Der Zoo baut im Aquarium einen Madagaskar-Schwerpunkt und zeigt bedrohte Tiere auf zwei Etagen. Mit Naturschützern wird eine Forschungsstation auf der afrikanischen Insel errichtet.
Wo Artenschutz ein Erlebnis istNeue Madagaskar-Themenwelt entsteht im Kölner Zoo
Spannend ist es schon jetzt, durch die weichenden Hydrauliktüren ins Halbdunkel des Aquariums zu treten. Doch bald wird dieser Schritt zum Beginn einer neuen Entdeckungsreise. Einer Reise auf die größte Insel Afrikas, der Heimat von zartgliedrigen Sifakas, winzigen Makis, schillernden Barschen und mächtigen Baobabs, den Affenbrotbäumen, die bis zu 2000 Jahre alt werden.
Das ganze Zoo-Team arbeitet mit Feuereifer an dem Projekt
Madagaskar, eineinhalbmal so groß wie Deutschland, wird ein neuer Artenschutz-Schwerpunkt des Zoos; er will sich noch stärker dafür einsetzen, möglichst viele der hoch bedrohten Säugetier-, Vogel-, Reptilien- und Fischarten der Insel vor dem Aussterben zu bewahren. Und das als Team, denn Zoochef, Kuratoren, Tierpfleger, Technik, Zoopädagogik und Marketing arbeiten gemeinsam mit Feuereifer an dem Projekt.
Im Aquarium sind die Vorarbeiten unübersehbar, im großen Panoramabecken herrscht gähnende Leere. Kurator Thomas Ziegler steht davor und muss schmunzeln. „Die bisher hier lebenden Fische umzusetzen, hat länger gedauert als gedacht. Vor allem die kleinen Traumbarsche haben sich unglaublich gut versteckt.“ Ab Ende des Monats werden sich im Becken Pollenbuntbarsche – irisierende Fische mit markanten weißen Punkten – und blauschimmernde Nosy-Be-Buntbarsche tummeln, die es nur auf Madagaskar gibt und nirgendwo sonst in der Welt. „Schon jetzt halten wir im Aquarium zehn bedrohte Fischarten aus Madagaskar, bei acht ist uns eine Vermehrung gelungen“, so Ziegler.
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Mächtiger Baobab soll als 3-D-Modell bis zur Decke ragen
Auch am Hang über dem Schaubecken wird alles anders. Das in den ersten Stock wuchernde Grün weicht madagassischen Pflanzen, selbst bedrohte Palmenarten werden hier wachsen. Im Treppenaufgang sollen an großen Baobab-Silhouetten mit teils interaktiven Elementen die biologische Vielfalt Madagaskars vermittelt werden. Hier können die Besucher herausfinden, wie Zoos zusammen mit Naturschützern vor Ort für bedrohte Arten kämpfen.
Vollends in die madagassische Fauna eintauchen werden sie in der früheren Schmetterlingshalle – dort wird es seltene Wirbellose, aber auch Amphibien und Reptilien inmitten der Pflanzenwelt Madagaskars zu entdecken geben. „Das ganze Team ist mit immer neuen Ideen dabei, diese Bereiche in den kommenden Monaten neu zu gestalten und so Artenschutz zum Erlebnis zu machen“, freut sich Ziegler.
Zum Beispiel mit einem mächtigen Affenbrotbaum, der als 3-D-Modell bis zur Decke emporwächst. Dieser in Afrika bis zu 30 Meter große Baum steht für die prekäre Lage der Flora und Fauna der Insel. Sechs der acht Unterarten des Baobabs, der im Stamm 40 000 Liter Wasser speichern kann, gibt es nur hier. Alle sind stark bedroht.
Schuhe und GPS-Geräte für Ranger, die Holzdiebstahl verhindern
Die Geburtsstunde der einmaligen Arten schlug vor 150 Millionen Jahren, als die Landmasse Madagaskars vom afrikanischen Kontinent abbrach. Deshalb sind 99 Prozent der Amphibienarten und 85 Prozent der Vogel- und Säugetierarten „endemisch“– sie kommen nur dort vor. „Stirbt eine Art dort aus, bevor wir in Zoos eine Reservepopulation geschaffen haben, verlieren wir sie unwiderruflich“, sagt Zoochef Theo Pagel.
Um das zu verhindern, hilft der Zoo auch vor Ort im Inselstaat Madagaskar, dem drittärmsten Land der Erde. „Die Menschen hier haben vier Dürrejahre, Pestausbrüche, Verwüstungen durch einen Zyklon und Corona ertragen müssen“, sagt Kuratorin Johanna Rode-White, die im vergangenen Juli im extrem trockenen Süden der Insel war. „Um an Brennholz zu kommen, fällen sie auch Bäume in Schutzgebieten.“ Mit fatalen Folgen. Die einst bewaldeten Hügel gleichen Mondlandschaften und können kein Wasser mehr speichern. Deshalb trocknen auch die Reisfelder in den Ebenen aus.
