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Interview zum Azubi-Mangel in Köln„Wir sehen überall Handlungsbedarf“

Lesezeit 5 Minuten
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Das Handwerk kommt in vielen schulischen Bereichen zu kurz, sagt die Handwerkskammer. 

  1. Nicht nur mit Plakataktionen macht das Handwerk immer wieder auf die Schwierigkeiten bei der Suche nach Azubis aufmerksam.
  2. Simone Marhenke ist bei der Handwerkskammer zu Köln zuständig für den Bereich Aus- und Weiterbildung.
  3. Mit ihr sprach Tobias Wolff.

KölnWie stellt sich die Situation in der Ausbildung aus ihrer Sicht momentan dar?

Wir haben in Köln bei den Ausbildungsverträgen eine Steigerung von 4,7 Prozent erreichen können und damit trotz Corona wieder einen positiven Trend im Vergleich zum Vorjahr. Wir sind damit zufrieden, haben uns aber fest vorgenommen, noch mehr junge Menschen fürs Handwerk zu begeistern.

Was sind die besonders stark nachgefragten Bereiche und wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Aktion für Praktikumsplätze

Wirbt für Praktika in den Kölner Betrieben: Simone Marhenke.

Simone Marhenke (Foto: Tom Zygmann) ist bei der Handwerkskammer zu Köln Geschäftsführerin für den Bereich Aus- und Weiterbildung. Sie tritt für eine stärkere Präsenz des Handwerks in Schulen, speziell aber auch in Gymnasien ein. Um wieder mehr Praktikumsplätze anbieten zu können, hat die Handwerkskammer unter anderem die Aktion „Praktikum jetzt!“ ins Leben gerufen. Der Aktionszeitraum vom 28. März bis 8. April – die zwei Wochen vor den Osterferien – ist gezielt ausgewählt worden, um ausreichend Abstand vor den Abschlussprüfungen zu wahren. Alle Handwerksunternehmen sind aufgerufen, Praktikumsplätze für Schülerinnen und Schüler anzubieten, die in den Abschlussklassen sind. Unabhängig vom Aktionszeitraum können Praktika ganzjährig von Betrieben angeboten und genutzt werden.

33 546 Mitgliedsbetriebe gab es 2018 im Kammerbezirk Köln. 12 594 junge Menschen befanden sich hier in der Ausbildung, 18,6 Prozent davon sind Frauen. 163 Sachverständige unterstützen und beraten die der HWK angeschlossenen Unternehmen.

www.hwk-koeln.de

Grundsätzlich sehen wir überall dringenden Handlungsbedarf – vor allem aber in der Bau- und Ausbaubranche. Stärker nachgefragt sind etwa Ausbildungen im Bereich Kfz-Mechatronik. Ganz neu ist der Beruf des Elektronikers für Gebäudesystemintegration. Mit dieser Ausbildung übernimmt man aktuell eine Vorreiterrolle im Elektrohandwerk.

Sie gehen in Schulen und versuchen, junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Wie läuft das konkret ab?

Es gibt da sehr unterschiedliche Modelle. Einige haben wir hier in Köln selbst in unserer Karrierewerkstatt entwickelt, es gibt aber auch standardisierte wie „KAoA“ – kein Abschluss ohne Anschluss. Eine landesweite Initiative, die für eine frühe Berufsorientierung und somit für den erfolgreichen Start in eine Ausbildung sorgt. Besonders gute Erfahrungen machen wir zudem mit unseren Ausbildungsbotschafterinnen und Ausbildungsbotschaftern. Das sind junge Azubis, die in Kölner Schulen ganz konkret und aus erster Hand berichten, was sie in ihrer Ausbildung begeistert. Dies wird von uns koordiniert. Etwas selbst zu sehen und zu erleben ist das A und O in der beruflichen Orientierung.

Da würden ja auch Praktika helfen. Die hat Corona aber ziemlich ausgebremst.

