Die Mittelstraße in Köln, ehemals Heimat exklusiver Boutiquen und Juweliere, erfährt einen Wandlungsprozess. Traditionsgeschäfte konkurrieren nun mit modernen Konsumläden.
Weg vom reinen LuxusWie sich die Mittelstraße in Kölns Innenstadt wandelt
Vor zehn Jahren schwärmte die „Bunte“ vom „noblen Boulevard im Herzen der Stadt“, auf dem sich „alles findet, was das luxuriöse Shopping-Herz begehrt.“ Die Mittelstraße sei „eine der exklusivsten Einkaufsstraßen der Domstadt“. Nachvollziehen ließ sich die Einschätzung durchaus: Edle Modeboutiquen, erstklassige Herrenausstatter, exquisite Schuhgeschäfte. Die Mischung aus kleinen Traditionsgeschäften und modernen Luxus-Shops macht den besonderen Charme der Einkaufsstraße aus.
Rund 70 Läden waren damals auf der Mittelstraße angesiedelt und sind es zum Teil heute noch. Darunter auch das britische Traditionsgeschäft Hawes und Curtis, das auch das britische Königshaus ausstattet. Noble Schuhgeschäfte sind hier angesiedelt, Goldschmiede, Juweliere, exklusive Modeboutiquen sowie der Concept-Store „Apropos“, der viele Luxuslabels unter einem Dach vereint.
Und heute? Die Mittelstraße ist immer noch anders als andere. Aber eben auch anders als früher. Der Luxus ist noch da, der Königshaus-Ausstatter, die Modeboutiquen, das „Apropos“ natürlich und viele andere. Dazwischen aber auch ganz andere Geschäftswelten: Der Steiff-Shop, Emma-Matratzen, der Comic-Laden, ein chinesischer Elektroauto-Bauer.
Arnd Böcking hat seit 26 Jahren sein Juwelier-Geschäft an der Mittelstraße und ist Sprecher der Interessengemeinschaft Mittelstraße. „In der Zeit hat sich die Straße immer extrem gewandelt“, sagt er. „Der Strukturwandel im Einzelhandel geht natürlich auch an der Mittelstraße nicht vorüber.“ Doch wenn der Online-Handel inzwischen gut ein Viertel des Gesamtumsatzes in Deutschland ausmache, fragt er sich – warum sei dann die Frequenz in der Mittelstraße gefühlt deutlich stärker nach unten gegangen als besagte 25 Prozent?
Einen Erkläungsansatz liefert er gleich mit. Böcking ist kein Auto-Freak, ganz im Gegenteil. Jeden Tag fährt der Goldschmied mit der Bahn von seinem Atelier in Solingen in sein Geschäft nach Köln. Und auch die benachbarte Ehrenstraße habe durch die Umwandlung in eine Fußgängerzone ausschließlich gewonnen, sagt er. „Aber das wurde auf dem Rücken aller Anliegerstraßen ausgetragen. Das Ziel ist genau richtig. Die Umsetzung aber ist, nett formuliert, äußerst fragwürdig.“
Probleme vom Neumarkt weiten sich aus
Die Mittelstraße ist immer noch eine sehr gute Adresse. Wer hier einkauft, wird sich in aller Regel nicht mit einem teuren Kleid oder wertvollem Geschmeide in die S-Bahn setzen und nach Hause fahren. Parkplätze gebe es zwar, sagt Böcking. „Aber die neue Verkehrsführung erschwert die Erreichbarkeit der vorhandenen Parkplätze. Hier muss der Wettbewerb mit den Nachbarstädten in den Fokus gerückt werden.“
Was ihm uns seinen Kundinnen und Kunden zudem zu schaffen macht, sind die altbekannten Probleme am Neumarkt, die längst auch in die Mittelstraße hineingeschwappt sind. So genau will Böcking gar nicht benennen, was da alles vor den Ladenlokalen gesäubert werden muss, bevor man den Kunden die Türen öffnen kann. Und auch, dass sich die eigentlich ja willkommenen Fahrradfahrer „Rechte erzwingen, die ihnen nicht zustehen“, empöre die oftmals etwas gesetztere Kundschaft in der Mittelstraße. Was nicht nur seiner Meinung nach allerdings kein Phänomen allein der Umgebung um St. Aposteln ist.
Aber man will hier auch keinesfalls alles schlechtreden. Der Kontakt der Ladeninhaber untereinander funktioniert noch gut, jedenfalls soweit sie inhabergeführt sind. Und das sind einige. Leerstände gibt es zwar, doch es werden wieder weniger – was trotz im Vergleich nach vor sehr hoher Mieten auch die objektiven Zahlen bestätigen. Die Winterbeleuchtung ist ein Highlight, auch neue Blumenkübel an den Laternen zieren die Einkaufsstraße. Das Verhältnis zur Stadtverwaltung sei im Übrigen ausgesprochen gut, bestätigen mehrere Ladeninhaber: Dort helfe man , so gut es gehe.
Der Kölner Verein Stadtmarketing sieht die Mittelstraße im Kontext der gesamten Innenstadt: „Auch die Mittelstraße unterliegt seit geraumer Zeit den deutlich sichtbaren Veränderungsprozessen innerstädtischer Handelslagen, die vor allem durch veränderte Mieterstrukturen und Konzeptwechsel sichtbar werden. Schlüsselakteure für eine Neuausrichtung sind die Immobilieneigentümer. Die Gründe sind aber vielschichtig und resultieren unter anderem aus veränderten Eigentumsverhältnissen, Erreichbarkeiten und neuen Verkehrsführungen sowie einem veränderten Kaufverhalten“, konstatiert der Vorstandsvorsitzende Helmut Schmidt.
Etwas unauffälliger, versteckter vielleicht als in der Hohe Straße und der Schildergasse vollzieht sich also auch in der Mittelstraße eine einschneidende Veränderung. Mit negativen, aber auch positiven Aspekten. Noch hat die Straße das Flair des Besonderen, gerade im Zusammenspiel mit der Pfeilstraße, der Benesisstraße sowie der „neuen“ Ehrenstraße. Und sie kann auch künftig eine wichtige Rolle spielen (s. Interview). Es wird aber entscheidend darauf ankommen, die Menschen, die hier leben und arbeiten, auf diesem Weg mitzunehmen.
Die Geschichte der Mittelstraße
Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Mittelstraße alles andere als eine „gute Adresse“: Ein klassisches Rotlicht-Viertel mit ein paar Handwerksbetrieben, zwischenzeitlich sogar mit Sichtschutz gegen unerwünschte Einblicke ausgestattet (s. Interview unten). Der Wandel kam wenn auch nicht über Nacht, so doch unaufhaltsam mit dem Wiederaufbau der Stadt nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Damals als autofreundliche Einkaufstraße neu gedacht, avancierte die Mittelstraße ob ihrer exponierten Lage schnell zu einer der beliebtesten Verbindungen zwischen Ringen und Innenstadt. Bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte sich der Ruf der Mittelstraße nachhaltig verändert. Die Zeit des Wirtschaftswunders tat ihr Übriges, um sie zu einer der begehrtesten Adressen Kölns zu machen. (two)