„Wir wollen beiden helfen – den Menschen und den bedrohten Arten“, sagt Rode-White. Das tut der Zoo jetzt mit einer Forschungsstation, die er mit Naturschützern vor Ort betreibt. Auch unterstützt er Ranger, die Holzdiebstahl verhindern. „Die gibt es schon, aber sie hatten keine Schuhe, Uniformen oder GPS-Geräte und arbeiteten für 93 Cent pro Tag“, so die Kuratorin. „Wir haben ihren Lohn verdoppelt, stellen Ausrüstung und die Station, die sie nutzen können.“
Mit dem Projekt auf Madagaskar knüpft Pagel an eine Tradition des Zoos an; hier werden seit den 1970er Jahre madagassische Lemuren gehalten. Deshalb konnte er mit Kurator Bernd Marcordes zwei Coquerel-Sifakas aus einem amerikanischen Zoo nach Köln holen. „Nur 200 dieser Tiere gibt es noch. Wir sind einer von drei Zoos in Europa, die sie halten dürfen“, sagt Rode-White, die das Madagaskarhaus in der Nachfolge von Marcordes leitet. Der ist dafür Kurator für Erhaltungszuchtprogramme von 144 Vogelarten, wie etwa dem madagassischen Schopfibis. Seit 20 Jahren pflegt er den Kontakt zum Tsimbazaza Zoo in Zentralmadagaskar, und auch der Transport der wertvollen Nachzuchten ist seine Sache.
In Zoos gut verbreitete Arten durch bedrohte ersetzen
Komplett wird das Madagaskar-Team durch den neuen Zooinspektor Robin Lammers. Er hat seine Abschlussarbeit zu den Vogelarten Madagaskars geschrieben – bei Thomas Ziegler, der außerplanmäßiger Professor an der Uni Köln ist. Lammers zeigte etwa auf, wo in Zoos verbreitete Arten durch bedrohte ausgetauscht werden können. „Dafür müssen Zoos meist nicht einmal die Gehege umbauen“, erklärt der 32-Jährige. „Vor zwei Jahren war Robin noch Student, jetzt betreut er Studierende mit, die diese Erhebung für die Säugetiere Madagaskars durchführen“, freut sich Ziegler. „Nach der Publikation können Zoos weltweit die Daten nutzen, um sich im Artenschutz noch zu verbessern.“
Manche Lemuren und Reptilien gibt es nur noch in kleinen Restwäldern
Denn die Zeit drängt. Für immer mehr madagassische Arten sind Erhaltungszuchten die allerletzte Chance. „Ihre Lebensräume werden rasant schnell zerstört, manche Tierarten gibt es nur noch in kleinen Restwäldern. Etliche Arten werden wir wohl nicht mehr retten können“, sagen Rode-White und Marcordes. „Aber wir müssen es zumindest versuchen.“
Gelungen ist das bei einem der seltensten Fische der Erde, dem Mangarahara-Buntbarsch. „In letzter Sekunde konnten Naturschützer die letzten ihrer Art aus Restgewässern retten, die nach vier Jahren ohne Regen fast ausgetrocknet waren“, schildert Ziegler. Der Zoo engagiert sich jetzt bei der Ausweitung des Erhaltungszuchtnetzwerks. In drei Jahren wurden 600 Jungfische nachgezogen und viele an Zoos in Europa weitergegeben.
Ebenso bedroht ist der Schönkopfgecko. Zehn winzige, farbenprächtige Echsen wachsen gerade im Untergeschoss des Aquariums heran. Kleine Hoffnungsträger, die sich wie in Zeitlupe bewegen. Dem Kölner Zoo ist es weltweit als erstem gelungen, die vom Aussterben bedrohten Schönkopfgeckos zu vermehren.
Zukunftsprojekte
Weiter forcieren werde man Schutzprojekte auf Madagaskar, so Zoochef Theo Pagel, der seit zwölf Jahren in der Madagascar Fauna and Flora Group aktiv ist.
Nashörner sind akut vom Aussterben bedroht. Deshalb verstärkt der Zoo die Hilfe für eine Schutzorganisation im Staat Eswatini im südlichen Afrika. Die neue Nashornanlage des Zoos soll im Sommer eröffnet werden.
Der Artenschutzeuro, der mit dem Erwachseneneintritt erhaben wird, hat seit Februar 360 000 Euro eingebracht und das Artenschutz-Jahresbudget verdoppelt.