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Drach-Prozess in KölnNeues Gutachten beurteilt Videobeweise anders

Lesezeit 3 Minuten
Der Angeklagte Thomas Drach sitzt mit einem Mund-Nasen-Schutz auf der Anklagebank im Kölner Landgericht.

Im Prozess um Thomas Drach gibt es ein neues Gutachten.

Der Angeklagte Thomas Drach soll mehrere Geldtransporter überfallen haben. Dafür gab es Videobeweise, beurteilt von einem Gutachter, der jedoch an Glaubwürdigkeit verlor. Eine neue Sachverständige hat nun andere Erkenntnisse.

Zu „95 Prozent“ sei Drach Täter bei zumindest zwei von vier ihm im Prozess vor dem Landgericht zur Last gelegten Raubüberfällen — so jedenfalls lautete das Ergebnis des Gutachtens des Bild-, Video- und Digital-Forensikers George A. Rauscher, das er im September dieses Jahres dem Gericht vorgestellt hatte. In seiner Gesamtheit galt das Rauscher-Gutachten als das Beweismittel, das Drach in dem Prozess mit am schwersten belastete.

Doch dann schied der Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Prozess aus. Neue Gutachten mussten her. Nach Informationen der Rundschau kommt die forensisch-anthropologische Sachverständige Dr. Kerstin Kreutz in ihrem vorläufigen schriftlichen Gutachten zu einem deutlich von Rauschers Fazit abweichenden Ergebnis.

Vergleich von Körperproportionen führte zur Beurteilung

Lediglich als „wahrscheinlich“ bewertet Kreutz demnach die Identität des 62-jährigen Drach mit den auf Aufnahmen von Überwachungskameras festgehaltenen Akteuren bei den Raubüberfällen auf Werttransporter an Ikea-Märkten in Köln und Frankfurt am Main sowie am Flughafen Köln/Bonn. Lediglich beim Überfall am Flughafen Köln/Bonn kommt Drach laut der Sachverständigen mit geringfügig höherer Wahrscheinlichkeit als Täter infrage.

Die Beurteilung erfolgte anhand von Vergleichen der Körperproportionen der auf den Videos zu sehenden Täter sowie dem Angeklagten Drach. Am Mittwoch ist Kreutz zu Gericht geladen, um ihr Gutachten vorzustellen. Ein vierter Drach zur Last gelegter Überfall im hessischen Limburg ist nicht Gegenstand des Gutachtens, da es von diesem Überfall kein Videomaterial gibt.

Starke Abweichung der Gutachten von zwei Sachverständigen

Die Bewertungskategorien „wahrscheinlich“ beziehungsweise „eher wahrscheinlich“ sind die niedrigsten im Bewertungsraster. Darüber befinden sich in aufsteigender Reihenfolge noch die Bewertungen „sehr“ und „höchstwahrscheinlich“ sowie die Kategorie „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“.

Eine starke Abweichung zwischen dem Rauscher-Gutachten und der neuen Expertise besteht darin, dass Kreutz keine Angaben zu den Gesichtern der bei den Taten gefilmten Personen macht. Kopf- und Gesichtsvermummung verdecken demnach den oder die Täter „nahezu vollständig“. Gesichtsmerkmale seien nicht zu erfassen, war aus Justizkreisen zu erfahren.

Methoden von Rauscher wurden vor Gericht kritisiert

Rauscher hatte hingegen „übereinstimmende morphologische Merkmale am Kopf“, wie er in der Verhandlung am 29. September 2022 gesagt hatte, festgestellt. So hatte Rauscher zwischen der Abbildung eines Täters und Drach eine „identische Höhe der Stirn von der Nasenwurzel zum geschätzten Haaransatz“ erkennen wollen. Schätzen musste Rauscher den Haaransatz, weil der Täter eine Kopfbedeckung trug.

Eine Aussage, die die Verteidiger von Drach und dessen niederländischen Mitangeklagten (54) als „unwissenschaftlich“ brandmarkten. „Was nicht nachvollziehbar ist, ist Unsinn“, hatte Drach-Verteidiger Dirk Kruse eingeworfen — es war noch eine der freundlicheren Vorhaltungen, die sich Rauscher an jenem Prozesstag hatte anhören müssen. Aber auch Drach hatte an dem Tag Rauschers Aussagen mehrfach kritisiert und sogar ins Lächerliche gezogen.

Als Rauscher von einem „flachen Nasenboden“ bei Drach sprach und diesen mit einem unscharfen Bild, das angeblich die Nase eines Täters zeigte, verglich, ätzte der 62-Jährige: „Da hat er eine Knollen-Nase“ und lachte. Später machte Drach den Vorschlag, die Aufnahme des Täters mit dem Vorsitzenden Dr. Jörg Michael Bern zu vergleichen: „Der sieht auch so aus“, befand Drach.

Neben Aussagen zum Körperbau und der Gesichtsmorphologie hatte Rauscher in einem sogenannten „Watschel“-Gutachten den Gang der Täter auf den Überwachungsvideos mit dem Drachs verglichen, der starke X-Beine hat. Mit diesem Teil der Begutachtung hat das Gericht einen Biomechaniker von der Kölner Sporthochschule beauftragt. Er soll am Freitag aussagen.


Der Fall Rauscher

George A. Rauscher war am 7. Oktober auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Prozess ausgeschieden. Zuvor soll er einem Reporter Geld für eine ihm genehme Berichterstattung angeboten haben. Der Reporter verweigerte die Annahme und schilderte den Vorfall der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft. In einer Stellungnahme gegenüber dem Gericht bestritt Rauscher den Vorfall pauschal und brachte zum Ausdruck, dass er „ausschließlich negative Gefühle“ gegenüber den Verteidigern von Drach empfinde. (ta)