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„Kosten steigen dramatisch“Kölns Kämmerin fordert dringend mehr Hilfen vom Bund

Lesezeit 6 Minuten
Feldbetten stehen in einer Messehalle in Köln.

In der Messe hat die Stadt Köln Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete eingerichtet. Erstattungen vom Bund erhält sie für diese Vorhaltekosten nicht.

Angesichts enormer Belastungen für die Kommunen durch steigende Kosten in nahezu allen Bereichen fordert die Kölner Kämmerin Dörte Diemert mehr finanzielle Unterstützung von Bund und Land.

Die finanziellen Folgen von Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation treffen die Kommunen in NRW mit voller Härte. Mehr als jede dritte von ihnen rechnet laut einer Umfrage damit, 2024 ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen zu müssen. Auch die Kölner Stadtkämmerin Prof. Dr. Dörte Diemert macht sich Sorgen. Im Rundschau-Interview fordert sie mehr Hilfen von Bund und Land. In Richtung des Stadtrats mahnte sie angesichts gewaltiger Kosten für Kulturbauten, bei allen Neubauprojekten die Folgekosten im Blick zu behalten und stärker Prioritäten zu setzen. Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut.

Wie schlimm steht es um die Finanzen der Stadt angesichts all der Krisen?

Nun, wir haben zuletzt in den Jahresabschlüssen 2020 und 2021 ausgeglichene Jahresergebnisse erreicht. Das heißt, wir haben trotz schwierigster Rahmenbedingungen hier in Köln sehr solide gewirtschaftet. Das ist in Teilen Sondereffekten geschuldet und auch deutlichen Hilfen von Bund und Land. Aber es ist uns gelungen, in einer extrem schwierigen Zeit mit wegbrechenden Gewerbesteuererträgen den Haushalt so gut zu bewirtschaften, dass wir mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ausgekommen sind. Parallel hat die Stadt eine ganze Reihe von Hilfsprogrammen für Träger, etwa im Bereich von Kultur und Sport, auf den Weg gebracht. Der Blick nach vorn zeigt aber, dass die Herausforderungen noch nicht vorbei sind.

Wo liegen derzeit die Probleme?

Die Entwicklungen auf der Kostenseite sind dramatisch im Moment. Das möchte ich deutlich betonen. Die Zinsen sind massiv gestiegen, und zwar so schnell wie noch nie in der jüngeren Geschichte. Wir haben Tarifkostensteigerungen, die ihresgleichen suchen. Sie betreffen die Stadt im eigenen Haushalt, aber auch viele Strukturen in unseren Beteiligungen und bei den Trägern, die für die Stadt tätig sind. Dann gibt es eine absolut ungeklärte Finanzierungssituation beim Deutschlandticket, die in dieser Form nicht hinnehmbar ist. In Folge der Corona-Pandemie haben wir deutlich höhere Aufwendungen im Bereich Kinder- und Jugendhilfe. Zudem gibt es hohe Belastungen für die Unterbringung von Geflüchteten.

Und die Stadt will ihre Kliniken in Merheim bündeln, das könnte am Ende mehr als eine Milliarde Euro kosten...

Wir haben einen enormen Investitionsstau, der jetzt sukzessive abgearbeitet wird – ob Schulen, Brücken oder die Sanierung öffentlicher Gebäude. Das gilt auch für die Kliniken. Hinzu kommen die Transformationsaufgaben, Stichwort Klimaschutz einschließlich Energie- und Mobilitätswende. Das ist ein riesiges Bündel, das die Stadt und damit auch den Haushalt fordert. Und wir haben neue Aufgaben bekommen, die nicht ausreichend finanziert sind. Nur ein Beispiel: Die Wohngeldreform des Bundes hat bei uns zu massivem personellem Mehrbedarf geführt, der alleine mit über zwölf Millionen Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Dafür sehen wir keinen einzigen Cent der Erstattung.

Stadtkämmerin Prof. Dr. Dörte Diemert

Stadtkämmerin Prof. Dr. Dörte Diemert leitet das Dezernat II - Finanzen und Recht

Droht Köln in die Haushaltssicherung abzurutschen?

Die bisherigen Planungen für 2024 und die Folgejahre bleiben noch unter den Schwellen der Haushaltssicherung. Aber ich muss betonen: Mit Blick auf das, was im Moment an Risiken auf uns zurollt, mache ich mir durchaus Sorgen. Das ist allerdings ein Phänomen, das wir flächendeckend in ganz NRW und bundesweit beobachten, weshalb die Landesregierung bereits über Veränderungen im Haushaltsrecht nachdenkt. Das bleibt abzuwarten.

475 Millionen Euro Corona-Altlasten

Erwarten Sie, dass Sie angesichts der enorm steigenden Kosten nächstes Jahr eine Haushaltssperre verhängen müssen?

