Wo wird im rheinischen Karneval was gerufen? Mancherorts ist das alles andere als klar. Wie es dazu kam, dass mitten im „Alaaf-Land“ plötzlich „Helau“ gerufen wird, erklären wir hier.
Rheinischer KarnevalWo ruft man jeck Alaaf, Helau oder Alau-Helaaf?
Wir befinden uns in der Session 2023/24. Der ganze Rhein-Sieg-Kreis ruft „Alaaf“. Der ganze Rhein-Sieg-Kreis? Nein! Ein von ausgelassenen Jecken bevölkertes Dorf namens Dünstekoven ruft seit Jahren und Jahrzehnten „Helau“.
„Wir wollen und können das nicht mehr ändern. Das ist mittlerweile in unserer DNA“, so der 25-jährige Dünstekovener Jung Jonas Fuhs. Er ist der aktuelle Präsident der Karnevalsgesellschaft Freundschaftsbund Dünstekoven von 1951. Das 500-Seelen-Dorf gehörte früher zu Heimerzheim, heute ist es ein Ortsteil von Swisttal. Die KG hat rund 200 Mitglieder, es gibt einen Sonntagszoch und eine Prunksitzung im eigenen pittoresken Dorfsaal.
Die jecke Geschichte, warum hier mitten im „Alaaf-Land“ Rhein-Sieg-Kreis wie in Düsseldorf „Helau“ gerufen wird, hat seinen Ursprung in der Aufmüpfigkeit des kleinen Dorfes gegen die damals übermächtige Gemeinde Heimerzheim. Antonius von Boeselager (76), ehemaliger Präsident der KG Freundschaftsbund, Inhaber der mittelalterlichen Wasserburg in Heimerzheim und Mitbürger von Dünstekoven, weiß aus der Geschichte zu berichten: „Die Dünstekovener wollten immer schon ihre Eigenständigkeit.“ Dann wurde in den 1950er Jahren die Orts-Kirche nicht anerkannt und blieb Kapelle. Und auch die Dorf-Schule, auf die von Boeselager noch gegangen war, wurde geschlossen. „Der Ärger war groß, und das hat das Gefühl der eigenen Dorf-Identität gegenüber den Heimerzheimern noch verstärkt“, erinnert er sich noch heute gut. Aus Trotz hätten die Leute dann entschieden: Wir wollen in der Session nicht mehr im gleichen Ton mit denen rufen, sondern wir rufen ab sofort in unserem Karneval „Helau“!
Dem Fastelovend in dem widerspenstigen jecken Dorf tat das Nein zum Alaaf Mitte der 1950er Jahre keinen Abbruch. Im Gegenteil! Der Sitzungskarneval und der Sonntagszoch wurden einige Jahre später ins Leben gerufen. Veranstaltungen, auf die die Dünstekovener heute stolz sind. „Wir sind genauso lustig, wie alle anderen Vereine in der Region. Aber unser Helau fällt natürlich auf“, sagt Thomas Nöthen (44), ebenfalls ehemaliger Präsident der KG Freundschaftsbund.
Besonders zwei alt eingesessene Dünstekovener Familien hatten großen Anteil daran, dass der Karneval im Dorf entlang der Schillingsstraße in den folgenden Jahrzehnten immer größer werden sollte. Die Namen Linke und eben Nöthen sind hier zu nennen. „Der Karneval gehört einfach zu unserer Familie“, erzählt Thomas Nöthen (44). „Mein Großvater war Gründungsmitglied der KG Freundschaftsbund und später ihr zweiter Präsident. Mein Vater und meine Mutter gaben das Prinzenpaar und ich selbst war rund 13 Jahre lang Präsident der KG.“
Auch der aktuelle Präsident Jonas Fuhs hat verwandtschaftliche Bindungen zu dem jecken Clan der Nöthens. Er kennt die Rivalitäten der Dünstekovener mit den Heimerzheimern nur noch vom Hörensagen. Und das sei auch gut so: Denn heute sei diese Helau-Alaaf-Reiberei kein Thema mehr. „Wenn wir eingeladen werden, rufen wir den anderen Gesellschaften selbstverständlich ,Alaaf' zu. Umgekehrt rufen sie uns aber auch ,Helau' zu – so muss es sein, und meistens ist das Helau in den Sälen sogar ein bisschen lauter.“ Somit ist Frieden und Fröhlichkeit eingekehrt in Swisttal.
Jeckes Durcheinander in Dormagen
Eine ganz andere Helau-Alaaf-Geschichte spielte sich im knapp 50 Kilometer Luftlinie entfernten, nördlich von Köln liegenden Dormagen ab. Die kommunalen Neugliederungen 1975 hatten dazu geführt, dass die Stadt Dormagen seitdem dies- und jenseits der Kölsch-Alt- und Alaaf-Helau-Grenze liegt, erzählt der Dormagener Heimat-Historiker Eduard Breimann. Es gab damals in den eingemeindeten Ortsteilen wie beispielsweise Nievenheim und Stürzelberg große Widerstände. Diese waren eher Richtung Norden nach Düsseldorf zugewandt und gehörten damals zur Alt-Bier- und Helau-Zone, so Breimann. Nievenheim wollte Stadt werden wie Zons, das allerdings auf 650 Jahre Stadt-Geschichte zurückblicken kann. Dort sagen die Leute heute noch „Ich bin Zonser“ und nicht „Dormagener“, gehören aber zur „Alaaf“-Fraktion. Die starke Identität mit dem Ortsteil oder der Stadt sei bis heute geblieben und werde auch im Karneval gelebt, erläutert der Heimathistoriker.
