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MiQua-BaustelleSo spannend wird das Jüdische Museum in Köln

Lesezeit 6 Minuten
Im Untergeschoss des MiQua entsteht ein archäologischer Parcours mit Zeugnissen aus mehr als 2000 Jahren Kölner Geschichte.

Im Untergeschoss des MiQua entsteht ein archäologischer Parcours mit Zeugnissen aus mehr als 2000 Jahren Kölner Geschichte.

Seit 2017 wird am Jüdischen Museum „MiQua“ in Köln gebaut. Hier entsteht ein ganz besonderer Ort, der weltweit seinesgleichen suchen wird.

Es ist die wohl komplizierteste Museumsbaustelle in der Geschichte Kölns. Seit bald sieben Jahren wird vor dem Rathaus am Jüdischen Museum im Archäologischen Quartier, kurz MiQua, gebaut. Immer wieder kam es bei dem Projekt zu Verzögerungen. Statt der ursprünglich veranschlagten Baukosten von 48 Millionen Euro werden auch die zuletzt genannten 127 Millionen nicht reichen. Und einen konkreten Fertigstellungstermin nennt die Stadt derzeit nicht, angestrebt wird 2027.

Doch es gibt auch wieder gute Nachrichten. Nachdem die Stadt 2021 dem ersten Stahlbauer wegen Mängeln gekündigt hatte, kommt die Baustelle derzeit unter dem neuen Stahlbaukonsortium gut voran. Wie berichtet, wurde Ende Oktober die letzte der großen „Stahlrauten“ - stählerne Wandelemente mit Rautenmuster - montiert, die künftig die Reste der Synagoge und des jüdischen Kultbads Mikwe einrahmen.

Während der Hochbau des Museums immer mehr Gestalt annimmt, bleibt der eigentliche Kern des Hauses jedoch den Blicken verborgen. Und vielleicht ist es angesichts der langen Debatte über Bauzeit und Kosten vielen gar nicht mehr bewusst, dass hier ein ganz besonderer Ort entsteht, der weltweit seinesgleichen suchen wird.

Römische Ruinen und Keller aus dem Mittelalter

Tief unter dem Rathausplatz findet sich ein einzigartiges archäologisches Erbe, das einmal das Herz des Museums bilden wird. Hier, im ehemaligen jüdischen Viertel Kölns, stehen römische Ruinen neben Resten jüdischer und christlicher Häuser aus dem Mittelalter und Kellern der Neuzeit, die bis zum Bombenhagel 1942 genutzt wurden.

Im Museum werden diese Zeugnisse aus 2000 Jahren Stadtgeschichte künftig in einem 600 Meter langen, barrierefreien Rundgang präsentiert und mit archäologischen Funden kombiniert, die an Ort und Stelle gemacht wurden. „Wir haben zahlreiche Schiefertafeln mit hebräischen Graffiti entdeckt, Schmuck, Münzen, Keramik und vieles mehr“, erläutert Grabungsleiter Michael Wiehen.

Die hebräische Inschrift an der Latrine verblüffte die Archäologen.

Die hebräische Inschrift an der Latrine verblüffte die Archäologen.

Bereits seit 2007 wurde auf dem Rathausplatz gegraben. Mit dem Baubeginn des MiQua im Jahr 2017 begannen die Archäologen, in neue Bereiche vorzustoßen, und machten spektakuläre Funde. Die sind manchmal im wahrsten Sinne des Wortes profan. An einer mittelalterlichen Latrine wurde eine kunstvoll gearbeitete steinerne Inschrift auf Hebräisch entdeckt. „Übersetzt lautet sie: Das ist das Fenster, durch das die Exkremente herausgeholt werden“, erläutert Wiehen. Es handele sich um eine Art Gebrauchsanweisung, wie die Fäkaliengrube entleert werden müsse, um den benachbarten Hof der Synagoge nicht zu entweihen. „Eine solche Inschrift aus dem Mittelalter ist einmalig. Das wird ein Selfie-Hotspot“, ist der Grabungsleiter überzeugt.

