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Ist der Fastelovend für alle da?Wie fühlen sich die Menschen, die Köln vielfältig machen, an den Tollen Tagen?

Lesezeit 6 Minuten
Weiberfastnacht in der Kölner Altstadt

Damit wirklich alle unter dem Konfettiregen tanzen können, fordern einige Kölnerinnen und Kölner Veränderungen im Karneval.

Kölnerinnen und Kölner mit Migrationsgeschichte erzählen, ob sie sich an Karneval wohlfühlen - und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Die Liste kölscher Lieder, in denen die Vielfalt besungen wird, ist lang: Die Höhner sind „mulitkulturell“, die Brings „all nur Minsche“ und die Bläck Fööss „Grieche, Türke, Jude, Moslem un Buddhist“. Wenn diese Texte zu Karneval erklingen, liegen sich die Jecken in den Armen. Alle gemeinsam - oder? Ist der Fastelovend wirklich für alle da? Wie fühlen sich die Menschen, die Köln vielfältig machen, an den Tollen Tagen?

Karneval sei eine sehr gute Sache, findet Glenda Obermuller. Im Prinzip jedenfalls. „Es ist ein Event, bei dem Menschen zusammenkommen“. Obermuller wurde in Guyana, Südamerika geboren und lebt seit rund zehn Jahren in Köln. Heute ist sie Teil des Expertengremiums der Stadt für das koloniale Erbe Kölns. Fastelovend feiert Obermuller aktuell nicht. „Ich würde Karneval auf jeden Fall gerne mitfeiern. Aber wenn ich es versucht habe, ist es meistens nicht gut ausgegangen“, sagt sie.

Die Stimmung bei Kneipenbesuchen kippte, als sie gegen ihren Willen angefasst wurde: „Wenn ich meine Haare aufmache, wird oft reingegriffen. Sowas wird durch Alkohol begünstigt.“ Im Karneval zeige sich eine Art von Besessenheit mit „dem Fremden“. Sie werde an den Tollen Tagen, oft als „die Brasilianerin“ betrachtet und gemäß dem Stereotyp sexualisiert. „Das sind Erfahrungen, die nicht nur ich gemacht habe.“

Sich als das Klischee von Kulturen zu verkleiden, gehört seit über 100 Jahren zum Kölner Karneval

Auch einige Kostüme der Jecken ließen Obermuller zurückweichen: „Ich bin Menschen mit Blackface, einem indigenen oder chinesischen Kostüm begegnet. Das hat mich immer gestört, weil ich den rassistischen Hintergrund kenne. In so einer Situation kann ich mich nicht wohlfühlen“, erklärt sie. Blackfacing (sich das Gesicht schwärzen) beschreibt die Praktik weißer Menschen, Schwarze Klischees darzustellen. „Man fühlt erstmal Wut“, erklärt Obermuller. „Wir sind keine Kostüme, sondern Menschen. Ich fühle mich dadurch in die Zeit zurückversetzt, als wir nicht als vollwertige Menschen betrachtet wurden“, sagt sie und fragt sich „Können wir nicht kreativer sein?“

Sich als das Klischee von Kulturen zu verkleiden, gehört seit über 100 Jahren zum Kölner Karneval. „1885, also kurz nachdem das Deutsche Reich sich Kolonien in Afrika angeeignet hatte, stand der Rosenmontagszug unter dem Motto ‚Held Carneval als Colonisator‘. Das heißt also, der ganze Rosenmontagszug war den neuen kolonialen Aneignungen gewidmet“, erklärt die Professorin Marianne Bechhaus-Gerst. Auch sie ist Teil des Expertengremiums der Stadt. Seit diesem Rosenmontagszug haben auch Karnevalsvereine afrikanische Klischees im Straßenkarneval aufgriffen. „Hinter solchen stereotypischen Verkleidungen steckt eine Geschichte von Versklavung und Kolonialismus, die in diesem Moment reproduziert wird“, erklärt Bechhaus-Gerst. „Es war immer rassistisch, afrikanische Menschen mit Baströckchen und Knochenkette darzustellen. Man konnte es damals eben nur kritiklos tun.“

Wegen ihrer Ansicht habe die Professorin schon extrem negative Reaktionen erhalten darunter auch Gewaltandrohungen. „Karneval ist eine Zeit im Jahr, wo für viele ein Ausnahmezustand herrscht und man alles darf, es keine Grenzen gibt. Wenn der dann augenscheinlich bedroht ist, reagieren die Leute heftig.“ Das habe sie bei keinem anderen Thema so stark erlebt, wie beim Karnevalskostüm.

Festkomitee und Stadt sind gegen diskriminierende Kostüme

Auch das Festkomitee sprach sich auf Anfrage gegen diese Art der Verkleidung aus: „Der Narr ist frei in seinem Wesen. Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor und darf sich sicherlich viele Freiheiten nehmen, die im Alltag nicht möglich sind. Das gilt auch für die Wahl des Kostüms. Dennoch sollte jeder Jeck auch beim Feiern Rücksicht auf seine Mitmenschen nehmen. Satirische Kostüme sind natürlich möglich, aber auf Verkleidungen, die andere Menschen diskriminieren oder beleidigen, sollte aus Sicht des Festkomitees grundsätzlich verzichtet werden“, erklärte Sprecher Michael Kramp. Auch die Stadtverwaltung teilte mit, sie verurteile rassistische Praxen „wie das sogenannte ,Blackfacing'“.