Darüber wissen am besten die Protagonisten im Dormagener Karneval Bescheid. Markus Fillinger (54), Präsident der KG Rot-Weiß Stürzelberg von 1965, gehört zur Helau-Fraktion. Um zu verstehen, warum bei uns Helau gerufen wird, müsse man zurück in die 1960er Jahre gehen, so Fillinger. „In der Gründungssatzung der KG war vorgesehen, dass es kein Dreigestirn, sondern ein Prinzenpaar geben sollte. Man war halt eher nach Neuss und Düsseldorf ausgerichtet.“ Außerdem waren viele Leute aus Düsseldorf in den Ort gezogen. Damit sei die Entscheidung für „Helau“ schnell gefallen.
Dabei ist der heutige Präsident der KG Rot-Weiß gebürtiger Kölner. „Nach 30 Jahren Köln und Alaaf musste ich tatsächlich umdenken: Ich habe ein bis zwei Jahre gebraucht, bis ich den ,richtigen' Ruf wirklich intus hatte.“ Nach dem Umzug nach Dormagen lebe er also jeck zwischen zwei Welten, aber von einer Alaaf-Helau-Identitätskrise könne trotzdem keine Rede sein.
Jens Wagner (59), Präsident der KG Ahl Dormagener Junge von 1979, steht auf der anderen Seite. „Bei uns wird selbstverständlich Alaaf gerufen.“ Schon als Teenager war er jedes Jahr zusammen mit seinem Vater in der Standartengruppe des Festkomitee Kölner Karneval mitgeritten. Allerdings sei für ihn und seinen Verein die Wahl zwischen Alaaf und Helau kein Hindernis für gemeinsames Feiern. „In Dormagen laden die KGs sich jedes Jahr gegenseitig ein.“
Beide Präsidenten erinnern sich noch gut an die Treffen an Weiberfastnacht nach der Schlüsselübergabe im Rathaus im Lokal „Em Höttche“ an der Krefelder Straße. „Da sind alle Dormagener Tollitäten hingegangen, um gemeinsam zu feiern und Helau und Alaaf zu rufen. Schade dass es das nicht mehr so gibt. Der Wirt hat es aus Kostengründen vor knapp zehn Jahren eingestellt.“
Eduard Breimann erinnert sich noch an ein Manko „Em Höttche“: „Früher gab es dort nur Alt zu trinken. Wenn wir dort gefeiert haben, mussten wir unser Kölsch-Fässchen immer selbst mitbringen. Aber das ist lange her. Mittlerweile gibt es dort auch gutes Kölsch zu trinken.“
Alaaf, Helau und andere jecke Rufe
Die Karnevalshochburg Köln dominiert mit seinem jecken Ruf „Alaaf“ den Südwesten von Nordrhein-Westfalen. Vom Bergischen Land,über den Rhein-Sieg-Kreis, die Bundesstadt Bonn bis in die Westeifel hinein Richtung Aachen und belgische Grenze wird hauptsächlich Alaaf gerufen. Natürlich gibt es Ausnahmen und nicht selten werden zwei, drei oder mehr jecke Rufe im Brauchtum gepflegt.
Nördlich von Köln, durch Rommerskirchen, Dormagen, Monheim und Langenfeld, verläuft die Alaaf-Helau-Grenze. Hier regiert dann mehr und mehr der Einfluss der anderen großen rheinischen Karnevalsstadt Düsseldorf und damit Helau. Die Grenzlage in Rommerskirchen oder Langenfeld führt dazu, dass sich dort auch Mischformen wie „Helaaf“ oder „Alau“ gebildet haben.
Im Süden wird das Alaaf-Gebiet abgelöst durch Helau-Rufe jenseits der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz. Im Ahrtal gibt es ähnlich wie nördlich von Köln jecke Mischgebiete. Einige Gemeinden rufen noch Alaaf, doch die Mehrzahl richtet sich gen Mainz aus, der Karnevalshochburg in der rheinland-pfälzischen Fastnacht, wie der Karneval dort genannt wird.
Die Jeckinnen und Jecken in den Karnevalsorten lassen sich trotz der dominanten Helau- und Alaaf-Gebiete oft auch ganz neue Rufe einfallen. Zum Teil haben sie mit den Namen der Orte zu tun oder einem Ereignis in deren Karnevalsgeschichte. Hier sind einige ausgewählte Beispiele aus den rheinischen Regionen: Im Düsseldorfer Stadtteil Niederkassel wird auch „Trän Drop“ (Tret drauf) gerufen, und in Unterbach heißt es lustigerweise „i-a“, weil der Esel im Stadtteilwappen ist; in Mönchengladbach ruft man in den Ortsteilen „Et fluppt“ (Beetrath/Neuwerk) oder „De Möll kieme“ (Venn) oder „Halt Pohl“ (MG-Stadt); In Korchenbroich weicht der Stadtteil Neersbroich mit seinem „Käfer fleech“-Ruf ab; in Wegberg wird auch gerne „Flöck op“ gerufen; im Wassenberger Ortsteil Myhl hört man „Sankhaas höpp höpp“, weil der Sankhaas Symbol des Myhler Karnevals ist; In Morsbach ruft man meist „Mueschbech deheem“ (in Morsbach zuhause); in Heimbach wird auch „Ömmer parat“ (immer bereit) gerufen, und im Ortsteil Weis ist „Oos kann käner“ (uns kann keiner was) sehr beliebt; Im Bad Godesberger Ortsteil Schweinheim ruft man namesgerecht „Schweinheim, wutz, wutz“ und im Sankt Augustiner Ortsteil Menden wird „Mengde IA“ (Menden IA) gerufen.
Hinweis -> Wer aus seiner Heimat noch weitere jecke Rufe weiß, kann diese an den Autor Dierk Himstedt per Mail schicken. Diese werden dann in die Karte mit aufgenommen.