Auf Initiative des Flüchtlingsrates verfasst das Ausländeramt Leitlinien zum Kindeswohl bei Rückführungen. Damit will die Verwaltung sich selber in die Pflicht nehmen.
Ausländeramt in KölnKeine Abschiebung aus der Kita – Leitlinie in Köln erstellt
Mit einer Leitlinie zum Kindeswohl bei Abschiebungen will die Verwaltung sich selbst in die Pflicht nehmen. Damit kommt sie einer Forderung des Kölner Flüchtlingsrates nach, der sich seit Jahren intensiv mit dem sensiblen Thema befasst. In den als freiwillige Selbstverpflichtung verfassten Leitlinien wird etwa festgelegt, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr von Abschiebebeamten aus Kita oder Schule zwangsweise abgeholt werden dürfen. Auch ein Dolmetscher muss ab sofort bei Abschiebungen mit Minderjährigen vor Ort sein.
Damit sollen Vorfälle wie bei der Abschiebung der Familie L. im Mai 2022, gegen die Hilfsorganisationen protestiert hatten, nicht mehr möglich sein. Pastoralreferentin Marianne Arndt erinnert sich noch genau. „Die Situation war furchtbar. Um sechs Uhr morgens sind die Beamten in die Wohnung der Familie gekommen. Da ist alles schrecklich eskaliert. Die psychisch kranke Mutter hat einen Selbstmordversuch unternommen und wurde fixiert. Der Vater hat die Beamten daraufhin angegriffen, wurde überwältigt und ebenfalls gefesselt. Dabei mussten die neunjährige Tochter A. und ihre zwei kleineren Geschwister zusehen“, schildert Arndt.. „Weil kein Dolmetscher dabei war, musste das neunjährige Kind seinen gefesselten Eltern übersetzen, was die Beamten wollten. Dann wurde die Abschiebung vollzogen.“ Die Familie sei im Vorfeld über den Verlauf einer Abschiebung informiert worden, Dolmetscher vor Ort seien nicht üblich, hatte die Verwaltung damals mitgeteilt.
„Vor der neuen Leitlinie gab es keine verbindliche Festlegung, wie das Kindeswohl bei Abschiebungen und aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen zu gewährleisten sei“, sagt Claus-Ulrich Prölß vom Flüchtlingsrat, der die Kriterien mit erarbeitet hat. Gut sei, dass den Leitlinien die Kinderrechte der Vereinten Nationen (UN) vorangestellt seien und damit die Verankerung in einem übergreifenden Rechtsanspruch deutlich werde. Diese gelten für jedes Kind, „unabhängig von Herkunftsland, Aufenthaltsstatus, Bleibeperspektive und individuellen Gründen für Flucht und Migration“. Das deutsche Aufenthaltsgesetz stelle einen Basisschutz der Kinderrechte bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen sicher, so die Leitlinie weiter. „Darüber hinaus fehlen bislang kindeswohlspezifische Vorgaben für die Kommunen bei (...) aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“, stellt die Verwaltung fest.
Neben dem Abschiebeverbot aus Schule und Kita ist jetzt verpflichtend, das Minderjährige bis zum 17. Lebensjahr von ihren Eltern und nicht von Mitarbeitenden der Ausländerbehörde geweckt werden. Zudem sollen Familien nicht nachts abgeschoben werden.
Kinder dürfen jetzt nur von ihren Eltern geweckt werden
Neu ist auch, dass bei der Abschiebung eine Person dabei sein muss, die ausschließlich für die Verständigung mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen zuständig ist. „Diese ‚zuständigen Personen‘ sind in der Regel kein Pädagogen. Aber uns wurde zugesagt, dass sie speziell für diese Aufgabe geschult werden“, so Claus-Ulrich Prölß.
Nicht abgeschoben werden dürfen Jugendliche, die innerhalb eines Jahres einen Schulabschluss erlangen können. Eingesetzt hat sich der Flüchtlingsrat auch dafür, dass die Mitarbeitenden des Ausländeramtes während der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darauf achten, ob durch das staatliche Handeln oder das Verhalten sorgeberechtigter Personen kindeswohlgefährdende Aspekte vorliegen. Ist das der Fall, wird die Maßnahme nicht durchgeführt und das Jugendamt informiert.
