Im Rundschau-Interview spricht Chilly Gonzales über sein neues Rap-Album, seine Liebe zu Deutschland und eine Tina-Turner-Straße für Köln.
Chilly Gonzales„Zum zweiten Mal vor dem Kölner Dom zu spielen bedeutet sehr viel“
„Ich mochte lange nicht, dass man mich mit meinem richtigen Vornamen anspricht.“ Die Bühnenfigur Chilly Gonzales war Dreh- und Angelpunkt im Leben von Jason Charles Beck.
Mit seinem neuen Album will der 53-Jährige dem etwas entgegensetzen. „Gonzo“ erscheint im September, schon am 25. Juli wird es im Mittelpunkt des Konzertes auf dem Roncalliplatz stehen.
„Ich habe zehn Jahre lang Therapie gemacht“, erzählt er im Gespräch mit der Rundschau. „In der Therapie lernst du, dein Unterbewusstsein in Worte zu fassen. Zuvor habe ich das über das Schreiben von Texten getan. Das Problem war nur, dass ich die Worte nicht gefühlt habe – und das auch nicht wollte. Mir gefiel das Leben als Chilly-Gonzales-Performance besser. Nun arbeite ich daran, dass Gonzo seinen Platz an der Seite von Jason findet.“
Ein Grammy dank Daft Punk
Nun schreibt er also Texte, die er meint und fühlt – und rappt. Nichts Neues für ihn, mit Rap hat seine Karriere begonnen. Erst später erschienen die Solo-Piano-Platten, mit denen er richtig bekannt wurde — vor allem hierzulande. 1999 war er nach Berlin gezogen, nach einer Stippvisite wurde er 2012 Wahl-Kölner.
Dabei blieb er aber international vernetzt, arbeitete mit Peaches zusammen oder mit Leslie Fest. Für seine Beiträge zu Daft Punks Erfolgsalbum „Random Access Memories“ gewann er sogar einen Grammy.
Aber: „Ich habe Deutschland adoptiert, und Deutschland hat mich adoptiert. Meine Frau ist Deutsche, meine Freunde auch. Deutschland hat mir so viel gegeben – persönlich und beruflich.“ Jetzt zum zweiten Mal direkt vor dem Dom aufzutreten, „bedeute sehr viel“.
Und er möchte etwas zurückgeben — unter anderem mit dem Song „I.C.E.“, einer auf Deutsch gerappten Liebeserklärung an seine neue Heimat. „Ich versuche, hier ein Bild zu malen, wie ich das Land als Ausländer sehe – damit die Menschen hier ihr Land ebenfalls anders sehen.“
Und er beschäftigt sich intensiv mit Köln. Passend zum Lied „F*uck Wagner“ startete der gebürtige Kanadier vor ein paar Monaten eine Kampagne, die Richard-Wagner-Straße in Tina-Turner-Straße umzubenennen. Klingt nach einer Schnapsidee, aber einer sympathischen.
Dabei geht es ihm nicht darum, Wagner zu verbieten, von Cancel Culture distanziert er sich. „Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich der Oper Köln oder dem WDR Sinfonieorchester geschrieben, sie sollen seine Werke nicht mehr aufführen. Jeder, der seine Musik liebt, soll sie weiter hören können.“
Trennung von Kunst und Künstler?
Hierbei stellt sich für ihn generell die Frage, ob und wann man die Kunst von der Person des Künstlers trennt. „Das muss jeder für sich entscheiden.“ Statt einfach nur zu verbieten, wollte er von Anfang an eine positive Alternative ins Spiel bringen. „Und jeder, dem ich von der Idee der Tina-Turner-Straße erzählt habe, hat gelächelt.“
Aber nicht nur das: Die Online-Petition haben bislang mehr als 13 000 Menschen unterschrieben. Der offene Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker allerdings blieb bislang unbeantwortet.
Doch Gonzales hat seine Hausaufgaben gemacht, kontaktierte Politiker, informierte sich über die korrekte Vorgehensweise. „Ich hoffe, dass es offiziell besprochen wird“, sagt er mit Blick auf die Bezirksvertretung Innenstadt.
Musik ohne Kompromisse
Das klingt nach einer großangelegten Werbekampagne – und ein wenig ist es das auch. „Ich mache keine Kompromisse, was meine Musik angeht.“ Aber wenn diese einmal im Kasten sei, wolle er die Menschen da abholen, wo sie sind. „Das ist der Entertainer in mir,“ erklärt er.
Und: „Ich glaube nicht, dass ein Algorithmus beeinflussen sollte, wie meine Musik ist. Aber er kann mir vorschreiben, wie ich sie präsentiere. Wenn die Leute zehn Sekunden ,F*ck Wagner' hören, ist das Clickbait“, sagt er – hoffend, dass es die Menschen dazu bringt, das komplette Lied zu hören und sich mit dessen tieferer Bedeutung auseinanderzusetzen.
„Es ist ein Tribut an die Götter der Musik“, den er bereit sei zu leisten. „Dabei muss dir bewusst sein, dass, wenn man sich online präsentiert, immer auch ein wenig die Details oder die Substanz auf der Strecke bleiben. Und egal, wie gut deine Absichten sind, Leute werden immer die Chance nutzen, dich als Boxsack zu benutzen. Aber das ist okay für mich.“
Das klingt abgeklärt und kämpferisch, der Rap als Musikstil trägt dazu bei, Chilly Gonzales scheint sich, weit weg bewegt zu haben von den sanften Klavierklängen seiner Erfolgsalben. Aber die Melodien sind immer noch da, bilden für eine Reihe von Stücken die Grundlage.
Bling-Bling mit Intellekt
Die Resultate klingen bisweilen eher nach kunstvoller Spoken-Word-Performance als nach straßentauglichem HipHop, das Bling-Bling ist eher mit Intellekt als mit dicken Goldketten ausstaffiert.
Und inmitten all der klugen Gedanken, witzigen Passagen taucht plötzlich eine Textzeile auf, die beinahe das Herz bricht – und dem darauf angesprochenen Künstler die Tränen der Rührung in die Augen treibt.
Liebeserklärung an die Ehefrau
„The feeling when she sleeps next to me, the safest space, like an embassy“ heißt es in „Surfing the crowd“. Was für ein Bild, die Sicherheit an der Seite eines geliebten Menschen mit der auf einem Botschaftsterritorium zu vergleichen.
Der Auftritt im Schatten des Doms findet am 25. Juli, 20 Uhr, statt. Chilly Gonzales hat eine Reihe von Gästen eingeladen, unter anderem seine kanadische Kollegin Peaches. Die Show ist nur zum Teil bestuhlt.
Das Album „Gonzo“ erscheint am 13. September und enthält neben acht Rapsongs auch drei Instrumentalstücke.