Daher werden für diesen Bereich gerade große Initiativen gefahren. Wir müssen alles mobilisieren was dazu beiträgt, ein Praktikum zu machen. Auch in den Schulen. Fakt ist: Praktika sind wieder möglich, man muss die Betriebe einfach nur ansprechen. Praktika sind oftmals der erste Schritt zu einem Ausbildungsvertrag. Was gibt es Besseres als sich erstmal auszuprobieren, bevor man eine dreijährige Ausbildung anfängt?

Sind die Reaktionen von Schulform zu Schulform unterschiedlich?

Wir haben ein sehr enges Netzwerk. Man kennt uns in den Schulen, wir haben gute Kooperationen. Tendenziell wünschen wir uns aber noch mehr Offenheit im Bereich der Gymnasien: Die Lehrer haben oft kein besonders ausgeprägtes Verständnis für die Möglichkeiten, die sich im Handwerk bieten. Da ist Luft nach oben.

Sind Ihnen auch schon ausgesprochen negative Erfahrungen entgegengeschlagen, nach dem Motto „Mein Kind soll studieren“?

Generell können wir feststellen, dass die Rahmenlehrpläne das Handwerkliche immer mehr außer Acht lassen. Und wir sehen eine Tendenz zur Überakademisierung. Nähe zum Handwerk zu schaffen, das fehlt ein wenig. Gymnasium heißt ja nicht, dass man hier keinen handwerklichen Karriereweg gehen kann. Was wir aber unbedingt vermeiden sollten, ist das Konkurrenzdenken zwischen diesem und jenem Weg. Diese kategorische Abgrenzung sehe ich nicht.

Hat der Anteil junger Frauen im Handwerk zugenommen?

Es gibt Berufe, da ist der Frauenanteil sehr hoch, andere sind sehr stark von Männern geprägt. Durch die zunehmende Digitalisierung erschließen sich aber auch da ständig neue Aufgabenfelder. Generell hätten wir natürlich gerne mehr Frauen im Handwerk.

Im Moment sind im Stadtgebiet Plakate zu sehen, die sehr offen mit den Problemen des Handwerks an Schulen und im sozialen Umfeld umgehen. Gab es dazu Reaktionen?

Die Kampagne spricht ein sehr grundlegendes Phänomen an, nämlich dass Eltern und soziales Umfeld die berufliche Karriere ganz stark beeinflussen. 60 Prozent aller jungen Menschen wählen den Beruf, den Eltern oder nahes Umfeld ihnen mit auf den Weg geben. Aber wenn der Blickwinkel sehr schmal ist, lasse ich viele Optionen außen vor. Die Kampagne soll auf die Vielfalt aufmerksam machen, die sich im Handwerk zeigt.

Es wird immer wieder darüber geklagt, dass alteingesessene Betriebe keine Nachfolger mehr finden, obwohl die Bücher gut gefüllt sind. Was können Sie dagegen tun?

Es ist wichtig, das richtige Matching hinzubekommen. Nicht jeder Interessent passt zum Betrieb und umgekehrt. Deshalb haben wir einen Nachfolge-Coach etabliert, der Betriebe einerseits und junge Meisterinnen und Meister zusammenbringt.

Gibt es Betriebe, die größere Schwierigkeiten mit der Nachfolge haben als andere?

Das gilt natürlich einerseits für spezialisierte Firmen, bei denen der Nachwuchs ohnehin rar gesät ist. Generell ist es aber immer dann schwierig, wenn es kurzfristig angegangen wird. Das braucht Zeit.

Was würden Sie sich persönlich wünschen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Dass jeder einmal mit dem Handwerk wie auch mit anderen Berufsoptionen in Kontakt kommt. Ohne die ewige Konkurrenz, der eine macht etwas mit dem Kopf und der andere mit der Hand. Es braucht immer beides. Dass Lehre in einem akademischen Umfeld das Handwerk kennenlernt. Und lasst doch die Leute in der Schule wieder mehr ,werken’ im Wortsinn. Es gibt so viele Menschen, die haben wunderbare Fähigkeit, die sie nie entdecken konnten.