Karneval in Köln„Grosse von 1823" nimmt erstmals Frauen als Senatorinnen
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Köln – Wie Revolutionärinnen fühlen sich Imke Cordsen und Sabine Zabel nicht. Der historische Wandel, deren Protagonistinnen sie sind, hat sich bislang völlig unblutig vollzogen. Nach 198 Jahren werden sie die ersten weiblichen Senatorinnen einer der ältesten Kölner Karnevalsgesellschaften sein, der „Grossen von 1823“. „Für mich hat sich nie die Frage gestellt, da unbedingt zugehören zu müssen. Mit dieser Entscheidung habe ich nicht gerechnet“, sagt Zabel, deren Mann schon länger den Frack der Gesellschaft trägt. Nun nimmt der Verein auch Frauen auf.
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Professor Joachim Zöller, der Präsident des Vereins, wirkt erleichtert, geradezu befreit. Warum der Wandel gerade jetzt vollzogen wurde? „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagt Zöller und berichtet mit Zufriedenheit, im Vorstand sei die Entscheidung ohne Gegenstimme getroffen worden. In den vergangenen 30 Jahren sei mehrfach versucht worden, die Zeitenwende einzuläuten. „Aber es gab nie eine Diskussionsbreite“, erzählt er und erinnert sich an den Versuch einer Satzungsänderung, den einer seiner Vorgänger der Überlieferung nach mit folgendem Satz abgebügelt habe: „Hühner nehmen wir nicht auf!“
Karnevalistisches Jubiläum
2023 wird das Festkomitee mit vielen Veranstaltungen das Jubiläum 200 Jahre Kölner Karneval feiern. Bereits jetzt haben sich nach Angaben des Dachverbands mehrere Trios aus verschiedenen Vereinen als Dreigestirn beworben. Normalerweise beginnt die Bewerbungsphase immer erst nach Aschermittwoch. Das Interesse ist nun offenbar besonders groß, im Jubiläumsjahr als Dreigestirn in die Geschichte des Festkomitees einzugehen.
4 reine Damengesellschaften gehören dem Festkomitee an. Den Auftakt bildeten 1999 die Colombinen, es folgten die Schmuckstückchen, die Kölschen Madämcher und schließlich die Damengarde Coeln als erstes Frauenkorps. Als Persiflage auf die Traditionskorps tanzt hier ein männliches Mariechen. Neuer Tanzoffizier ist Sebastian Pfromm, der zuletzt bei der Nippeser Bürgerwehr getanzt hatte. Nun trägt er auf der Bühne Rock. (tho)
Die Mitgliedschaft von Frauen in einem Karnevalsverein wirkt selbstverständlich in einer Zeit, in der große Unternehmen über ein Diversitätsmanagement verfügen und Kommunen sämtliche Antragsformulare auf eine genderneutrale Sprache umstellen. „Ich begrüße es, wenn sich Gesellschaften öffnen, habe aber auch kein Problem damit, wenn hier nur Frauen feiern und dort nur Männer“, sagt Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees, das sich bereits intensiv auf die Feierlichkeiten von 200 Jahre Kölner Karneval im Jahr 2023 vorbereitet. Wird es nun Zeit für Frauen im Dreigestirn? „Jede Gesellschaft darf sich bewerben. Es sollen die besten ausgewählt werden, auch ein gemischtes oder weibliches Dreigestirn hat Chancen“, sagt er.
Die Kulturrevolution im Karneval hat bereits vor 22 Jahren eingesetzt, als drei Damen mit der Colombina Colonia den ersten Karnevalsverein für Frauen gegründet hatten. Inzwischen haben sich mehrere Frauenvereine und das erste Damenkorps der Stadt zusammengetan und veranstalten unter dem Namen „Agrippinas Töchter“ eine gemeinsame Sitzung. „Es hat sich viel verändert im Karneval, die Situation ist sehr dynamisch“, sagt Barbara Brüninghaus, Präsidentin der Damengarde. Ein weibliches Dreigestirn? „Irgendwann ist die Zeit reif. Aber die Frauen müssen dann auch richtig gut sein“, meint sie. Sie vermisse jedoch mehr Frauen auf den Bühnen – sei es als Rednerinnen oder Musikerinnen.
Imke Cordsen ist bereits seit einigen Jahren Mitglied der „Schmuckstückchen“, die sich 2008 als zweiter Frauenverein im Kölner Karneval gegründet hatten. Bei der Grossen von 1823, wo sie jetzt kurz vor der Aufnahme steht, hat sie sich bislang auch nicht ausgeschlossen gefühlt, erzählt sie. „Die Ehefrauen haben immer schon am Vereinsleben teilgenommen, wir durften auch mit Kindern im Rosenmontagszug mitgehen. Wir hatten aber nie das Gefühl, nur Gäste zu sein“, urteilt sie.
Für den Präsidenten, Professor Joachim Zöller ist die Frage nach Frauen im Dreigestirn längst beantwortet. „Mit der Aufnahme von Frauengesellschaften ins Festkomitee hat sich die Frage nach einem weiblichen Dreigestirn erübrigt. Ich denke, dass die kölschen Mädcher lieber ein männliches Dreigestirn sehen, aber man kann ja auch mischen. Aber es entwickelt sich in die Richtung“, stellt Zöller fest. „Mer stelle alles op dr Kopp“ lautete im Jahr 2015 das Sessionsmotto in Köln, für die Colombinen war es die Steilvorlage für eine Dreigestirns-Bewerbung. Doch das Festkomitee hatte damals anders entschieden. Hinter den Kulissen herrscht jedoch Einigkeit, dass die erste Frau im Prinzen-Ornat eine große Last trägt und wohl ständig mit ihren männlichen Vorgängern verglichen werden dürfte.
Längst bilden die rund 120 Vereine im Festkomitee ein buntes Spektrum der Vereinskultur. Die neun Traditionskorps wie etwa Blaue oder Rote Funken sind die letzten reinen Männerbünde und halten an der Tradition ihrer Gründungszeit im 19. Jahrhundert fest. „Bis 1936 wurden sogar die Tanzmariechen von Männern gespielt“, sagt der Historiker Dr. Michael Euler-Schmidt, der selbst Roter Funk ist. Er verfolgt die Entwicklungen im Karneval seit Jahrzehnten intensiv und meint: „Karneval ist ein Brauch, der auf Ereignisse in gesellschaftlichen Strukturen reagiert. Auch innerhalb der Bräuche sind Veränderungen möglich“.
Eine Frau im Dreigestirn hat es auch in Köln schon gegeben. Die Kölner Jungfrau wurde 1938 und 1939 von einer Frau gestellt. In den Augen der NS-Machthaber hatte die Verkörperung der Figur durch einen Mann den Anschein von Homosexualität erweckt. Derlei wurde vom Regime rigoros verfolgt. 1938 trat Paula Zapf aus Nippes als erste Frau im Trifolium auf, ein Jahr später folgte Else Horion. Es war das letzte Mal, dass eine Frau im Kölner Dreigestirn zu sehen war.
Willen zur Veränderung hat das Festkomitee in den vergangenen Jahren auch in den eigenen Reihen bewiesen. Frauen gehören schon lange zum Vorstand, vor zwei Jahren wurde Christine Flock als erste Frau zur Vizepräsidentin gewählt.