Das Pilotprojekt benötigt ein Update: Kaum vier Monate nachdem die luftreinigende Fassade am Studienhaus der Kölner VHS nahe dem Neumarkt angebracht wurde, muss eine neue produziert werden.
Pilotprojekt in KölnTextilfassade an der VHS reinigt die Luft nicht „wie erwartet“
Die Wissenschaft und der Journalismus haben viel gemeinsam, aber vor allem eins: Beide müssen das Geschehen immer wieder kritisch hinterfragen. So haben es die Forschenden auch bei der riesigen Textilfassade, die am Studienhaus der Volkshochschule (VHS) an der Cäcilienstraße angebracht ist, getan. Mit dem Ergebnis: Sie reinigt die Luft nicht so wie geplant. Das Forschungsprojekt ist angelaufen, benötigt aber bereits nach wenigen Monaten ein Update. Insgesamt soll das Projekt ein Jahr laufen, mit der Option auf Verlängerung.
Eine spezielle Beschichtung aus Nano-Titanoxid auf der Fassade soll eigentlich Stickstoffdioxide aus der Luft filtern, die gesundheits- und umweltschädlich sind. Die Rundschau hatte bereits vor einem Jahr exklusiv über die Planung berichtet. Seit April ist die 320 Quadratmeter große, zweigeteilte Fassade aus recycelten PET-Flaschen am Studienhaus befestigt. Es ist die Größte, die bisher in Deutschland installiert wurde. Doch die beschichtete Membran funktioniert noch nicht so, wie das Forschungsteam um Entwickler und Architekt, Dr. Jan Serode, sich das vorgestellt haben.
Textilfassade muss ersetzt werden
Deswegen soll die Fassade durch eine neue, weiterentwickelte ersetzt werden. Eine Stadtsprecherin bestätigt auf Anfrage der Rundschau: „Erste Messungen haben gezeigt, dass die photokatalytische Beschichtung der Textilfassade ihre Wirkung hinsichtlich des Abbaus schädlicher Stickstoffdioxide noch nicht wie erwartet entfaltet. Die bisherige Textilfassade wird daher durch eine neu beschichtete ersetzt, von der sich die Partner eine bessere Wirkung auf den Luftreinigungsprozess versprechen.“ Genaue Zahlen nennt die Stadt nicht.
In diesem Fall scheint der Rückschlag jedoch kein Beinbruch zu sein. Die Stadtsprecherin betont: „Das mit der wissenschaftlichen Begleitung beauftragte Forschungszentrum Jülich und die verantwortlichen Wissenschaftler haben im laufenden Projekt durch Laborversuche und Sensoren an der Fassade weitere Erkenntnisse für eine Optimierung der Beschichtung gewonnen.“
Die Kosten für die Nachjustierung sollen die Projektpartner Schüco und die Stiftung „Lebendige Stadt“ tragen, so die Sprecherin, die erklärt: „Aktuell befinden sich die neuen Textilmembranen noch in der Produktion.“ Wie viel die neue Fassade kostet, ist unklar. Bei der derzeit noch angebrachten Fassade war die Rede von Produktionskosten in Höhe von 250 000 Euro. Wann die neue Fassade in der Nähe des Neumarkts angebracht wird, ist ebenso unklar. Als die Idee 2023 der Politik vorgestellt wurde, sollte es noch fast ein Jahr dauern, bis das Projekt umgesetzt wurde. Wie die Rundschau erfuhr, soll die Fassade aber noch in diesem Jahr ausgetauscht werden.
Das Problem ist, dass der Austausch mit viel Aufwand verbunden ist. Das Studienhaus der VHS steht an der wichtigen Verkehrsachse, die die Innenstadt über den Neumarkt mit dem Rechtsrheinischen verbindet. Das war zugleich auch der Grund dafür, sie dort anzubringen, erhöht aber nun den Schwierigkeitsgrad. Sperrungen müssen gut geplant sein, um den Verkehr nicht lahmzulegen.
Kölns wichtige Verkehrsachse
Es ist eine der neuralgischen Stellen in Köln, wenn es um die Belastung mit Schadstoffen in der Luft geht. Deswegen gab es auch kritische Stimmen zu dem Projekt, die darauf pochten, dass der Luftreinhalteplan mit bewährteren Methoden eingehalten werden solle. Grund genug, sich die Werte einmal genauer anzusehen. In diesem Fall die Stickstoffbelastung der Luft, denn genau darum geht es bei der Textilfassade. Feinstaub und Kohlenstoff (CO2) bleiben deshalb hier außer Acht.
In Köln gibt es insgesamt 20 Messstellen, viele messen mehr als nur Stickstoff. Eine befindet sich an einem Straßenschild vor der Adresse Neumarkt 25. Diese ist nur wenige hundert Meter vom Studienhaus der VHS an der Cäcilienstraße entfernt. Die aktuellsten Werte der Messstation stammen aus Mai dieses Jahres, in dem Monat lag der Durchschnittswert bei 30 Nanogramm pro Kubikmeter. Der Höchstwert in der EU liegt bei 40 Nanogramm/Kubikmeter, allerdings im Jahresdurchschnitt.
2023 ermittelte die Messstation am Neumarkt einen Jahreskennwert von 29 Nanogramm/Kubikmeter. Nur an der Station an der Justinianstraße in Deutz war der Wert mit 33 höher. In diesem Jahr gab es nur eine Messstation in ganz NRW, die über dem Limit lag: An der Kuppstraße in Essen betrug der Wert bei 41 Nanogramm/Kubikmeter.
Positive Entwicklung der Werte
2019 sah das noch ganz anders aus: Damals rissen in NRW insgesamt elf Stationen in großen Städten den Maximalwert. Am Neumarkt waren es 41 Nanogramm/Kubikmeter, an der Justinianstraße 44, an der Luxemburger Straße und in Köln-Weiden jeweils 40. Im Februar 2019 lag der Wert nur für Februar am Neumarkt sogar bei 55,1.
Dabei zeigt sich zumindest ein Fortschritt. Denn 2010, zwei Jahre nachdem die EU die Grenzwerte für Luftqualität bestätigt hatte, lag der Wert für Stickstoffdioxid in der Luft an der Messstation am Neumarkt noch bei 61 Nanogramm/Kubikmeter – Höchstwert in der Stadt.
Dass die Höchstwerte mittlerweile durchgehend eingehalten werden, ist jedoch nur ein Teilerfolg. 2030 werden die EU-Grenzwerte verschärft, ab dann gelten für Stickstoffdioxid nur maximal 20 Nanogramm/Kubikmeter, die Hälfte. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt sogar nur 10 Nanogramm/Kubikmeter. Damit wird klar, dass die Stadt weiterhin auf Innovationen angewiesen ist. Innovationen wie die luftreinigende Textilfassade.