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Konzert in KölnWarum seine Fans Chilly Gonzales im Gloria auf Händen tragen

Lesezeit 4 Minuten
Konzert von Chilly Gonzales in Köln.

Konzert von Chilly Gonzales in Köln.

Ein Erlebnis der besonderen Art war das Konzert von Chilly Gonzales im Kölner Gloria Theater.

Der Begriff „Ausnahmeerscheinung“ wird so oft benutzt, dass er im Grunde längst ad absurdum geführt wurde, im Fall von Chilly Gonzales aber ist er tatsächlich angebracht: Der kanadische Pianist mit jüdisch-ungarischen Wurzeln kombiniert sein virtuoses Klavierspiel mit einer Punk-Attitüde, dank der er sich sowohl in Jazz-Kellern als auch Underground-Clubs oder klassischen Konzertsälen zuhause fühlt. Seine musikalische Bandbreite reicht von Hip-Hop über Pop und Electro bis zur Avantgarde und Neoklassik.

Um die Jahrtausendwende machte er sich in der Berliner Electro-Szene als Rapper einen Namen, 2004 errang er mit „Solo Piano“, einem Album mit reinen Klavierstücken, den Respekt der ernsthaften Musikkritik. Sein Ansehen bei den Kollegen der Pop-Welt könnte kaum höher sein, internationale Stars wie Drake oder Daft Punk stehen Schlange, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt ist er eine Rampensau und ein begnadeter Entertainer, was Chilly-Gonzales-Konzerte zu Erlebnissen der besonderen Art macht.

Chilly-Gonzales-Konzerte in Köln sind allerdings noch einen Tick besonderer, denn seit mehr als einem Jahrzehnt ist der Kosmopolit in der Domstadt zuhause und hat hier Wurzeln geschlagen, ist auch schon in der Philharmonie und auf dem Roncalliplatz aufgetreten. Bei seinem Auftritt im Gloria, wo er und seine Band am Dienstag auf ihrer internationalen Tour zu seinem letztjährigen Album „Gonzo“ Halt machen, macht er aus seiner Liebe zu seiner erklärten „Hometown“ keinen Hehl und verbrüdert sich gleich zu Beginn mit dem Publikum: „You're my people!“, adelt er die Kölner Fans, die ihm die Liebe mit durchgehend begeistertem Applaus vergelten – Applaus, in dem er geradezu badet, wie er andeutet, indem er sich mit einem imaginären Rückenkratzer abschrubbt.

Chilly Gozales mit Kritik an Richard-Wagner in Köln

Gehüllt in Rüschenhemd, einen an einen Priester-Talar erinnernden schwarzen Hausmantel und Pantoffeln, erfüllt er auch optisch den Habitus eines musikalischen Genies, das er augenzwinkernd für sich in Anspruch nimmt. Er spricht oft und viel mit dem Publikum, wendet sich etwa gegen generative KI, die auf Knopfdruck komplette Stücke erzeugt – was ihr allerdings auch Spotify-hörige Musiker, die sich bemühten alle gleich zu klingen, leicht machten. Das Gegenmittel seien Originalität und Unberechenbarkeit, sagt er. „Keine KI wird Chilly Gonzales ersetzen“, zeigt er sich überzeugt und unterstreicht diesen Anspruch mit dem Stück „Neoclassical Massacre “ vom neuen Album.

Bei aller Liebe zu Köln kommt er auch auf das Thema zu sprechen, mit dem er sich in der hiesigen Lokalpolitik nicht nur Freunde gemacht hat: Seine Mission zur Umbenennung der Richard-Wagner-Straße. Deren Namensgeber war bekanntermaßen nicht nur musikalisches Genie, sondern auch glühender Antisemit, was er mit seinem Buch „Das Judenthum in der Musik“ unter Beweis stellte. Die Kunst vom Künstler zu trennen, sei möglich, so Gonzales und Wagners Opern sollten weiterhin gespielt werden. „Doch einer Straße seinen Namen zu geben, ist etwas anderes, denn es ist der gleiche Name, den er auf sein hasserfülltes Buch geschrieben hat“, sagt er. Darum sein Vorschlag, die Straße nach einer anderen Wahlkölnerin in „Tina-Turner-Straße“ umzutaufen – das Publikum im Gloria zumindest hat er dabei auf seiner Seite. Bei seiner musikalischen Abrechnung „F*ck Wagner“ haut er denn auch buchstäblich auf die Pauke, „Wagners Lieblingsinstrument“.

Konzert von Chilly Gonzales im  Gloria.

Konzert von Chilly Gonzales im Gloria.

Der lange Aufenthalt in Deutschland hat auch musikalisch seine Spuren bei Gonzales hinterlassen, denn im Stück „I.C.E.“ rappt er erstmals auf Deutsch: „Mein Deutschrap – Schnapsidee! Aber ich mach' das anyway.“ Was im ersten Moment wie gebrochener Nonsens klingt, steckt tatsächlich voller Anspielungen und gibt Einblick in die Sichtweise eines Außenstehenden auf deutsche Kultur. Deutscher Hip Hop hat es ihm angetan, weshalb er auch für ein Stück den Frankfurter Rapper Vega auf die Bühne holt.

Zum großen Finale gibt er sich einem Sport hin, der bei Konzerten hierzulande fast in Vergessenheit geraten ist – dem „Crowdsurfing“, oder, wie es seiner Ansicht nach beim deutschen Publikum heißen sollte, dem „Kraut-Surfing“. Rappend lässt er sich vom Publikum durch den Raum tragen, bevor er und seine Band sich mit den unverkennbaren drei Tönen seines 2010er Hits „Never Stop“ verabschieden.