Kölner Seelsorger über Corona-Pandemie„Es fehlt an menschlicher Medizin“
Köln – Eine alte Frau liegt im Sterben. An ihrem Bett sitzt ihre Tochter. Abschied nehmen im Krankenhaus. Trotz Corona. Auf den ersten Blick hat die Szene etwas Beruhigendes. Gut, dass es möglich ist. Es war auch schon mal anders auf der Tal- und Bergfahrt durch die Pandemie. Doch auf den zweiten Blick: „Als ich erfuhr, dass diese Frau, die wenig später tot war, acht Töchter hat – das hat mich stark berührt“, sagt Pfarrer Karsten Leverenz, Krankenhausseelsorger im Evangelischen Klinikum Köln Weyertal. Mehr durften wegen der Beschränkungen nicht zur Mutter.
„Es fehlt an menschlicher Medizin“
Der Virus führt an die Grenzen: Pfleger, Ärzte und auch die Seelsorger. Leverenz ist Sprecher der evangelischen Krankenhausseelsorger im Kirchenkreis Köln und Region. Während die Debatte um Corona gerade von Impfstoffmengen, Testkapazitäten und Impfpässen bestimmt wird, will der Seelsorger sich um einen manchmal zu kurz kommenden Aspekt kümmern: „Es gab in dem zurückliegenden Jahr Phasen, da hat es an menschlicher Medizin gefehlt“.
Man könnte meinen, Leverenz hastet seit einem Jahr von Zimmer zu Zimmer. Doch so ist es nicht. Der Infektionsschutz betrifft auch seinen Beruf. „Wir reduzieren uns auf Anfragen von Patienten, Angehörigen und Personal.“ Früher habe er sich bei den Ratsuchenden oft auf „Fußhöhe“ befunden. Nun nimmt er mehr Abstand zum Krankenbett. Die leisen Töne kommen hinter der Maske oft zu kurz.
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Am Bett einer schwerhörigen Covid-Patientin war nicht mehr als ein Blickkontakt, ein Fingerzeig, möglich. Neben dem intensiven Gespräch ist es in diesen Zeiten auch einfach „nur“ die Botschaft der Angehörigen, die er einem Erkrankten überbringt, weil die nicht zu Besuch kommen dürfen. Es mögen unterm Strich weniger, kürzere Kontakte sein: „Aber jeder Kontakt ist bewusster“, sagt der Pfarrer.
Alles auf den Kopf gestellt
Intensiver wird die „menschliche Medizin“ auch vom Krankenhauspersonal angefragt. „Sie sind am Rande ihrer Kräfte“, beschreibt Leverenz die Lage. Mit existenziellen Notsituationen umzugehen, dafür seien Pfleger und Ärzte durchaus ausgebildet, darin hätten sie auch Erfahrung. Aber es gebe nun Situationen, die sehe keine Ausbildung vor und decke keine Erfahrung ab. Der Seelsorger berichtet: „Eine Geburt. Die Mutter wurde vor dem Kreisssaal getestet. Negativ. Nach der Geburt stellt sich heraus, das Testergebnis war falsch.“
Alles auf den Kopf gestellt. Ein eigentlich freudiges Ereignis, eine geglückte Geburt, mündet in der Sorge um die Mutter und die eigene Gesundheit. Und nirgends eine Ruhepol. „Ist endlich Feierabend, ist dennoch nichts mehr in gewohnten Bahnen. Draußen, vor der Krankenhaustür, ist auch der Ausnahmezustand.“
Kaum Zeit zum Fallenlassen
Selbst entspannte Phasen im Pandemieverlauf ließen es kaum zu, sich fallen zu lassen. Denn bisher war nach der Welle vor der Welle: „Es ist wie auf dem offenen Meer, wenn du weißt, es wird ein schlimmes Unwetter kommen, du weißt aber nicht wann“, so der Geistliche. „Das alles macht etwas mit den Menschen.“ Leverenz spürt bei vielen eine große Müdigkeit.
Auf der einen Seite die physische Bedrohung durch das Virus, auf der anderen Seite die seelische Belastung durch die Isolation: „Es ist ein Drahtseilakt“, sagt Leverenz. „Sehe ich den Ernst der Erkrankungen, kann ich verstehen, dass wir alles runter fahren. Als Seelsorger jedoch sage ich: Das halten wir nicht aus.“ Seine Erfahrung hat ihn gelehrt: „Menschen können auch an Einsamkeit sterben.“ Er schaut auf die Impfungen: „Schon bald ist die erste Risikogruppe durchgeimpft. Ich hoffe, dass uns das alle ein bisschen entspannen wird.“