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Interview mit Anastasia Bondar„Wir brauchen hier natürlich sehr viel mehr öffentliche Trockentoiletten“

Lesezeit 6 Minuten
Anastasia Bondar sitzt an einem Tisch und zeigt ihre Erfindung.

Gute Idee: Anastasia Bondar mit ihrem Prototyp eines sensorbedienten, also berührungslos funktionierenden Einstreuapparates.

Anastasia Bondar will dafür sorgen, dass in Köln mehr Trockentoiletten aufgestellt werden. Im Interview spricht sie über das Tabu-Thema.

„Brückengrün“ nennt sich die Werkgemeinschaft am Bonner Wall. Und die Fassade ist tatsächlich gestrichen mit jenem Grün, das OB Konrad Adenauer einst bei Bayer für die Kölner Brücken bestellte.

Lassen Sie uns über Exkremente reden.

Gern.

Ihre Masterarbeit hieß „A Toilet Paper“. Worum ging es dabei?

Um nachhaltige Sanitärversorgung, konkret um öffentliche Toiletten in Köln. Wir gehen alle zur Toilette, aber wissen meistens nicht, in welche Kreisläufe wir da eingebunden sind. „We flush and forget“, sagt man im Englischen, weil wir uns mit dem Thema nicht beschäftigen wollen.

Aber Sie haben dieses Tabu gebrochen.

Unsere verdauten Lebensmittel enthalten wertvolle Nährstoffe, vor allem Phosphor und Stickstoff, die unsere Nahrungsmittelproduktion als Düngemittel benötigt.

Inwiefern sind die von Ihnen entwickelten Trockentoiletten „trocken“?

Urin und Fäzes sind feucht, klar. Aber im herkömmlichen Klo werden sie mit Wasser vermischt und weggespült. Bei der Trockentoilette verzichten wir auf Wasser und Chemie und trennen die Stoffströme der Fäkalien, um sie zu recyceln.

Es wird also nicht gespült, sondern gesammelt?

Genau, und dann mit Einstreu bedeckt. Durch die Trennung von „fest“ und „flüssig“ verhindern wir außerdem die Entwicklung von Gestank.

Erinnert an das Prinzip des historischen Plumpsklos, dessen Inhalt später auf die Felder verteilt wurde.

Die alten Plumpsklos sind gegebenenfalls mit Ekel verbunden, und getrennt wurde dort auch nicht. Mithilfe der geruchlosen Trockentoilette sollen die Nährstoffe auch wieder der Landwirtschaft zugeführt werden. Diesen Sommer wird die erste Holy Shit-Trockentoilette aufgestellt, voraussichtlich im Volksgarten.

Sie reden in diesem Zusammenhang von einer „Sanitärwende“.

Wir wollen weg von der Wassertoilette, um die Nährstoffe, die wir mit unserer Nahrung aufnehmen, wieder in einen Kreislauf zu führen. Vom linearen System zum Kreislauf: Das ist die Wende.

Und die Malocher im Stammheimer Klärwerk werden dann arbeitslos?

Nein, das Abwassersystem über Kanäle bleibt ja erstmal bestehen – obwohl auch dabei Nährstoffe und Ressourcen verloren gehen. Uns geht es zunächst einmal um Orte ohne Kanalanschluss, also Grünanlagen, Baustellen, Festivals, und dann auch um den Neu- und Bestandsbau.

Also erstmal Orte, an denen normalerweise Dixi-Klos stehen.

Genau. Die verwenden Chemie, und der Inhalt wird zwanzigfach verdünnt, bevor er in die Kläranlage strömt. Klärwerke sind übrigens ab 2029 verpflichtet, Phosphor zu recyceln. Leider hat die Politik versäumt, den Stickstoff mit ins Auge zu fassen.

Wie sind Sie zu Ihrem Thema gekommen?

Die alte Sickergrube einer Bekannten in ihrem Bonner Kleingarten musste stillgelegt werden. Ich dachte über Alternativen nach und stieß relativ schnell auf Trockentoiletten. In Kleingärten, Campern oder auf Booten werden sie ja schon genutzt. In der Folge habe ich dann tatsächlich meine erste Trockentoilette gebaut.

Erfunden haben Sie dieses System also nicht.

Das Prinzip der Trockentoilette ist uralt, aber darum geht es nicht. Ich will es wieder ins Bewusstsein rufen und solche Toiletten zugänglich machen.

Sind Sie überregional vernetzt?

Ja, die Trockentoilettenszene ist im „Netzwerk für nachhaltige Sanitärsysteme“ organisiert. Da bin ich seit letztem Jahr Mitglied. Zweimal im Jahr treffen wir uns auf dem sogenannten „Scheiß-Kongress“.

Inwiefern hat der Ihnen 2022 verliehene Kölner Designpreis Ihr Leben verändert?

(lacht) Vor allem hat er das Thema gepusht, was mich sehr freut.