Stumme Zeugen der Pogromnacht 1349

Ein paar Meter weiter haben die Archäologen einen rund 1,5 Meter hohen Bodenquerschnitt freigelegt, „in dem 12 000 Jahre Kölner Geschichte versammelt sind“, so Wiehen. Oben liegt der Schutt des zweiten Weltkriegs, weiter unten der Zerstörungshorizont des Judenpogroms von 1349, als in der Nacht vom 23. auf den 24. August alle Kölner Juden ermordet oder vertrieben wurden und das jüdische Viertel in Flammen aufging. Darunter folgen ein römischer Estrich samt Fundament und schließlich eine Aschenschicht aus der Zeit der Vulkanausbrüche am Laacher See in der Eifel.

„Diesen Bodenquerschnitt werden wir an Ort und Stelle belassen und im Museum präsentieren“, kündigt der Grabungsleiter an. Er ist eines von vielen Beispielen dafür, dass beim Bau des Museums immer wieder Unvorhergesehenes passiert und umgeplant werden muss, damit neu hinzugekommene Funde erhalten und gezeigt werden können.

Wir geben der Archäologie immer den Vorrang. Die Archäologie ist der Grund, warum wir dieses Museum bauen.
Matthias Zoppelt, Oberbauleiter MiQua

Das ist eine ständige Herausforderung für die Bauleute. „Wir wechseln sehr häufig die Konzepte, weil wir der Archäologie immer den Vorrang geben“, betont Oberbauleiter Matthias Zoppelt. „Dann ändern wir die Parcoursführung, das erfordert neue Planungen und neue statische Berechnungen. Aber es muss einfach sein, denn die Archäologie ist der Grund, warum wir dieses Museum bauen.“

Oberbauleiter Matthias Zoppelt zeigt, wie das historische Mauerwerk aufwendig mit Stahlbetonkonstruktionen unterfangen wird.

Oberbauleiter Matthias Zoppelt zeigt, wie das historische Mauerwerk aufwendig mit Stahlbetonkonstruktionen unterfangen wird.

„Wir wollen so viel Archäologie erhalten wie möglich, aber wir können nicht 100 Prozent erhalten“, stellt Grabungsleiter Michael Wiehen klar. Alle Funde würden umfassend dokumentiert, und dann müsse man abwägen, was an Ort und Stelle bleiben kann und was zurückgebaut werden muss. „Wir überlegen genau, wo wir die Wände zwischen den Kellern durchbrechen und Flächen anlegen für den späteren Rundgang. Passt es zu unseren Planungen oder müssen wir umplanen, damit wir einen besonderen Fund erhalten und integrieren können?“

So wurde zum Beispiel an einer Stelle ein Wanddurchbruch diagonal ausgeführt, damit auf der einen Seite der Rest einer römischen Fußbodenheizung (Hypokaustum) erhalten bleiben konnte und zugleich auf der anderen Seite ein mittelalterlicher Gewölbebogen. Richtig kompliziert ist es auch, die Standfestigkeit der historischen Mauerreste zu sichern. „In einem aufwendigen Prozess müssen wir die Mauern unterfangen. Dafür bauen wir in Abschnitten nacheinander neue Betonfundamentblöcke unter die Originalsubstanz. Das ist sehr zeitaufwendig“, erklärt Zoppelt.

Zu Verzögerungen sei es anfangs auch gekommen, weil die Kampfmittelsondierung 15 Monate dauerte statt neun wie geplant. Tatsächlich fand man eine scharfe Fünf-Zentner-Bombe auf dem Rathausplatz. „Die lag genau dort, wo in den 1950er-Jahren der Bauwagen des damaligen Grabungsleiters Otto Doppelfeld stand.“

Hinter dem römischen Torbogen mussten große Bohrpfähle aus Stahlbeton eingebracht werden, um die darüber befindliche Rathaus-Laube zu stützen.

Hinter dem römischen Torbogen mussten große Bohrpfähle aus Stahlbeton eingebracht werden, um die darüber befindliche Rathaus-Laube zu stützen.

