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Die 68er in Köln (8)„Politisches Nachtgebet“ sorgte in Köln für Furore

Lesezeit 5 Minuten

Kann sich noch gut an das „Drumherum der Nachtgebete“ erinnern: Martin Sölle in der Antoniterkirche.

Köln – Martin Sölles Erinnerungen an das Politische Nachtgebet? „Das ist nach dieser langen Zeit schwierig zu sagen“, meint der Sohn von Dorothee Sölle, die als Schlüsselfigur dieses revolutionären Gottesdienstes gilt, der von 1968 bis 1972 die Antoniterkirche in der Schildergasse bis zum bersten füllte. „Meine Erinnerungen sind durch die vielen Fotos und nachträglichen Erzählungen überlagert. Zudem war ich 1968 erst 12 Jahre alt.“

1956 geboren hat Martin Sölle als Schüler miterlebt, wie seine Eltern und ihre Freundinnen und Freunde die politische Debatte in die Kirche brachten. Bei einem Nachtgebet hat er auch einen Text vorgetragen. Ansonsten haben ihn die Gottesdienste selbst damals weniger interessiert. „Das war eher eine Erwachsenenangelegenheit“, meint Sölle und erklärt: „Die Gottesdienste waren ja sehr wortlastig mit teilweise minutenlangen Schachtelsätzen.“ Information, Meditation und Aktion waren die Grundpfeiler dieser neuen Gottesdienstform.

Den Schrecken des Dritten Reiches vor Augen

Zur Person

Martin Sölle, Jahrgang 1956, ist der Sohn von Dorothee Sölle, der wohl profiliertesten Theologin des 20. Jahrhunderts. Heute engagiert er sich im Centrum Schwule Geschichte, Köln, im Verein El-De-Haus und im Gremium 27. Januar „Erinnern – eine Brücke in die Zukunft“.

2004 wurde er mit der Kompassnadel des Schwulen Netzwerks NRW geehrt. Der Buchhändler führt den Buchsalon Ehrenfeld.

Außerdem sollte mit Diskussion im Gottesdienstraum die Demokratie in der Kirche Einzug halten. Die Schrecken des Dritten Reiches noch vor Augen proklamierte Dorothee Sölle, dass Gott nicht allmächtig sein könne. Also kein „Papa-wird’s-schon-richten-Gott“ mehr. Christen müssen selbst politisch handeln – auch in der Kirche. Sie müssen, wie Dorothee Sölle es in einem Poltischen Nachtgebet formuliert, „seine Revolution weitertreiben auf sein Reich hin“.

„Gut kann ich mich noch an das Drumherum der Nachtgebete erinnern“, meint Martin Sölle, „die Vorbereitungstreffen mit Peter und Vreneli Busmann, Egbert und Mechthild Höflich, Vilma Sturm, Marie Veit und anderen“. Hier wurde natürlich viel gelacht, vor allem aber war es harte Arbeit: „Das Intellektuelle stand im Vordergrund“, berichtet Sölle. „Nicht einmal Essen gab es. Aber dafür ausreichend Wein.“

Das Politische Nachtgebet in der Antoniterkirche sorgte für solche Furore, dass sich die intellektuelle Elite am Pauliplatz, wo Dorothee Sölle mit ihrer Familie lebte, die Klinke in die Hand gab. Sogar Bundespräsident Gustav Heinemann kam einmal zu Besuch. Da er zu dem Zeitpunkt schon in fortgeschrittenem Alter war, zitterte ihm die Hand, als er sich Kaffee einschenkte. Da habe, erzählt Martin Sölle schmunzelnd, seine kleinere Schwester besorgt gefragt: „Na, klappt's noch?“ Kinder waren nämlich auch bei solch hohem Besuch erlaubt. „Um ein wenig anzugeben“ lud Martin Sölle einen Freund ein, als sich Ernst Bloch angekündigt hatte, der von den 1968ern fast heldisch verehrte Philosoph. Der Autor des Bestsellers „Das Prinzip Hoffnung“ war beeindruckt, dass das anwesende Ehepaar Höflich gleich acht Kinder hatte, und murmelte trocken: „Das ist nicht mehr Hoffnung, das ist schon Zuversicht!“

Familie Sölle brauchte Geheimnummer

Aber natürlich gab es auch Gegner, nicht nur bei der Amtskirche, die den „blasphemischen“ Gottesdienst verbieten wollte. Den einen war es ein Dorn im Auge, dass das Politische Nachtgebet Sozialismus in den Gottesdienst brachte, andere konnten es nicht verkraften, dass die geschiedene Protestantin Dorothee Sölle doch tatsächlich den „entsprungenen Mönch“ Fulbert Steffensky geheiratet und mit ihm ein Kind gezeugt hatte. Die Familie brauchte zwischenzeitlich eine Geheimnummer, weil zu viele Verrückte anriefen, die Sölle und Steffensky teils wüst beschimpften.

Wollte mit dem „Politischen Nachtgebet“ die Demokratie in die Kirche bringen: Die Theologin Dorothee Sölle.

„Die Erfahrung beim Politischen Nachtgebet hat mich sicherlich, was die Politik angeht, stark geprägt“, meint Martin Sölle. Sein Leben lang hat er sich politisch engagiert, von Amnesty International und Schülerbasisgruppen in der Jugend bis hin zum Centrum Schwule Geschichte und dem Verein El-De-Haus in der Gegenwart. Selbst „Der andere Buchladen“, in den er um 1990 eingestiegen ist, wurde anfangs gegründet, um die Menschen mit Informationen zu versorgen, die in den Massenmedien zu kurz kamen – und ist somit eine Fortführung der um richtige Information besorgten Politischen Nachtgebete. Mit der Antoniterkirche verbunden ist Sölle bis heute durch sein Engagement im Vorbereitungsgremium „27. Januar“, der dort begangenen zentralen Gedenkveranstaltung zur Befreiung von Auschwitz.

Und die Kirche? In seiner Jugend nahm sie natürlich einen wichtigen Raum ein. Die Familie ging beispielsweise oft zum Gottesdienst in die katholische Kirche St. Peter. „Offiziell durften wir als Protestanten nicht am am Abendmahl teilnehmen – wie es ja gerade wieder bestätigt wurde.“ Martin Sölle selbst hat damals darauf gut verzichten können. Wie viele andere war er als Jugendlicher eher der Meinung, dass die Politik das wichtige sei und man den Gottesdienst eigentlich auch weglassen könnte. Das änderte sich aber ungefähr ab seinem 30. Lebensjahr wieder.

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Heute gehören Elemente des Politischen Nachtgebets wie selbstverständlich zu den liturgischen Möglichkeiten eines Gottesdienstes. Trotzdem vermisst Sölle, wenn er heute in die Kirche geht, zuweilen die Politik, den Aufruf zum konkreten christlichen Handeln. Zwar engagieren sich auch heute noch viele Menschen, gerade auch Jugendliche. Dies erfolge aber, meint Sölle, vielfach punktueller als noch in der Zeit um 1968, zu teils sehr speziellen Anlässen. Das Engagement in gefestigten Strukturen wie den Parteien und in der Kirche erscheine ihm manchmal etwas nachhaltiger.