Türkischer Krieg gegen KurdenWird Deutschland in den Konflikt hineingezogen?
- Die zwischen den USA und Ankara ausgehandelte Waffenruhe in Nordsyrien scheint brüchig.
- Türkische Truppen nehmen weiterhin Kurden unter Beschuss.
- Die „Interventionistische Linke Köln“ und das „Antifaschistische Aktionsbündnis Köln gegen Rechts“ haben für Samstag zu einer Demonstration in Köln aufgerufen.
Köln – Wer sind die Kurden?
Die Kurden sind eine eigene Volksgruppe, die mehrheitlich dem muslimischen Glauben angehört. Es gibt aber auch Aleviten, Jesiden, Christen und Juden unter ihnen. Sie eint die kurdische Sprache, einen eigenen Staat gibt es nicht. Der Begriff Kurdistan meint ein historisches Siedlungsgebiet, das sich über mehrere Landesgrenzen erstreckt. Die meisten Kurden, weltweit sind es etwa 25 bis 30 Millionen, leben in der Türkei, in Syrien, dem Irak und Iran. Einst waren viele Kurden, deren Geschichte bis ins Altertum zurückreicht, in Stämmen organisiert, die als Nomaden lebten.
12 000 kurdische Kämpfer starben im Kampf gegen IS
Was hat es mit der PKK und ihren Ablegern auf sich?
Die Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, ist eine sozialistisch ausgerichtete Untergrundorganisation. Sie wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet und hatte stets die politische Autonomie kurdischer Siedlungsgebiete zum Ziel. Sie sieht sich als Kämpferin gegen die lange Geschichte der Unterdrückung von Kurden in verschiedenen Ländern. In der Türkei ist sie als Terrororganisation verboten. Die PKK unterhält etwa im Nordirak Guerillaeinheiten, die sogenannten Volksverteidigungskräfte (HPG). Auch die in Nordsyrien dominierenden kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) haben enge Verbindungen zur PKK.
Die YPG-Milizen waren die wichtigsten Verbündeten der westlichen Allianz gegen den Islamischen Staat in Syrien. Den Kurden ist die militärische Niederlage des IS zu verdanken. 12.000 kurdische Kämpfer verloren dabei ihr Leben. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan rechtfertigt die Offensive mit der Sorge, die YPG-Milizen und andere kurdische Einheiten könnten für ein zusammenhängendes Kurdistan kämpfen – es geht also auch um territoriale Ansprüche. Schon seit 2016 greift die Türkei vermehrt die PKK an.
Es kam oft zu Vergeltungsaktionen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz zusammenfasst: „So verübte die PKK-Splittergruppe „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK), die seit 2006 auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet ist, im Verlauf des Jahres 2016 in der Türkei mehrere Anschläge mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten.“
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Welche Gruppierungen gibt es in Deutschland und wie viele leben hier?
In Deutschland leben Schätzungen zufolge rund 1,2 Millionen Kurden. Viele von ihnen kamen in den 1960er und 70er Jahren als Arbeitskräfte nach Deutschland. Ende der 80er Jahre, als das irakische Regime von Diktator Saddam Hussein brutal vor allem gegen Kurden vorging und 180.000 Menschen ihr Leben verloren, kamen zudem viele kurdische Flüchtlinge nach Deutschland. Unter den mehr als eine Million Kurden rechnet der Verfassungsschutz mit etwa 15.000 PKK-Anhängern. Die meisten Versammlungen von Kurden verliefen in der Vergangenheit friedlich.
Sachbeschädigung, Gewalt und Übergriffe auf türkische Läden
Welche Gefahren ergeben sich aus dem Konflikt für Deutschland?
Bei den vielen Kundgebungen von Kurden ist es in den vergangenen Tagen auch zu Gewalt gekommen. Mehrere Demonstranten und Polizeibeamte wurden verletzt, es kam zu Sachbeschädigungen und Übergriffen auf türkische Einrichtungen. Provokationen gibt es sowohl auf türkischer wie auf kurdischer Seite. Ausschreitungen würden zum Teil bewusst aus der Türkei und aus den Moscheen angestiftet, von denen man in Deutschland 1500 habe, sagte Mehmet Tanriverdi, stellvertretender Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland.
Die Imame würden für den Krieg beten. Und das heize die Stimmung auf innerhalb der türkischen Community. In Lüdenscheid erlitt wiederum ein 50-Jähriger türkischer Unterstützer eine Schnittwunde im Rücken, nachdem ihn ein Kurde mit einem Messer attackiert hatte. Neben solchen gewaltsamen Zusammenstößen sieht der Verfassungsschutz das hohe Mobilisierungspotenzial der PKK mit Sorge. Nach wie vor sei die PKK die schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland, so die Behörde. Sie sei in der Lage, Personen weit über den Kreis der Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. In Deutschland werden demnach Guerillaeinheiten rekrutiert.
