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„Wo es billig ist, braucht man Bargeld“Protest gegen die Einführung der Bezahlkarte in Köln

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Bezahlkarte diskussion köln

Sie wissen , wie es ist, mit wenige Geld zu leben und sind deshalb gegen die Bezahlkarte: Die Klienten der Sozialberatung, darunter Jamal H. (4.v.r.) im Gespräch mit Tim Westerholt (3.v.l.) und den beiden Sozialberaterinnen der Einrichtung (4.v.l. und 2.v.r.).

Geflüchtete und Sozialeinrichtungen in Köln protestieren gegen die Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber, da sie die Betroffenen von Flohmärkten und günstigem Obst- und Gemüsekauf ausschließt.

Altenpflegerin, Hausmeister, Reinigungskraft, AWB-Mitarbeiter — Die Menschen, die in der Sozialberatung der Caritas in Höhenhaus zusammengekommen sind, arbeiten fast alle, die 44-jährige Hafida M. macht eine Fortbildung zur Kitahelferin, ihre Tochter Ghizla (20) beginnt gerade ihr Studium an der Technischen Hochschule in Köln. Sie alle sind aus ihrer Heimat geflohen, haben Deutsch gelernt, den Integrationskurs gemacht und zunächst von 460 Euro Asylbewerberleistungen gelebt. Sie wissen, wie es ist, davon alles zu bezahlen, was man zum Leben benötigt. Und was es für sie bedeutet hätte, kaum noch Bargeld zu haben und auf die „Bezahlkarte“ angewiesen zu sein.

Deren Einführung haben die Länder im Mai dieses Jahres beschlossen. Mit der Karte kann in den Geschäften bezahlt werden, die am System teilnehmen. Jede Kommune kann entscheiden, welchen Anteil der Asylbewerberleistung eine Person im Monat in bar ausgezahlt bekommt. Hamburg etwa hat festgelegt, dass ein Erwachsener in einer Erstaufnahmeeinrichtung 50 Euro, ein Kind 10 Euro im Monat in bar erhält. Die Menschen in der Sozialberatung haben sich in einer von der Kölner Caritas, der Diakonie Köln und dem Kölner Flüchtlingsrat mitinitiierten Unterschriftensammlung gegen die Einführung der Karte ausgesprochen. „Derzeit scheint sich von Landesseite ein Fenster zu öffnen, dass Kommunen per Ratsbeschluss den Einsatz der Karte ablehnen können“, so Tim Westerholt, Leiter Integration und Beratung bei der Caritas Köln, „Wir hoffen, dass Köln diese Ausstiegsmöglichkeit nutzt, sobald dies entschieden ist.“

Die Kinder und Jugendlichen sollen in die Klasse aufgenommen werden, fallen aber sofort auf. Jeder kann sehen, dass ein Geflüchteter Leistungen bezieht und anders ist.
Jamal H. (64), aus Syrien geflüchteter Geschichtslehrer

„Wir sind gegen diese Karte, denn überall wo es billig ist, braucht man Bargeld“, sagt Albana A. Kleidung und Spielzeug kauft sie auf Flohmärkten. Ihre Zwillinge (7) und ihre neunjährige Tochter wachsen schnell, und auch die 30-Jährige, die in Teilzeit in einer Bäckerei arbeitet, trägt ein Shirt aus dem Second-Hand-Laden. Ihr Mann ist Hausmeister beim Roten Kreuz. „Wir beide arbeiten. Trotzdem müssen wir sparen für Dinge, die es nicht billiger gibt, wie Geburtstagsgeschenke für die Schulfreunde und Schuhe. Oder Schulbücher, die Klassenkasse, Schulausflüge.“ Das Geld dafür werde in der Schule immer in bar eingesammelt, sagt sie.

Günstiges Gemüse nur gegen Bares

Ein Anlaufpunkt für alle ist der Markt auf dem Wiener Platz in Mülheim. Hier gibt es gegen Ende günstiges Gemüse und Obst. „Fünf Kilo Tomaten zum Preis von einem im Supermarkt“, sagt Jamal H. Wer hier kauft, braucht Bargeld. Der 64-Jährige Jamal H. ist vor acht Jahren mit seiner Familie aus Syrien geflohen, er und seine Frau waren Lehrkräfte für Geschichte und Erdkunde. Für Kinder und Jugendliche sei es besonders belastend, nur da dabei sein zu können, wo die Karte akzeptiert werde. „Sie sollen in die Klasse aufgenommen werden, fallen aber sofort auf“, sagt der Lehrer. „Jeder kann sehen, dass ein Geflüchteter Leistungen bezieht und anders ist.“ Und das für drei Jahre, in denen die Menschen Geld für ihre Grundversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen.

„Auch günstige Online-Käufe sind mit der Bezahlkarte nicht möglich“, so Tim Westerholt. „Und jede Überweisung — etwa für einen preiswerten Handyvertrag oder einen Sportverein der Kinder— muss einzeln bei Ämtern beantragt werden. Das bedeutet Zeitaufwand für Mitarbeitende und sicher oft lange Wartezeiten für die Geflüchteten.“

Zurückhaltend hat Ghizla, die jüngste in der Runde, die Diskussion bisher verfolgt. Dann sagt sie, dass ihr Leben mit der Karte und zehn Euro Taschengeld sicher anders ausgesehen hätte. „Für mich war es so wichtig, dass ich mit den Mädchen aus meiner Klasse ab und zu etwas unternehmen konnte“, blickt die 20-Jährige zurück. Sie kommt aus Syrien, ist seit fast zehn Jahren in Köln und will Ingenieurwissenschaften studieren. „Wenn man neu ist in einem Land findet man schwer Anschluss, wenn man kein Geld hat. Aber Freunde zu finden ist wichtig, um sich zurechtzufinden.“