Pjotr Iljitsch Tschaikowsky kam Anfang 1889 für einen Auftritt nach Köln und zeigte sich einigermaßen überrascht von Orchester und Publikum. Anselm Weyer auf den Spuren eines begnadeten Künstlers, der das Dirigieren nur widerwillig erlernte.
Kölner SpurensucheAls Tschaikowsky das Kölner Orchester und Publikum über den Klee lobte

Der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky 1893.
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Eher ungern kam Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Anfang 1889 nach Köln, um sein Werk zu dirigieren. „Wenn meine ganze Tournee nur aus Konzerten und Proben bestehen würde, wäre das sehr angenehm“, erklärte er in einem Brief. „Leider werde ich jedoch mit Einladungen zu Mittag- und Abendessen überhäuft.“
Der russische Komponist war nicht das erste Mal in der Rheinmetropole, doch waren die vorherigen zwei Besuche lediglich billigend in Kauf genommene Zwischenstopps gewesen. Im Juli 1873 hatte der Musiker hier auf der Reise von Dresden nach Zürich eine Übernachtung eingelegt. Im Juli 1887 hatte es ihn auf der Reise nach Aachen hierher verschlagen. „Mit einem außerordentlich schnellen Zug“ war er über Passau, Regensburg, Nürnberg und Mainz nach Köln gekommen, wo er auf seinen Anschlusszug warten musste. Tschaikowsky genoss, wie er in einem Brief schreibt, die „paar Stunden Pause von der Reise und den Gesprächen über Politik mit meinem ungarischen Nachbarn, der mich mit seinem Geplapper einfach quälte“. Er „besuchte zweimal sehr lange den Kölner Dom, promenierte am Ufer des Rheins entlang, aß in einem Restaurant ausgezeichnet zu Abend, reiste um 6 Uhr abends ab und war um 8 Uhr in Aachen“.
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky sollte im Gürzenich seine Suite Nr. 3 G-Dur op. 55 dirigieren
Bei seinem dritten Köln-Besuch, der endlich wirklich der Stadt galt, erwarteten Tschaikowsky unwirtliche Wetterverhältnisse. Kälteste Temperaturen war der Komponist zwar aus der Heimat gewöhnt, aber das Reisen verkomplizierten die Bedingungen dann doch. Schließlich blieben im Februar 1889 in Köln zeitweise die Bahnlinien gesperrt, weil Schneewehen sie unbefahrbar machten. Trotzdem schaffte es Tschaikowsky rechtzeitig von Berlin nach Köln. Mehr noch. Wegen unklarer Absprachen fand er sich sogar zu früh zur ersten von drei jeweils dreistündigen Proben ein. Zum Auftakt seiner zweiten Konzertreise außerhalb Russlands sollte er nämlich am 12. Februar 1889 im Gürzenich seine Suite Nr. 3 G-Dur op. 55 dirigieren.
Er trat nicht gerne ans Pult, wie er in einer für den Kölner Musikjournalisten, Komponisten und Pianisten Otto Neitzel verfassten autobiografischen Skizze verrät. „Bis zum Alter von 46 Jahren hielt ich mich für vollkommen unfähig, ein Orchester zu dirigieren“, schreibt der Komponist. „Meine Scheu vor dem Dirigentenpult war eine so ausgeprägte, dass ich daran nicht ohne Angst und Zittern denken konnte.“ Inzwischen hatte Tschaikowsky den persönlichen Auftritt mit Taktstock als einträglichen, wenn auch lästigen Gelderwerb akzeptiert.

