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Kölner EhrenamtspreisWie ein Verein für mehr Gleichheit in Klassenzimmern kämpft

Lesezeit 4 Minuten
Mitgleider des Vereins Integreater.

Mit viel Herz dabei: Die Ehrenamtler von „Integreater“ Süleyman Gürbüz, Merve Özcoban, Gülsüm Mermer und Alperen Bilal (v.l.).

Der Verein „Integreater“ will für mehr Bildungsgleichheit sorgen. Um jungen Menschen mit Migrationshintergrund Mut zu machen, teilen die Ehrenamtler ihre Lebensgeschichten, die zum Erfolg führten.

Auf den gleichen Stühlen zu sitzen und auf die gleiche Tafel zu schauen, heißt in deutschen Klassenzimmern nicht, die gleichen Chancen zu haben. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Vereins „Integreater“ haben das am eigenen Leib erfahren. Ihr Migrationshintergrund hat ihnen ihren Bildungsweg immer wieder erschwert - geschafft haben sie es trotzdem. Heute feiern sie berufliche und akademische Erfolge und wollen Vorbilder sein. Bei ihrer Arbeit als „Integreaterinnen“ und „Integreater“, teilen sie in Schulklassen ihre persönlichen Geschichten mit allen Höhen und Tiefen, um jungen Menschen Mut zu machen. Für diese Arbeit wird die Kölner Regio-Gruppe des deutschlandweiten Vereins in diesem Jahr von der Stadt mit dem Kölner Ehrenamtspreis 2023 ausgezeichnet.

Es sind tiefgreifende Geschichten, von denen die Ehrenamtlichen berichten. Ob Erfahrungen mit Mobbing und Diskriminierung oder Probleme zuhause: Sie alle müssen bereit sein, Dinge, die nicht mal ihre engsten Freunde von ihnen wissen, vor fremden Menschen offen zu legen. „Ich bin Scheidungskind und in sehr einfachen Verhältnissen groß geworden“, gibt die Integreaterin Merve Özcoban einen Einblick in ihren Vortrag. „Ich muss mich am Abend davor immer mental darauf vorbereiten, dass ich am nächsten Tag auspacke.“

Für die, die etwas ähnliches erfahren haben, ist schön zu merken, dass sie nicht allein sind.
Süleyman Gürbüz, Ehrenamtler bei „Integreater“

Aus teils schmerzhaften Erlebnissen machen die Ehrenamtlichen durch ihre Vorträge Kraftquellen für die Teilnehmenden zwischen 14 Jahren und Anfang 20. „Wir erzählen das den Menschen, weil wir wollen, dass sie von unseren Erfahrungen profitieren, ohne sie selber zu machen“, erklärt Süleyman Gürbüz (24). „Für die, die etwas ähnliches erfahren haben, ist schön zu merken, dass sie nicht allein sind.“ Neben ihren Hindernissen erzählen die Ehrenamtler auch von deren Überwindung: „Wir haben in unserer Generation eine Art Pionier-Arbeit geleistet und können Hilfestellung leisten, indem wir teilen, wie wir unsere Probleme gelöst haben“, erklärt Özcoban.

„Ich sehe jedes Mal das Glänzen in den Augen der Jugendlichen“, erzählt der Integreater Alperen Bilal (26). Obwohl er ein herausragender Schüler war, habe er durch seinen Migrationshintergrund unter großem Leistungsdruck gelitten. „Weil die Gesellschaft dir immer zwei Schritte voraus ist, musst du immer 120 Prozent geben“, erklärt Bilal. Jetzt versucht er diesen Druck bei Betroffenen zu lindern. „Erfolg sollte man immer im individuellen Lebenskontext betrachten.“

Beistand auf dem Bildungsweg

Beim seelischen Beistand fängt die Arbeit des Vereins jedoch erst an. Die Ehrenamtlichen geben auch berufliche und akademische Ratschläge: „Wir versuchen den Kindern das zu geben, was sie eventuell zuhause nicht bekommen können“, fasst der „Integreater“ Süleyman Gürbüz seine Aufgabe zusammen. Nicht alle Kinder erwartet nach der Schule ein Netzwerk an Erwachsenen, die zur ihnen zur Seite stehen, bei den Hausaufgaben oder der Klausurvorbereitung helfen. „Mangelnde Bildung, Sprachkenntnisse oder Systemkenntnisse“ der Eltern können laut Gürbüz die Gründe sein.

Sich im Dschungel des Bildungssystems zurecht zu finden, fällt nicht allen Kindern in den Schoß. Als Arbeiterkind mit Hauptschulempfehlung schien es für den 24-jährigen anfangs nicht rosig auszusehen. Das einzige akademisches Vorbild war sein großer Bruder. „Ohne ihn hätte ich nicht gewusst, was Bafög ist“, erinnert sich Gürbüz. Zu seinen Stipendien kam er, weil Lehrer ihn „glücklicherweise“ darauf aufmerksam machten.

Wir wollen den Kindern vermitteln, dass sie immer Möglichkeiten haben und man diese nur kennen muss.
Süleyman Gürbüz, Ehrenamtler bei „Integreater“

„Wir wollen den Kindern vermitteln, dass sie immer Möglichkeiten haben und man diese nur kennen muss“, sagt er. Auch dabei helfen die Ehrenamtlichen: Sie vermitteln Nachhilfeinstitute oder Seelsorger, bieten Praktika in ihrem privaten Umfeld an. Über die Vorträge hinaus bietet der Verein eigene Workshops, unter anderem zur Zielsetzung. Der Kontakt zu ihren Schützlingen breche oft auch nach den Schulbesuchen nicht ab. Die Schulen kostet dieser Dienst keinen Cent. An der Henry Ford Realschule in Worringen sei „Integreater“ mittlerweile Stammgast. Die Nahbarkeit der Ehrenamtlichen mache laut der Regiosprecherin Gülsüm Mermer (27) den Erfolg des Vereins aus. „Wir schauen auf niemanden herab. Bei unseren Workshops ist man mittendrin und nicht auf der Tribüne.“

Mehrwert haben die Schulbesuche für die gesamte Klasse: „Die Probleme, von denen wir berichten, entstehen nicht nur auf Grund eines Migrationshintergrunds, sondern auch durch sozioökonomische Faktoren“, findet Gürbüz. So können auch Kinder aus einem sozial schlecht gestellten Milieu profitieren. Für mehr Verständnis innerhalb der Klassen sorge die Veranstaltung allemal.