Auch wenn die Stimmung karnevalistisch ist, der Geisterzug ist geblieben, was er war: Eine Demonstration. Aber eine sehr schöne.
Schön GruseligDer Geisterzug zog wieder durch Köln – und endet in Nippes
Diesmal ging Erich Hermans als Willi Ostermann dem Geisterzug voran: im langen Gehrock, mit Melone und Flügeln. Bisher war der Vorsitzende des Veranstalters „Ähzebär un Ko“ in Gestalt der Stadtgründerin Agrippina mitgezogen. Das neue Kostüm durfte wohl als Tribut ans Jubiläum „200 Jahre Kölner Karneval“ verstanden werden. Obwohl der Geisterzug eine politische Demonstration ist, die sich erstmals 1991 spontan formierte, weil der große Rosenmontagszug wegen des Golf-Kriegs ausfiel.
Trotz karnevalistischer Elemente ist der Geisterzug eine Demo geblieben, und in dieser Zeit der Krisen und Katastrophen auf der Welt wollte das Organisatoren-Bündnis eine besondere Botschaft in die Welt senden. Unter dem Motto „Fastelovend es för all – halal, koscher un liberal“ führte der Zugweg erstmals entlang von Standorten religiöser Gemeinschaften in Riehl und Niehl.
Schweigeminute für Erdbebenopfer
Bevor sich der etwas andere Zoch in Bewegung setzte, rief Erich Hermans zu einer Schweigeminute für die Verfolgten im Iran, die Erdbeben-Opfer in der Türkei und in Syrien sowie für die Ukraine auf. Anmeldungen zum Geisterzug waren nicht erforderlich; die meisten Teilnehmenden, darunter auffallend viele junge Familien, säumten den viereinhalb Kilometer langen Weg oder schauten dem Treiben aus den Fenstern ihrer Wohnungen zu.
Eher Staunen über so viel Kreativität als Grusel verbreiteten die beleuchteten Gespenster, Skelette, Sensenmänner, Teufel, Vampire, mittelalterlichen Pest-Doktoren mit Langnasen-Masken, Hexen und Untoten.
Immer wieder ein herrlich schauriger Anblick: die KG Tote Funken von 2015 und die Schnappviecher, eine Mischung aus Drachen und Stieren, aus Recklinghausen. Eine einzelne, kleine Fußgruppe trieb der Klimawandel um. „Mer kruffe us em Jrav, wat maht Ihr met uns Ääd“ war an deren Kinderwagen volle „toter“ Puppen zu lesen. Samba-Gruppen wie Ribombo de Nippes sorgten für schwungvolle Trommelrhythmen.
Die Musik schweigt für die Nazi-Opfer
Der wechselte an der Synagoge der Jüdisch-Liberalen Gemeinde „Gescher LaMassoret“ in jiddische Melodien. Geiger Igor Epstein brachte auch das schaurigste Gespenst zum Tanzen. Vor der Kirche St. Engelbert empfing die Reformbewegung Maria 2.0 den Geisterzug. „Die katholische Kirche von allen guten Geistern verlassen?!“ stand auf einem Banner. Daneben eine Sprechblase „Mea culpa, mea maxima culpa“ (Meine Schuld, meine große Schuld) und ein „Kardinal“, der sich geißelt. Hier erinnerte Erich Hermans an die berühmte Silvesterpredigt 1946 von Kardinal Frings, der an dieser Stelle von der Sünde des Stehlens freisprach, sofern sie aus Not begangen wird. Vor dem Plakat „Ja! Wir alle sind Kirche! Herr Woelki, das Maß ist übervoll. Wir nehmen Ihr Rücktrittsangebot gerne an“ trompetete ein „Priester“, der anschließend im Zug bis zum Endpunkt Wilhelmplatz in Nippes mitging.
Musik verstummt in Gedenken an Nazi-Opfer
Dagegen verstummten die Trommeln in der Naumannsiedlung in Gedenken an den Erbauer Manfred Faber. Der jüdische Architekt wurde 1944 in Auschwitz von den Nazis ermordet. Auch im Umfeld der Moschee von Ahmadiyya Muslim Jamaat, deren Mitglieder in fast allen muslimischen Ländern unterdrückt werden, setzte die Musik aus. Nach der Stille gewann die Lust am Feiern auf der Amsterdamer Straße wieder die Oberhand. Kamelle, Strüßjer, Musikbeschallung oder motorisierte Wagen gab es zwar nicht im Geisterzug, dennoch wirkte die Parade auf viele wohl wie ein vorzeitiger Veedelszoch.
Sie tranken, aßen, sangen ab und zu „Kölle Alaaf“. Dennoch schien der Wunsch des Organisatoren-Bündnisses durchzudringen: „Mit dem Geisterzug 2023 möchten wir alle hier lebenden Menschen dazu motivieren, die kulturellen und religiösen Unterschiede nicht länger zur Abgrenzung zu nutzen, sondern als Diskussionsgrundlage zum besseren Kennenlernen.“