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Prozess in KölnKölnerin ist 17 Jahre Stalking-Opfer ohne Hilfe von den Behörden

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau steht an einer Glasscheibe, hinter der ein Stalker steht. (gestellte Szene als Symbolbild)

Eine Frau steht an einer Glasscheibe, hinter der ein Stalker steht. (gestellte Szene als Symbolbild)

Trotz Umzügen und Heirat soll ein mutmaßlich psychisch kranker Mann eine Frau über Jahre hinweg verfolgt haben. Nun wurde die Anklage eröffnet.

Immer wieder muss die Frau den Kopf schütteln, weil alles so unglaublich ist. Dabei ist es ihr Leben der zurückliegenden 17 Jahre, über das die 45-Jährige der 24. Großen Strafkammer berichtete. 17 Jahre, in denen ihr ein Stalker das Leben zur Hölle machte, ihr nachstellte, Liebesbriefe schrieb, Plüschtiere, Spielzeug oder gigantische Blumensträuße schickte; 17 Jahre, in denen der Mann aber auch Verträge unter ihrem Namen abschloss oder sie mit Klagen überzog, wenn sie sich gegen seine Nachstellungen zur Wehr setzte.

Stalking-Opfer wollte nicht aussagen

Eigentlich wollte die Frau nicht aussagen. Die psychische Belastung sei einfach zu groß. Auch wollte sie dem Angeklagten (50) nicht begegnen, der sie seit 2008 „terrorisiert“, wie sie sagte. Um die Aussage so wenig belastend wie möglich zu gestalten, griff das Gericht zu einem außergewöhnlichen Mittel: Es schloss den Angeklagten von der Verhandlung aus. Er konnte per Video die Vernehmung aus einem anderen Saal mitverfolgen. Angeklagt ist der 50-Jährige wegen wiederholter Nachstellung sowie mehrfachen Betrugs und Urkundenfälschung. Die Anklage geht davon aus, dass der 50-Jährige psychisch krank ist.

Angefangen habe alles 2008 an der Uni Bonn, so die Zeugin. Sie habe gerade ihr erstes Staatsexamen in Medizin abgelegt und in einem Studentenjob bei der Anästhesie gearbeitet, wo wohl auch der Angeklagte tätig war. „Aber ich kenne ihn eigentlich nicht“, sagte die 45-Jährige, die aus Pakistan stammt.

Auf einer Liste hätten sich damals alle Studenten eingetragen: „Das war der Anfang“, ist sich die Frau sicher. Plötzlich habe sie eine E-Mail von dem 50-Jährigen bekommen, wonach er sich in sie verliebt habe. „Nicht schlimm“, habe sie gedacht, doch es kamen immer mehr E-Mails. Auf Anraten eines guten Freundes und Kommilitonen habe sie irgendwann geantwortet, sie sei nicht interessiert. Doch der Mann habe weitergeschrieben: „Immer mehr Stress, immer mehr Terror“, sagte die Frau aufgebracht und den Tränen nahe.

Flut von E-Mails

Auch als sie Strafanzeige erstattet habe, habe die E-Mail-Flut nicht aufgehört. Als sie seine Mailadresse blockierte, habe er sich eine neue eingerichtet und weiter geschrieben. „Es wurde immer krasser, immer unnormaler, immer verrückter“, sagte die 45-Jährige. Ab 2009 habe der Angeklagte ihr auch aufgelauert, stand stundenlang vor ihrer Wohnung oder tauchte in Vorlesungen auf. Schaute sie ihn auf der Straße an, rannte er weg. Zog sie um, bekam sie wenig später schon wieder Post von ihm.

Die Frau heiratete, bekam ihr erstes Kind und zog nach Köln, wo sie beim Einwohnermeldeamt einen Sperrvermerk einrichtete. Den umging der Angeklagte aber und stand plötzlich vor ihrer Wohnung. Zeitweise hätten sie und ihr Mann zwei Wohnungen in Köln gemietet und bezahlt: „Eine in Raderthal, an die all der Plunder ging, und eine in Zollstock, in der wir gewohnt haben.“ Auch nach einem Umzug nach München dauerte es nicht lange, bis der Angeklagte auch diese Adresse herausfand, Blumen schickte und wieder E-Mails schrieb. Darin fabulierte er unter anderem über eine bevorstehende Hochzeit zwischen ihm und der 45-Jährigen.

Schon 2009 zeigte die Frau den 50-Jährigen an, setzte eine einstweilige Verfügung durch. Doch der 50-Jährige überzog sie mit Klagen vor Zivilgerichten, behauptete unter anderem, sie schreibe sich die Briefe selbst. In einem der zahlreichen Zivilverfahren habe ein Richter sogar gemeint: „Das ist doch alles nur Liebe. Dass ich das nicht anerkennen kann, liegt nur daran, dass ich Muslima bin“, sagte die Frau entsetzt.

Überhaupt habe sie sich von Behörden und Justiz in all den Jahren weder unterstützt noch geschützt gefühlt. Ihr bitteres Fazit: „Es ist besser, Stalking auszuhalten, als die Person anzuzeigen. Das kann ich keinem empfehlen.“

In die vorläufige Unterbringung in einer Psychiatrie kam der 50-jährige Angeklagte auch nicht wegen des Stalking-Vorwurfs, sondern wegen verschiedener Eigentumsdelikte. In zahlreichen Hotels im Großraum Köln soll er der Anklage zufolge Zimmer gemietet, teilweise verwüstet und nicht bezahlt haben. Der Prozess wird fortgesetzt.