Je nachdem, wie sich die weitere Situation entwickelt, kann es sein, dass wir reagieren müssen. Es gibt verschiedene Instrumentarien – eine Haushaltssperre, eine restriktive Haushaltsbewirtschaftung oder eine Nachtragssatzung. Mit Blick darauf, dass sich die Steuererträge momentan positiv entwickeln, ist es dafür zum jetzigen Zeitpunkt aber noch zu früh.

Wie hoch sind die Lasten aus der Corona-Pandemie, die im Haushalt isoliert wurden? Wollen Sie diese Schulden 2026 auf einen Schlag tilgen oder über 50 Jahre abstottern?

Wir reden derzeit über rund 475 Millionen Euro. Ich persönlich neige dazu, diese Belastung möglichst schnell zu bereinigen, um dann für die Zukunft mehr Handlungsspielräume zu haben. Aber das muss man sich natürlich leisten können. Das werden wir wahrscheinlich Ende 2024 mit Blick auf den Haushalt 2025/26 entscheiden.

Viele soziale Träger fordern angesichts der Kostenexplosion mehr Geld. Es gibt Protestdemos, Kitas schließen. Wie gehen Sie damit um?

Die Stadt hat wiederholt unter Beweis gestellt, dass sie sich der Lage der Träger bewusst ist und das sehr ernst nimmt. Es ist uns bisher immer gelungen, das in einem konstruktiven Miteinander zu regeln. Wir haben zum Beispiel im Kitabereich mehr Anteile der Finanzierung übernommen, als gesetzlich notwendig wäre. Und wegen der Folgen des Ukrainekriegs haben wir einen Struktursicherungsfonds mit fünf Millionen Euro pro Jahr aufgelegt. Der ist für 2023 bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Die Forderungen der Träger richten sich auch an Bund und Land. Und da muss ich klar sagen: Wir werden nicht alles, was an Bundes- und an Landesförderungen ausfällt, kompensieren können. Das ist nicht möglich. Wir brauchen jetzt dringend Klarheit von Bund und Land. Wir müssen wissen, welche Mittel wir erhalten werden. Und wir erwarten, dass Aufgaben, die man den Kommunen überträgt, auch auskömmlich finanziert werden.

100 bis 110 Millionen Euro Deckungslücke bei Geflüchteten

Sie haben bemängelt, dass der Bund die Kosten für Geflüchtete nicht komplett übernimmt. Wie groß ist die Deckungslücke?

In Köln leben derzeit rund 30.000 Personen, die einen Fluchthintergrund haben und noch im Leistungsbezug der Stadt sind. Bei den Transferleistungen, die diese Menschen erhalten, liegt die Deckungslücke zwischen 100 und 110 Millionen Euro pro Jahr. Und da sind Kosten etwa für Integration, Kitaplätze und Schulen noch nicht enthalten. Wir bekommen also bei weitem nicht alle unsere Kosten erstattet. Wir haben zudem Vorhaltekosten für Räumlichkeiten, die wir zur Unterbringung von Geflüchteten vorhalten. Das wird bisher gar nicht berücksichtigt und muss sich ändern.

Kommen wir zu den Kulturbauten. Oper, MiQua, Römisch-Germanisches Museum – da fließen Unsummen rein. Da müssen Sie als Kämmerin neue Projekte wie die Historische Mitte eigentlich direkt ablehnen, oder?

Ich mahne stets, dass Bauprojekte immer auch Folgelasten nach sich ziehen. Dass sich damit die Spielräume in den Budgets, zum Beispiel im Kultur- oder Sportbudget, perspektivisch einengen. Insofern ist es wichtig, bei allen Neubauprojekten die Folgekosten zwingend im Blick zu behalten und auch zu gewichten.

Mit Blick auf die Instandsetzung schon bestehender Infrastruktur, die wir ja in einem zeitgemäßen Zustand halten wollen, müssen wir uns fragen: Was braucht es wirklich noch neu? Und wenn wir etwas Neues machen: Gibt es möglicherweise auch Infrastruktur, die wir so nicht mehr vorhalten wollen? Das muss in eine vernünftige Abwägung gebracht werden.

Haben Sie den Eindruck, dass mancher Politiker im Stadtrat den Ernst der Lage nicht verstanden hat? Müssen Sie stärker deutlich machen, was sich Köln leisten kann und was nicht?

Ich erinnere noch mal an die großen Transformationsaufgaben, vor denen wir stehen. Wir wollen diese Veränderungen ja schaffen, ohne Menschen sozial abzuhängen. Das bedeutet, wir müssen uns perspektivisch darauf konzentrieren: Welche Zukunftsprojekte in dieser Stadt zahlen eigentlich auf diese große Veränderungsaufgabe ein?

Im Moment erleben wir häufig Debatten, die sehr stark projektbezogen geführt werden. Ich denke, wir müssen mehr die gesamten Projekte in den Blick nehmen und dann auch priorisieren. Das scheint mir die zentrale Herausforderung für die Zukunft zu sein.