiner Zuflüsse sieht das mittlerweile anders aus. „Alle Bäche, die im Königsforst entspringen, sind bereits trocken gefallen. Dies sind der Flehbach, der Selbach, der Wasserbach, der Giesbach und der Kurtenwaldbach“, sagt Stefan Sonntag von den Stadtentwässerungsbetrieben Köln. Die sind für die 15 Kölner Parkweiher und die Kölner Bäche zuständig.
Nebst den Bächen aus dem Königsforst gibt es weitere auf dem Kölner Stadtgebiet. Die sind zwar noch nicht trocken gefallen. Gut sieht es für sie dennoch nicht aus. „Ihr Wasserstand ist sehr niedrig“, berichtet Sonntag. Immerhin sei in ihnen aber noch Wasser vorhanden. Für die Wassertierwelt ist das lebensrettend. Zwar reicht der Pegel im weiten Verlauf der noch Wasser führenden Bäche nicht mehr zum Überleben. Dramatischer ist die Lage natürlich noch in den trocken gefallenen Bächen. Doch die sogenannten Sandfänge sind vor allem für die Fische die Rettung. Dabei handelt es sich entweder um Becken oder Ausweitungen der Bäche. „Dort ist noch ausreichend Wasser vorhanden, sodass Fische und Bachlebewesen diese Bereiche als Rückzugsorte nutzen können“, sagt Sonntag.
So befinde sich beispielsweise im Flehbach an der Straßenunterführung am Brücker Marktplatz selbst bei extremer Trockenheit noch Wasser. Um das sicherzustellen, unternehmen die Mitarbeiter der Steb regelmäßige Kontrollgänge. Sollte dabei auffallen, dass im Bereich der Unterführung der Pegel sinke, könne notfalls über ein Standrohr Wasser nachgefüllt werden, um den Rückzugsraum sicherzustellen. Das gelte für alle Bereiche der sogenannten Sandfänge.
Weit weniger dramatisch gestalte sich die Lage bei den Parkweihern. „Die werden mittlerweile alle aus Grundwasserbrunnen gespeist“, erklärt Sonntag. So seien sie vorm Austrocknen geschützt. Dennoch finden auch für sie Kontrollgänge durch die Steb-Experten statt. Entsteht durch die Hitze und Verdunstung beispielsweise Sauerstoffmangel, werde mit Sprudlern belüftet.
Auch Blindgänger und Munitionsreste können auf diese Weise nach Köln gespült werden. „Oder sie lagen viele Jahre im Kies versteckt und werden jetzt freigelegt.“ Das liege teils daran, dass Schiffsschrauben den Kies aufwirbeln und neu verteilen – bei Niedrigwasser mehr, als wenn sich drei, vier Meter Wasser zwischen Propeller und Flussgrund befinden.
„Kleinwasserzuschlag“ funktioniert nicht mehr
2,50 Meter Mindesttiefe soll die Fahrrinne normalerweise haben. „Das ist bei den aktuellen Wasserständen nicht drin, daher müssen wir das an die Schifffahrt melden“, so Nagelschmidt. Bei rund 75 Zentimetern lag der Pegel zuletzt – kaum mehr als der Rekord von 2018 (67). Das ist aber nicht die absolute Tiefe. „In Köln muss man auf den Pegel 1,11 Meter dazurechnen, somit sollte die Fahrrinne mindestens rund 1,86 Meter tief sein.“
„Kleinwasser“ nennt man das in der Branche. Schiffe können dann kaum Ladung transportieren, weil sie sonst auf Grund laufen. Wer trotzdem fährt, kassiert den „Kleinwasserzuschlag“ – früher ein einträgliches Geschäft.
Jetzt, bei hohen Dieselpreisen und extrem niedrigen Pegeln, scheint es nicht mehr zu funktionieren: Der Rhein wirkt fast wie ausgestorben, man sieht kaum Schiffe. Dann tuckert ein Tanker vorbei, er ragt hoch aus dem Wasser auf. „Der ist leer“, so Nagelschmidt. „Man sieht keine Bugwelle, weil die ganz langsam fahren.“ Das spart Sprit und verhindert, dass aneinander vorbeifahrende Schiffe sich gegenseitig das Wasser wegsaugen.
Ein Monitor an Bord der „Köln“ zeigt per Echolot und Radar die Lage der Fahrrinne, die aktuelle Schiffsposition sowie mögliche Hindernisse und hilft so beim Navigieren. Zurück im Mülheimer Hafen, wo die „Köln“ stationiert ist, zeigt sich die Trockenheit auch hier. Eine Yacht und ein Hausboot sitzen im Schlick fest. Auf dem Hof des WSA zeigt Nagelschmidt, was sein Team zuletzt alles aus dem Rhein geholt hat.
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Verrostete Anker, ein halbes Auto, Reste eines Mopeds und armdicke Kabel sind darunter. 1993 lag hier monatelang unerkannt eine Luftmine mit 2000 Kilo TNT aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Kampfmittelräumdienst hatte sie irrtümlich als ungefährlichen Druckbehälter eingestuft. Das WSA sammelte sie ein und brachte sie in den Hafen. Monate später nahm ein Chemiker Proben, schraubte dafür den Zünder heraus. Im Labor kam raus: Es ist eine Bombe. „Wir haben Riesenglück gehabt“, so Nagelschmidt.