1,2 Millionen Kurden leben in Deutschland
Ist hierzulande mit Anschlägen zu rechnen?
Die Sicherheitsbehörden halten Anschläge militanter kurdischer Gruppen auf Geschäfte, Vereine, Moscheen und andere Einrichtungen türkischer Migranten in Deutschland für möglich. In diesem Jahr waren mehrere Kurden zu Haftstrafen verurteilt worden, die nach der türkischen Militäroffensive im nordsyrischen Afrin Anfang 2018 solche Anschläge verübt hatten.
Und was ist mit der Gefahr durch den IS?
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die von den Kurden gefangen gehalten werden, die Kriegswirren zur Flucht nutzen und sich neu formieren. Darunter sind auch deutsche Staatsbürger. Eine Gelegenheit zur Flucht könnte sich auch für die IS-Frauen und ihre Kinder ergeben, die in den syrischen Lagern Roj und Al-Hol leben. Die Kurden und ihre bisherige Schutzmacht USA haben Deutschland und andere Staaten mehrfach aufgefordert, ihre Staatsangehörigen zurückzuholen.
Deutschland verwies bisher auf teilweise noch ungeklärte Identitäten und mögliche Risiken für die deutsche Bevölkerung. Organisiert wurde vom Auswärtigen Amt nur die Ausreise einiger Kinder. Nach Angaben der Bundesregierung waren Ende September 111 aus Deutschland ausgereiste Islamisten in Syrien in Haft.
Fünftägige Feuerpause vereinbart
Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang sagte dazu dem „Spiegel“: „ Der Konflikt in Nordsyrien könnte auch dazu führen, dass ausländische IS-Kämpfer aus den Gefängnissen freikommen und nach Europa zurückkehren, im schlimmsten Fall unbemerkt.“ Die USA und die Türkei haben eine fünftägige Feuerpause für Nordsyrien vereinbart, damit die syrischen Kurdenmilizen sich aus einer sogenannten Sicherheitszone zurückzuziehen können, die Ankara an der syrisch-türkischen Grenze errichten will.
Wie vielversprechend ist dieser Schritt für einen Frieden?
Die Kurden haben erklärt, dass sie die Feuerpause akzeptieren. Es werden aber noch vereinzelte Kämpfe gemeldet. Die EU-Staats- und Regierungschefs zeigten sich bei ihrem Gipfel in Brüssel skeptisch. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, die Kampfpause werde "zur Kenntnis" genommen. Die Türkei müsse aber ihre Militäroffensive "beenden", ihre Truppen abziehen und humanitäres Völkerrecht respektieren. EU-Ratspräsident Donald kritisierte die Vereinbarung zwischen der Türkei und den USA zu Syrien scharf. „In Wahrheit ist es keine Waffenruhe, es ist eine Forderung nach einer Kapitulation der Kurden“, sagte er.
Wie reagieren Politiker in Deutschland darauf?
Der Koordinator der Bundesregierung für die Transatlantische Zusammenarbeit, Peter Beyer, sagte unsrer Redaktion: „Die Invasion der Türkei im Nordosten Syriens ist gefährlich und falsch. Und Washington hätte die kurdischen Verbündeten im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in keinem Fall alleine lassen dürfen. Deutschland und Europa müssten sich aber fragen, „ob wir uns genügend für die Stabilisierung in Syrien eingesetzt haben oder hier nicht mehr tun könnten.“ Er appellierte an Kurden und Türken in Deutschland, „sich friedlich zu verhalten.“
Linken fordern Konsequenzen für Präsident Erdogan
Beyer: „Wir haben kein Interesse daran, dass der Konflikt hier bei uns in Deutschland eskaliert. Linken-Fraktionsvize Sevim Dagdelen beklagte: „Es ist ungeheuerlich, dass die USA der Türkei eine Besatzungszone in Syrien übergeben wollen.“ Der „türkische Angriffskrieg gegen die Kurden“ werde so legitimiert. Die Bundesregierung müsse ein umfassendes Waffenembargo sowie einen Stopp der Finanzhilfen einschließlich der Hilfen für einen möglichen EU-Beitritt und Hermesbürgschaften einleiten. Dagdelen forderte auch persönliche Konsequenzen für den türkischen Präsidenten. „Darüber hinaus braucht es individuelle Strafmaßnahmen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, wie die Beschlagnahme seiner Konten in der EU.“
Es sei zu erwarten, dass „die Kriegspropaganda Erdogans in Deutschland über die DITIB-Moscheen die Situation auch hier anheizen wird“. Sie mahnte: „Es kann nicht sein, dass in Deutschland unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit für Krieg und Nationalismus gehetzt wird."