Nach der Forum-StudieSo geht die evangelische Kirche in Köln und Region mit  Missbrauchsfällen um

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Rede und Antwort standen Pfarrerin Miriam Haseleu und  Stadtsuperintendent Bernhard Seiger.

Rede und Antwort standen Pfarrerin Miriam Haseleu und Stadtsuperintendent Bernhard Seiger.

Die Studie, die Fälle von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche in Deutschland enthüllte, erschütterte. So geht es jetzt in Köln und Region weiter.

„Unsere Kirche hat versagt und Schuld auf sich geladen“, Stadtsuperintendent Bernhard Seiger beschönigt nicht, wenn es um das Ergebnis der Forum-Studie geht, die Anfang des Jahres die evangelische Kirche in Deutschland erschütterte. Ihr Ergebnis: Es gab Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche - durch Pfarrpersonen, auf Jugendfreizeiten, in Kinderheimen.  Nachdem die Studienergebnisse bekannt wurden, habe es laut Seiger Irritation gegeben, dass die Studie schon die Aufarbeitung sei. Das sei auf keinen Fall so. 

„Ein erster Schritt“ in Richtung Aufarbeitung, das sei die Studie. „Was jetzt folgt, ist die Aufarbeitung in der regionalen Aufarbeitungskommission Rheinland, Westfalen und Lippe.“ Am vergangenen Samstag habe es in Dortmund ein erstes Betroffenentreffen gegeben. 65 Betroffene seien dabei gewesen. 35 von ihnen haben sich, so Seiger, bereiterklärt, im Aufarbeitungsprozess aktiv mitzuarbeiten. „Ich habe etliche Gespräche mit Betroffenen geführt“, sagt Seiger und verweist darauf, dass der Ausdruck Opfer bewusst nicht gewählt werde.

Die Betroffenen „bestimmen wesentlich mit“, wie es weitergeht. Sowohl bei der Aufarbeitung als auch bei der Höhe der Anerkennungsleistungen. „Betroffene müssen bei uns wirkmächtig sein und erleben, dass sie im Zentrum stehen und die Sprache und den Stil der Aufarbeitung bestimmen“, unterstreicht Seiger. Das sei besonders wichtig, denn: „Die Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, haben die Erfahrung gemacht, dass sie instrumentalisiert und manipuliert wurden.“

Zeit nehmen für die Aufarbeitung

Aus dieser Haltung folgere, dass die Aufarbeitung Zeit brauche. Die Qualität der Aufarbeitung sei wichtiger als Schnelligkeit. „Wenn Gefühle und Schmerzen der Erinnerung aufkommen, haben die natürlich Vorrang. Geschwindigkeit ist also nicht der Maßstab bei der Aufarbeitung“, sagt Seiger. 

Wichtig ist der Evangelischen Kirche, dass dabei nicht der Eindruck entsteht, die Kirche arbeite ihre Angelegenheiten intransparent und abgeschottet auf. Die unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbraucht der Bundesregierung, Kerstin Claus, habe das Schema für die Aufarbeitung erstellt. „Unsere Landeskirche hat mit 23 Staatsanwälten Verträge geschlossen, so dass diese in die Kirchenkreise kommen und das potentielle Material aufgrund von Meldungen sichten und die Ergebnisse der Kommission weitermelden“, informiert der Superintendent. Mit Plakaten, in Gemeindebriefen und auf Homepages werde dazu aufgerufen, sich zu melden, wenn man von sexualisierter Gewalt und Übergriffen in der Vergangenheit weiß oder selber betroffen ist. 

Viele Betroffene trauen sich jetzt

Betroffene, die sich erstmals zu Wort meldeten, habe es im Kirchenkreis  bisher nicht gegeben. Stattdessen seien es Menschen, die bisher trotz einer Äußerung kein Gehör gefunden hätten. „Viele trauen sich jetzt mehr, sich zu melden, eben weil das Thema jetzt so präsent ist“, sagt Seiger. Die Gespräche brauchen Sensibilität, oft sind die Betroffenen in der Vergangenheit zurückgewiesen worden. „Allein ein anerkennender Brief kann für Betroffene ein ganz wichtiges  Zeichen sein“, hat Seiger festgestellt und glaubt angesichts des neuen Kirchen-Klimas: „Das ist ein Segen der Forum-Studie. Es wird ihnen geglaubt.“ Konkrete Zahlen von Fällen aus dem Kirchenkreis nennt er  nicht, da zunächst in Gesprächen geprüft werde.

In Folge der Studienergebnisse steht kirchenintern einiges auf dem Prüfstand. So finden im Kirchenkreis Köln und Region bereits jetzt regelmäßig Fortbildungen zum Themengebiet statt. „Auch die kirchliche Sprache in Bezug auf Vergebung gilt es zu hinterfragen“, sagt Miriam Haseleu, Synodalassessorin des Kirchenkreises Köln-Mitte und Vertrauensperson für die Kontaktaufnahme bei Meldungen von Verdachtsfällen von sexualisierter Gewalt. Betroffene in evangelischen Gemeinden seien vielfach mit der Forderung konfrontiert worden, dass sie ihren Tätern vergeben sollten und müssten. „Das ist nicht tragbar und solche Vergebungsforderungen verschieben Verantwortlichkeiten und Schuldzuweisungen weg von den Tätern und Verantwortlichen hin zu den Betroffenen. Wir brauchen neue Schuldbekenntnisse“, sagt Haseleu.


Vertrauenspersonen

Im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region sind Vertrauenspersonen ein erster Ansprechpartner, an den man sich beim Verdacht von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche oder unter Mitarbeitenden wenden kann. Sabine Marx ist unter der Kölner Nummer 47445514 oder unter marx@fbs-koeln.org zu erreichen; Lukas Pieplow unter 9731770 oder pieplow.lukas@netcologne.de.

Ein begründeter Verdacht muss der landeskirchlichen Meldestelle unter 0211 - 4562602 gemeldet  werden.

Kirchenunabhängige Stellen wie das Jugendamt oder die Familienberatung der Stadt Köln können ebenfalls kontaktiert werden.

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