Schlechte Noten für das Wissen deutscher Schüler bescheinigt die jüngste Pisa-Studie. Was sich aus Sicht von Kölner Pädagogen ändern müsste.
Pisa-StudieSo reagieren Kölner Lehrkräfte auf den Bildungs-Schock
„Ich wundere mich überhaupt nicht über das schlechte Ergebnis der Pisa-Studie“, sagt Eva-Maria Zimmermann. Die Geschäftsführerin des Kölner Stadtverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte als entscheidenden Schlüssel für die schlechten Leistungen der Schüler, die in der am Dienstag veröffentlichten Pisa-Studie angemahnt wurden.
„Viele Lehrkräfte haben keine Entlastung, keinen freien Abend und keine freien Wochenenden“, erklärt Zimmermann. Sie würden in Teilzeit gehen, um die Arbeit einer Vollzeitstelle zu bewältigen. Das System funktioniere nur noch mit massiver Mehrarbeit. „Das war ein Scheitern mit Ansage. Wenn das so weitergeht, dann ist das erst der Anfang“, warnt die GEW-Sprecherin. Eine Einschätzung die Kölner Lehrkräfte teilen.
Personalmangel und zu wenig Geld als Schlüssel des Problems
Susanne Gehlen, Schulleiterin des Genoveva-Gymnasiums in Mülheim, auf deren Gymnasium viele Schülerinnen und Schüler mit Wurzeln im Ausland gehen, sagt vehement: „Wir haben ein absolut unterfinanziertes Schulsystem. Ich kriege definitiv zu wenig Planstellen.“ Gehlen verweist allerdings auch darauf, dass nicht die Migration das Problem bei Bildungsdefiziten sei. „Die Milieus sind das Problem, nicht die Migration“, sagt sie. Damit meint sie Kinder aus bildungsfernen Schichten, deren Familie sich wenig um Erziehung kümmert.
Diese Einschätzung teilt Regine Brand-Schmidtlein, Koordinatorin für Sprachen an der Heinrich-Böll-Gesamtschule (HBG) in Chorweiler. „Dass deutsche Schülerinnen und Schüler beim Lesen schlecht abgeschnitten haben, wundert mich nicht“, sagt Brand-Schmidtlein. In der HBG gibt es zahlreiche Kinder, die nur wenig Deutsch können, weil sie kürzlich erst geflüchtet sind. „In jeder Deutschstunde in der fünften Klasse lesen sich die Schülerinnen und Schüler jetzt im Tandem etwas vor. Die Kinder machen das gerne. Aber man muss da dran bleiben, es ist eine Frage der Übung“, sagt die Lehrerin. In der Pisa-Studie, in der weltweit der Wissensstand von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern abgefragt wird, war unter anderem das Leseverständnis in Deutschland bemängelt worden.
Lehrerin berichtet von Überlastungsdepression
„Bildung zu vermitteln, ist viel Arbeit“, unterstreicht die Pädagogin aus Chorweiler. Auch sie wünscht sich „mehr fähiges Personal und weniger Formulare“. Gut seien die so genannten MPT-Kräfte, multi-professionelle Kräfte, die im Kollegium mithelfen und der Schülerschaft ganz unterschiedliche Fähigkeiten vermitteln.
Dass Pädagogen für ihre Arbeit brennen, wird im Gespräch immer wieder deutlich. „Immer mehr kommen durch die Arbeitsbedingungen aber in den Burnout“, sagt GEW-Sprecherin Zimmermann. Belastbare Zahlen dazu sind nicht zu finden. Lisa Schmitz (Name geändert) ist eine von ihnen. Die 37-Jährige unterrichtete an einer Kölner Gesamtschule im Aufbau Deutsch, Geschichte und Kunst. Ihre Aufgaben neben der Unterrichtsvorbereitung unter anderem: Kernlehrpläne und Schulcurricula erstellen, eine Klasse leiten, Eltern beraten, an Schul- und Fachkonferenzen teilnehmen, Klausuren erstellen und korrigieren und Fachpraktika und Berufsorientierung begleiten. „Dazu kommen dann Vertretungen in Klassen, in denen die Lehrkraft ausgefallen ist und Aufsicht während der Pausen“, sagt Schmitz. Und nicht nur das. Die Schülerinnen und Schüler sind oft unkonzentriert. „Die meiste Zeit einer Unterrichtsstunde verbringe ich damit, dass wir lernbereit werden.“
25,5 Unterrichtsstunden hatte Schmitz zu leisten. Mit den zusätzlichen Arbeiten sei sie auf etwa 60 Wochenarbeitsstunden gekommen, schätzt sie. Irgendwann konnte sie nicht mehr schlafen. „Dann hatte ich Panikzustände. Ich konnte ohne Heulkrämpfe nicht mehr zur Schule fahren“, berichtet die Lehrerin. Diagnose: Überlastungsdepression. Ein anderer Ausdruck für Burnout. Inzwischen arbeitet Schmitz wieder. An einer anderen Gesamtschule. Sie wünscht sich ebenfalls mehr Personal und weniger Bürokratie. „So wie es ist, haben wir für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder keine Ressourcen“, sagt Schmitz.
Anderer Ansatz an der Helios-Schule
Was sie sich wünscht, ist eine andere Art von Schule. Seit 2018 wird an der Kölner Helios-Gesamtschule Bildung zum Teil neu gedacht und gemacht. „Mir wird immer klarer, dass die Beziehungsarbeit in der Schule immer wichtiger wird“, sagt Schulleiter Andreas Niessen. Bevor die Schülerinnen und Schüler lernen können, müsse eine vertrauensvolle Basis geschaffen werden. An der Helios-Gesamtschule, die eine Inklusive Universiätsschule ist, sind viele neue Formate geschaffen worden.
Statt der klassischen Splittung in Unterrichtsstunden, wird in Projekten fächerübergreifend Wissen erworben. Zudem gibt es regelmäßig eine Lernberatung. „Dabei wird gefragt, was der Einzelne braucht. Wir arbeiten ressourcenorientiert“, sagt Niessen. In festen und offenen Gruppen üben sich die Schülerinnen und Schüler in Selbststeuerung. Basiswissen wird in Forscherinnen-Projekten vertieft. Einen regulären Schulabschluss mit Noten machen die Absolventen der Helios-Schule auch. „Wir brauchen eine grundlegende strukturelle Veränderung im Schulsystem“, ist der Schulleiter überzeugt. Damit meint er auch das Konzept der Teamschule. Statt als Einzelkämpfer arbeiten die Lehrkräfte in der Helios-Schule als Teams. Eine Konsequenz laut Niessen: „Bei uns fällt nie Lernzeit aus.“