Und die 3500 Euro Preisgeld haben Sie in schickes Klopapier investiert?

Die gehen komplett in die Entwicklung der Trockentoilette, die zum Teil auch von der Stadt gefördert wird.

Köln stand nie für Innovation, Köln ist hässlich, und hier klappt nichts. Oder?

Das würde ich so nicht sagen. In Köln steckt viel Innovationskraft und Mut zur Veränderung!

Durch Leute wie Sie?

Zum Beispiel.

Sie sind wegen der Köln International School of Design (KISD) hier hingekommen. Auch nach dem Master sind Sie geblieben. Wieso?

Weil ich mich verliebt habe in diese Stadt und die Herzlichkeit ihrer Bewohner. Zudem hat mir die KISD einen tollen Rahmen und gute Netzwerke geboten, um mich zu entwickeln. In Köln bin ich glücklich, ich möchte hier bleiben und die Stadt mit verändern.

Was gefällt Ihnen in Kölns Straßenbild?

Die vielen Herausforderungen, die man angehen kann.

Schön gesagt. Was sollte vordringlich verändert werden?

Wir brauchen hier natürlich sehr viel mehr öffentliche Trockentoiletten.

Könnten Sie theoretisch alles designen, haben sich aber auf Exkremente spezialisiert?

Ich habe Integrated Design studiert, ein sehr holistischer, transdisziplinärer Studiengang. Eine breite Basis, aber im Moment sind die Trockentoiletten meine Nummer eins, die momentan alle meine Kapazitäten bindet.

Und der auf unserem Foto abgebildete Einstreusensor ist aktuell der nächste Schritt?

Genau. Der Sensor sorgt dafür, dass das Einstreu berührungslos über die Fäzes fällt.

Thema Vandalismus: Was passiert, wenn ich in meiner Kabine in der Fußgängerzone heimlich einen Kaugummi auf den Sensor klebe?

Das Interface ist groß genug. Das müsste ein sehr großer Kaugummi sein. (lacht)

Sie arbeiten mit im Innovationsbüro der Stadt Köln. Was tun Sie dort?

Ich betreue unter anderem die Koordination zwischen der KISD und der Stadt. Unsere letzten Projekte betrafen die Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Bürgerinnen und Bürger müssen nicht immer „zur Stadt kommen“, sondern die Stadt beteiligt Menschen immer mehr auch vor Ort und im Alltag. Dafür haben wir etwa unser „Meinungsmobil“ auf den Weg gebracht, einen Fahrradanhänger für alle Dienststellen der Stadtverwaltung, der die Beteiligung in allen Ecken Kölns unterstützt.

Wo ist das Büro angesiedelt?

Wir gehören zum Dezernat der Oberbürgermeisterin und dort zum Referat für Strategische Steuerung. Das Innovationsbüro ging letztlich aus der von unserer Oberbürgermeisterin Henriette Reker angestoßenen Verwaltungsreform hervor. Und es besteht weiter, weil der Veränderungsbedarf natürlich nach wie vor groß ist.

Was sollte verändert werden?

Ein Format sind zum Beispiel unsere Veränderungswerkstätten, in denen wir dezernatsübergreifend arbeiten. Die Themen sind dabei so vielfältig wie die Stadtverwaltung selbst: von vereinfachten Kulturfördermittelanträgen bis zu Informationen über die verschiedenen Hilfsangebote des Amts für Soziales, Arbeit und Senioren.

Was wollen Sie mal werden?

Darüber muss ich kurz nachdenken… Am Anfang meines Studiums hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal im Service Design lande oder Trockentoiletten entwickele. Im Studium habe ich gelernt, Probleme zu lösen. Und das wollte ich wohl schon immer: Probleme lösen und damit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Daniel Düsentrieb.

Oder Anastasia Bondar!

Wo steht das Projekt „Trockentoiletten“ in fünf Jahren?

Sämtliche mobilen Toiletten werden Trockentoiletten sein – mit deutlich mehr Standorten als heute, damit wir die globalen Nährstoffkreisläufe wieder lokal schließen.


Zur Person

Anastasia Bondar wurde 1995 in Bonn geboren. Nach dem Abitur, diversen Reisen und Praktika studierte sie ab 2015 Integrated Design an der Köln International School of Design (KISD).

2022 machte sie Ihren Masterabschluss zum Thema „A Toilet Paper – Sustainable Sanitation Solutions for Municipalities“. Damit gewann sie im selben Jahr auch den mit 3500 Euro dotierten Kölner Designpreis. Eine erste von ihr entwickelte Trockentoilette wird in diesem Sommer in einer Kölner Grünanlage aufgestellt. Seit 2020 arbeitet sie zudem im Innovationsbüro der Stadt Köln, das der Oberbürgermeisterin unterstellt ist. Anastasia Bondar wohnt in Sülz. www.anastasiabondar.de www.holyshit.de