Tristesse im TraumlandKostümläden stehen vor einer ungewissen Zukunft
Köln – Im Januar ist der Andrang im Eckladen auf der Johannisstraße kaum zu bewältigen. 30 bis 40 Menschen stöbern gleichzeitig in den engen Gängen des Geschäfts. Bei „Festartikel Schmitt“ decken sie sich alle für die Karnevals-Session ein. Ein neues Ganzkörperkostüm, ein rot-weißes Ringelshirt, hundert Prozent Baumwolle versteht sich, eine Spielzeug-Pistole oder ein Tanzmariechen-Schlüsselanhänger. Jeder qualitätsbewusste Jeck wird hier fündig. Normalerweise.
In diesem Jahr stöbert hier niemand. Im Hintergrund läuft leise eine Karnevals-Playlist, doch Geschäftsführerin Beate Schmitt ist die einzige Person im Laden. Kunden? Fehlanzeige. Im Lockdown steht die Kostümbranche still. Der Umsatz im Traumland der Kostüme liegt annähernd bei Null. Einen Online-Shop gibt es nicht. „Wenn jemand anruft und weiß, was er will, dann schicken wir ihm das“, sagt Schmitt. Doch viel bringe das ohnehin nicht. Ohne Präsenzveranstaltungen im Karneval ist auch die Nachfrage nach neuen Kostümen gering. „Wenn die Menschen zur Sitzung ins Autokino fahren, dann brauchen sie dafür keine neue Perücke. Dann reicht auch das, was noch zu Hause in der Kiste liegt.“
Laden musste schließen
Zum ersten Mal musste Schmitt den Familienbetrieb, der seit 1945 existiert, im März schließen. Im Juli ging es weiter, doch ein normaler Sommer war es nicht. Normalerweise kaufen die Kunden bei Schmitt für Sommer- und Straßenfeste. Die Macher großer TV-Produktionen sind Stammgast und kaufen Schminke, Perücken, Bärte und andere Requisiten. In der zweiten Filiale in Porz gibt es zusätzlich auch Tischdeko für das ganze Jahr. „Von alldem fiel das meiste weg – insgesamt bestimmt 80 bis 90 Prozent des Jahresumsatzes.“ Und dann war plötzlich wieder alles dicht. Erst fiel der Elfte Elfte flach, dann der gesamte Sitzungskarneval.
An einem normalen Aschermittwoch ist der Laden bis auf wenige Ausnahmen leer gekauft. Wenige Wochen später gibt Schmitt neue Ware für die gesamte nächste Session beim Hersteller in Auftrag. Eine neue Großbestellung wird es in diesem Frühjahr nicht geben. Die übrig gebliebene Ware kann sie zwar noch im nächsten Geschäftsjahr verkaufen, die konkreten Folgen sind aber noch nicht absehbar. Auch wenn die Klassiker – Pirat, Indianer oder Superman – immer gehen, ist unklar, wie sich die Kundenwünsche verändern. „Vielleicht werden die Leute genügsamer und brauchen nicht jedes Jahr etwas Neues oder Spezielles.“
Auch die Hersteller bangen ums Überleben. Die Folgen wären auch für Schmitt schwerwiegend. „Wenn es so kommt, dann haben wir schlechte Karten“ sagt sie. „Es ist schwer, was Neues zu finden, da wir immer spezielle, besonders hochwertige Sachen bieten“. Schmitt arbeitet seit vielen Jahr mit einem Hersteller zusammen, der auch auf individuelle Wünsche eingeht.
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Was das eigene Überleben angeht, ist Schmitt noch optimistisch – auch wenn die finanziellen Hilfen im Mai nur einem Tropfen auf den heißen Stein glichen. „Wir hoffen darauf, dass man im September wieder feiern kann. Wenn das Jahr genauso wird wie das letzte, wird es für uns nicht funktionieren.“ Das gelte für die gesamte Branche.Auch für sie persönlich ist es keine leichte Zeit. Sonst bewältigt sie im Januar mit ihrem Team von morgens bis abends den Kundenansturm. Jetzt muss sie sich darum bemühen, einen Rhythmus in ihren Tag zu bekommen. Normalerweise besucht sie privat die „Lachende Kölnarena“, Online-Sitzungen sind da kein Ersatz. „Wir könnten natürlich sagen: Wir sind alt genug und machen den Laden dicht.“ Doch es soll weitergehen. Der Kontakt mit den Kunden würde ihr fehlen, das merkt Beate Schmitt auch in dieser Situation. Der Spaß an ihrem Geschäft ist ihr auch nach vielen Jahren geblieben. Und das soll noch ein paar Jahre so bleiben.
Kreativ durch die Krise
99 Prozent – so hoch schätzt Belinda Krone die Umsatzverluste in ihrem Laden „Jeck Jewand“ auf der Luxemburger Straße. „Ohne meinen Mann hätte ich den Laden schon dicht machen müssen“, sagt sie. Von September bis Dezember bekam Krone Überbrückungshilfen, 90 Prozent der Fixkosten waren das. Wie es im Januar und im Februar aussieht, weiß sie noch nicht.
Sie verkauft aktuell eigene Stoffe und mit Dom bestickte Shirts auf „Etsy“, einer Online-Plattform für Selbst- und Handgemachtes. Sie ist täglich im Geschäft und verkauft auch vor ihrem Fenster. „Es ist besser, als nichts zu machen, aber finanziell ist das natürlich kein Ausgleich“, sagt Krone. Auf Dauer könne sich die Perspektive nur bessern, wenn die Corona-Maßnahmen aufgehoben werden, meint die Inhaberin. „Ich bin keine Corona-Leugnerin, aber nicht alle Maßnahmen sind sinnvoll.“
Auch andere Läden sind in der Krise erfinderisch. Bernd Sondergeld, Inhaber von „Jot Jelunge“ auf der Lindenstraße , verkauft individualisierte Gürtel, außerdem gibt es Kappen mit eigenem Wunschmotiv. Es geht darum, kreativ zu bleiben. Sondergeld hat sogar ein Lied mit dem Titel „Egomanie“ aufgenommen. „Die Verluste, die die Branche aktuell macht, können nur über viele Jahre kompensiert werden“, sagt er. Über die Hilfen vom Staat sei er dankbar, „doch die waren natürlich auch schnell weg.“
31 Filialen in Deutschland
Branchenführer Deiters betreibt 31 Filialen in ganz Deutschland. Das Unternehmen beschäftigt rund 700 Angestellte. Die Umsatzverluste während der Session liegen laut einem Sprecher des Unternehmens bei rund 90 Prozent. Die restlichen 10 Prozent erwirtschaftet Deiters im Online-Shop.
Der Mottoschal von Deiters wäre das einzige Produkt im Lager, auf dem das Unternehmen sitzen bleiben würde. Alle anderen Kostüme und Accessoires könnten auch im kommenden Jahr verkauft werden. Anders als die vielen kleineren Geschäfte sei Deiters nicht von Produzenten abhängig. Das Unternehmen produziert große Teile des Sortiments selbst.
Deiters-Chef Herbert Geiss forderte voriges Jahr neben finanziellen Hilfen vor allem eine Perspektive für die Branche. Es tue sich etwas in der Politik, aber: „Planungssicherheit haben wir noch keine“, sagt der Sprecher. Immerhin: Die Überbrückungshilfe I kam bereits an.