Eine solche eindeutige Gefährdung des Kindeswohls habe bei der Abschiebung einer schwangeren 16-Jährigen mit geistiger Beeinträchtigung im März 2022 vorgelegen, so Marianne Arndt. (wir berichteten) Ihre Lehrer und die ihres jüngeren Bruders hatten sich für den Verbleib der Familie eingesetzt und dem Jungen gute Lernfortschritte attestiert. „In Albanien lebt die Familie in einer slumähnlichen Brettersiedlung, als Roma haben sie keine Chance, eine Arbeit oder Wohnung zu finden. Die geistig beeinträchtigte schwangere Jugendliche hat nur dank Spenden aus Deutschland eine begrenzte ärztliche Hilfe bekommen. Für sie gibt es keine Perspektive, ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder einen Schulabschluss zu machen“, so Arndt.
„Wir begrüßen sehr, dass es jetzt Leitlinien als Selbstverpflichtung gibt“, sagt Claus-Ulrich Prölß. „Gut ist auch die geplante Überprüfung nach sechs Monaten. Kritisch ist aber, dass auch weiterhin keine unabhängige Person bei den Abschiebungen dabei ist, die beobachtet und festhält, wie und ob die Leitlinien eingehalten werden.“
Deshalb sollten Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen von einer unabhängigen Stelle dokumentiert werden, so Prölß. Das gebe es schon am Flughafen Düsseldorf, wo Mitarbeitende der Diakonie Abschiebungen beobachteten. „Die Protokolle wären ja nicht öffentlich, sondern ein Instrument, mit dem das Ausländeramt selbst wirksam prüfen könnte, ob die Leitlinien umgesetzt werden. Oder auch, wo es noch Probleme gibt“, so Prölß. Grundsätzliches gibt Marianne Arndt zu bedenken, die mit den Ehrenamtlichen des Vereins Mosaik seit Jahren geflüchtete Menschen unterstützt. „Wir sollten Familien mit Kindern, die sich hier um Integration bemühen, gar nicht abschieben“, sagt sie.
Von Wohnen und Arbeit weitgehend ausgeschlossen
„Ein so lernwilliges Kind wie die neunjährige A. hätte bei uns sicher einen Schulabschluss und eine Ausbildung gemacht“, sagt Arndt. Auch die damalige Lehrerin hatte die Neunjährige als „gut integriert, empathisch und hilfsbereit“ beschrieben und sich für den Verbleib der Familie eingesetzt: „Für die vier, sieben- und neunjährigen Kinder der Familie ist Köln ihre Heimat, sie kennen nichts anderes.“ Albanien ist eines der ärmsten Länder Europas, die Volksgruppe der Roma dort in der schulischen Bildung stark benachteiligt und nach Angaben etwa von Amnesty International weitgehend oder ganz von Arbeit, Wohnen und Ausbildung ausgeschlossen. Deshalb werde die albanische Familie, wie viele andere, nach Ablauf der zwei Jahre Einreisesperre als Bürger eines Schengen-Staates auf legalem Weg nach Deutschland zurückkommen, vermutet die Pastoralreferentin. „Nach zwei verlorenen Jahren für ihre Kinder.“
Abgeschobene Kinder und Jugendliche
27 minderjährige Kinder und Jugendliche wurden in Köln im Jahr 2023 abgeschoben. Die Abschiebung erfolge ausschließlich im Familienverbund, teilte die Stadt mit. Rückführungen unbegleiteter Minderjähriger gebe es in Köln nicht. Höher war die Zahl der abgeschobenen bis 17-Jährigen in den Vorjahren; lediglich 2022 war sie mit 11 betroffenen Kindern und Jugendlichen geringer.
Im Jahr 2018 wurde 59 Minderjährige abgeschoben, 2019 waren es 69, 2020 waren 40 Minderjährige betroffen, 2021 belief sich ihre Zahl auf 62. Bevor eine Rückführung eingeleitet wird, werde eine Familie über die fördermittelgestützte freiwillige Rückkehrmöglichkeiten beraten. Wenn trotz Ausreisepflicht eine freiwillige Rückkehr abgelehnt werde, sei die Rückführung gesetzlich vorgesehen, so die Stadt. (bos)