Bei Otto Neitzel in der Pfälzer Straße 55 gab es bei Otto Neitzel einen Abendempfang.
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Der Komponist war zwar eigenen Angaben zufolge in einem „netten kleinen Zimmer“ im Hotel du Nord, Frankenplatz 4–8, untergebracht. Trotzdem klagte er über die „üblichen Gefühle von Heimweh“ und sehnte seine Rückreise herbei – zumal er von Köln wenig erwartete. Umso angenehmer wurde er überrascht. „Man erwartet kaum, in einer Stadt von untergeordneter Bedeutung ein erstklassiges Orchester zu finden, und ich war überzeugt, dass es nur ein sehr schlechtes sein würde“, schreibt Tschaikowsky nach Hause. „Der örtliche Dirigent Wüllner hat jedoch mit solcher Sorgfalt und Energie gearbeitet, dass es ihm gelang, ein großartiges Orchester zu organisieren, das mich vom Beginn meiner dritten Suite an mit Erstaunen und Bewunderung erfüllte.“ Der ansonsten eher reservierte Komponist geriet geradezu in Begeisterung. „Zwanzig erste Violinen! Und solche Violinen! Auch die Bläser sind bewundernswert. Sie lesen das Scherzo, das besonders schwierig ist, als würden sie es zum zehnten Mal spielen. Mit einem solchen Orchester und drei Proben war es leicht, eine exzellente Aufführung zu erreichen.“ Zumal Tschaikowsky sich trotz „komischer Künstlergarderobe“ vom „ausgezeichneten“ Konzertsaal ebenso angenehm überrascht zeigte, wie vom Kölner Publikum. Dieses sei „nicht so dumm konservativ wie in vielen deutschen Städten“.
Die Kölner erwarteten das Konzert im Gürzenich am Dienstagabend, 12. Februar 1889, mit einiger Spannung. Nach ersten, noch von Franz Wüllner dirigierten Stücken von Wagner und anderen Künstlern, trat endlich der exotische russische Gast ans Dirigentenpult. „Der Komponist besitzt eine hohe, schlanke Gestalt mit ovalem Gesicht und bereits stark ergrautem Haar und Bart, obgleich die fünfzig Jahre noch nicht erreicht sind“, berichtet die zeitgenössische Presse. „Seine Haltung während des Dirigierens ist elegant und vollkommen ruhig. Er gilt für einen der ersten, wenn nicht für den besten Vertreter der russischen Nationalmusik, das heißt, insoweit die russische Nationalmusik überhaupt noch einem deutschen Gaumen genießbar erscheint.“
Tschaikowsky erwartete wenig von Köln
Verwundern darf, dass gerade das Tanzhafte in Tschaikowskys Suite einem Kölner Rezensenten übel aufstieß. „Mag die Komposition für großes Orchester nun Sinfonie heißen oder auch den weniger anspruchsvollen Namen ,Suite' tragen, wir wollen im großen Konzert von unserm Orchester keine Tänze hören, weil sie sofort einen Beigeschmack erwecken, der nicht zu deutschen Konzerten großen Stiles passt“, schimpft der Kritiker und höhnt darüber hinaus: „Wenn die Suite noch einmal gemacht wird, dann möge man sich doch zum Spaziergange durch den Saal zusammenpaaren.“
Solche Stimmen aber blieben weit in der Unterzahl. „Der Gast konnte sich eines vollen Erfolges rühmen“, versicherten andere Pressestimmen. „Jeder einzelne Satz wurde lebhaft beklatscht, und der Komponist am Schluss unter dem Schmettern der Trompeten und Rollen der Pauken stürmisch gerufen.“

Der Gürzenichsaal im Jahr 1899.
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Das war es auch, was Tschaikowsky im Gedächtnis blieb. „Der Erfolg war großartig, und als ich zurückgerufen wurde, begrüßten mich die Musiker mit einer Fanfare“, schreibt Tschaikowsky stolz über sein Kölner Konzert. Da ertrug er auch relativ klaglos seine weitergehenden gesellschaftlichen Verpflichtungen – beispielsweise ein Essen bei Ludwig Wüllner am Hansaring 7 oder dieser leidige Abendempfang zu seinen Ehren bei Otto Neitzel in der Pfälzer Straße 55.
Auf seiner nächsten Station in Frankfurt am Main angekommen notiert er fast schon sehnsüchtig in sein Tagebuch: „Orchester schlechter als das in Köln.“ Und während sich Tschaikowsky in seinen Briefen generell fragte, wieso er bloß die Tortur dieser Konzertreise auf sich genommen hatte und sich dabei insgesamt nicht sonderlich erfreut über die geringen Kenntnisse des deutschen Publikums über die russische Musik zeigte, so führte er doch Köln als rühmliche Ausnahme an. Zu weiteren Auftritten Tschaikowskys in Köln kam es nicht mehr. Er starb überraschend im Winter 1893 mit nur 53 Jahren – kurz nachdem er die Uraufführung seiner „Sinfonie Pathétique“ geleitet hatte.