Die Erfahrungen der Jecken mit Migrationsgeschichte sind selbstverständlich individuell. Für viele ist der Karneval ein Ort der Akzeptanz. Für die 25-jährige Kamila ist der Fastelovend eine Möglichkeit, sich kreativ auszutoben. Sie wurde in Kasachstan geboren und habe in ihrem Leben „schon einige rassistische Erfahrungen machen müssen“, jedoch nicht im Karneval. Ähnlich sieht es auch bei Ani Wadwa (27) aus, der afghanische und indische Wurzeln hat. „Ich fühle mich wohl an Karneval. Niemand wird verurteilt und alle können so sein, wie sie möchten“, schwärmt er. Die 34-jährige Yasemin hat türkische Wurzeln und ist in Köln aufgewachsen. „Ich habe im Karnevalskontext im Gegensatz zu anderen Kontexten keine Rassismuserfahrungen gemacht“, erklärt sie. Sie sei froh, im Karneval einen öffentlichen Diskurs gefunden zu haben, der sich für eine plurale Gesellschaft ausspricht. Ihre Liebe zum Karneval hat sie auch an ihren Nachwuchs weitergegeben: „Meine Kinder sind große Fans von Karnevalsliedern, weil sie von Zusammenhalt handeln.“

Ein 21-jähriger Mann mit Wurzeln in der Türkei, der anonym bleiben möchte, berichtet ebenfalls von positiven Erfahrungen - zumindest teilweise. Seit einigen Jahren feiert er Karneval am Rand der Kölner Züge, in Clubs und der Innenstadt. „Ich persönlich fühle mich ziemlich wohl“, sagt er. „Aber man muss dazu sagen, dass man mir die Migrationsgeschichte, die ich habe, nicht unbedingt ansieht. Ich sehe an meinen eigenen Freunden, dass sie mehr Probleme an Karneval haben, einfach da sie türkisch aussehen oder als ob sie aus dem Nahen Osten kommen.“ Sie hätten mehr Probleme in Clubs, Bars oder auf Plätze zu kommen. Oder er werde mit Vorurteilen über seine Freunde konfrontiert. Dann würden Sätze fallen wie: „Ach diese Türken. Immer wenn die an Karneval hier sind, wird es assi, und wer weiß, was dann passiert.“ Natürlich werde im Alltag auch abfällig über Menschen mit Migrationshintergrund geredet. „Aber an Karneval wird es öffentlicher ausgetragen. Vielleicht auch, weil die Leute größtenteils alkoholisiert sind.“ Dafür, dass Menschen mit Migrationsgeschichte aus seinem Umfeld keinen Karneval feiern, gebe es mehrere Gründe. Einige davon sind welche, die man generell einwenden könnte: betrunkene Menschen, Übergriffe, Karnevalsmusik. Manche fänden auch einfach, Karneval sei etwas „für Deutsche und dass man als ‚Ausländer‘ an Karneval nichts zu suchen hat“. Einer der ersten genannten Gründe sei aber meist Diskriminierung oder die Angst davor.

„Ich gehöre zu dieser Stadt. Ich lebe sehr, sehr gerne hier“, sagt Glenda Obermuller. „Köln gibt sich immer als vielfältig aus. Und ja, es ist auch bunt hier, was schön ist. Aber Vielfalt bedeutet auch, dass wir bestimmte Dinge machen müssen, damit Menschen sich wohlfühlen. Wir müssen Entscheidungen treffen und vielleicht auch Verhaltensweisen ablegen“, sagt sie. Ein erster und leichter Schritt wäre, Haltung bezüglich Klischee-Kostümen zu zeigen. „Auf einem Zettel vor der Kneipe könnte eine Etikette stehen. Das wäre ein Zeichen gegen Rassismus“. Damit die gelebte Vielfalt in Köln kein Songtext bleibt, müssen laut Obermuller alle anpacken. „Integration verstehe ich als Entgegenkommen. Nur so kann sie passieren.“


„Carnival for Colors“

Das neue Karnevalsevent „Carnival for Colors“ soll die Vielfalt des Kölner Karnevals stärken. Das Event besteht aus einer Podiumsdiskussion sowie einer Party und findet am Freitag im Clouth 104 (Niehler Str. 104) statt. Die Party startet um 18 Uhr. Neben DJs werden auch Karnevalskostüme aus der Karibik präsentiert. Die Diskussion zum Aufbau einer inklusiven, rassismussensiblen Karnevalskultur startet um 16 Uhr.

Die Kölnerin Glenda Obermuller hatte das Event nach einem Rassismus-Vorfall bei einer Podiumsdiskussion des Vereins „Globale Musik Köln“ zum Thema Migrantisches im Kölner Brauchtum initiiert. Dabei ging es auch um rassistische Kostüme. Statt „nur zu meckern“ habe sie etwas tun wollen und eine alternative Veranstaltung organisiert. Als Teil des Expertengremiums für das koloniale Erbe Kölns konnte sie die Stadt von einer Förderung überzeugen.

Tickets gibt es für 10 Euro online.