Bei den Arbeiten wurde auch entdeckt, dass die Fundamente unter der Außenwand des Hansasaals im historischen Rathaus viel zu schwach ausgelegt waren. „Die haben wir ebenfalls aufwendig unterfangen und von 2,50 auf 5,50 Meter Stärke ausgebaut“, so Zoppelt. Ein Stück weiter steht im Untergrund vor der Renaissance-Laube des Rathauses ein römischer Torbogen (Portikus) aus Steinquadern. Zur Stabilisierung von Rathaus und MiQua mussten direkt dahinter meterdicke Bohrpfähle aus Stahlbeton gesetzt werden – natürlich, ohne der römischen Substanz ein Haar zu krümmen. „Es war Millimeterarbeit, aber wir haben es geschafft“, sagt Zoppelt. Damit das 200 Tonnen schwere Bohrgerät überhaupt über der Grabung eingesetzt werden konnte, wurde diese zwischenzeitlich mit Sand verfüllt und mit einer Stahlbetondecke überspannt.

Römische Statthalter lebten im Luxus

Den Vorwurf, dass nach der Kündigung des Stahlbauers 2021 auf der Baustelle Stillstand geherrscht habe, weist Zoppelt zurück. „Unterirdisch liefen die Arbeiten weiter. Wir haben die Zeit genutzt.“ Archäologen und Bautrupps arbeiten weiterhin Hand in Hand. Zu den jüngsten Funden gehören fast 2000 Jahre alte Austernschalen. „Sie zeugen vom Luxusleben im römischen Statthalterpalast Kölns, dem Praetorium“, so Wiehen. „Wir haben hier auch Marmorreste aus allen Teilen der römischen Welt gefunden.“

Dass das Jüdische Museum eine einmalige Attraktion werden wird, liegt für Oberbauleiter Matthias Zoppelt auch an seiner besonderen Architektur, für die mehr als 1000 Tonnen Stahl verbaut werden. „Hier entsteht ein freitragender, kathedralenartiger Raum von zehn Metern Deckenhöhe. Man wird später von der unteren Ebene bis hinauf zum Rathausturm sehen können.“


Interimsschau im Praetorium startet im Sommer 2024

321 nach Christus verfügte der römische Kaiser Konstantin am 11. Dezember in einem Schreiben an den Kölner Stadtrat, dass Juden Ämter in Stadträten übernehmen durften und sollten. Dieses Edikt (Gesetz) ist der früheste Beleg für die Bedeutung der jüdischen Gemeinden im spätantiken Köln und in den römischen Provinzen. Es belegt, dass Juden seit mehr als 1700 Jahren ein integrativer Bestandteil der europäischen Kultur sind.

Ursprünglich sollte das jüdische „Museum im Quartier“ (MiQua) im Jubiläumsjahr 2021 längst geöffnet sein. Dazu kam es angesichts vieler Verzögerungen nicht. Der Bau wird nicht vor 2027 fertig sein. Ab nächstem Jahr wird es einen Vorgeschmack auf das neue Museum geben. Das Praetorium – der römische Statthalterpalast unter dem Rathaus, der seit 2019 wegen der MiQua-Baustelle geschlossen ist – wird wieder für Publikum geöffnet. Dort plant der Landschaftsverband Rheinland (LVR) eine Interimsschau mit dem Titel „Das MiQua kommt“.

Die dafür erforderlichen Bauarbeiten sollen bis April abgeschlossen sein, so MiQua-Direktor Thomas Otten. Danach werde die Ausstellung aufgebaut. Ziel sei, die Schau im August 2024 zu eröffnen. Sie wird in zwei gegenläufigen Parcours die römische und jüdische Geschichte Kölns beleuchten – mit originalen Artefakten und interaktiven Touch-Screen-Präsentationen. Die Übergangsschau wird solange zu sehen sein, wie es die Bauarbeiten erlauben – laut Otten mindestens 18 Monate.