In der Rundschau-Sommerserie „Das andere Gespräch“ reden Kölner Prominente über alles außer ihrem Beruf. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und Rundschau-Redakteurin Diana Haß plauderten über Tiere und Naturverbundenheit.
Interview mit Alice Schwarzer„Kölner sind wie Katzen“
Bei einem Salat auf der Terrasse des Restaurants im Museum Ludwig plauderte Alice Schwarzer mit Diana Haß auch über einen eher unappetitlichen Vorfall mit ihrer Katze Lilli.
Frau Schwarzer, was bedeuten Ihnen Tiere?
Sehr viel. Ich habe alle Tiere gerne. Ich rede auch mit Fröschen.
Was erzählen Sie denen?
Zum Beispiel: Ja, was machst du denn hier? Jetzt aber mal schnell zurück ins Gebüsch … Manche Menschen halten mich deswegen für verrückt. Aber das ist ja egal.
Ihr erstes eigenes Tier war eine Katze. Wie sind Sie an die gekommen?
Ich bin in Wuppertal geboren. Aber wir waren nach der Bombardierung in ein Dorf in Franken evakuiert, Stadtlauringen. Als ich vier oder fünf war, habe ich einen Puppenwagen mit einer Puppe geschenkt bekommen. Die Puppe konnte „Mama“ sagen. Ich habe sie auseinandergenommen, weil ich herausfinden wollte, wie sie funktioniert. Dann war sie kaputt. Also bin ich in die Scheune des Bauernhofs gegangen, wo wir zwangseinquartiert waren, und habe mir die erste Katze geholt, Mucki. Die ist auch mit uns nach Wuppertal zurückgezogen. Seither habe ich nicht mehr ohne Katze gelebt.
Wer kam danach?
Nach Mucki kam Peter, den ich auf der Straße aufgelesen hatte. Peter hatten sie den Schwanz abgehackt. Ich weiß noch, dass ich immer wollte, dass er bei mir unter der Decke schläft, also habe ich ihn unter mein Plümo gestopft. Manchmal hat der Arme sich gewehrt. Aber Tiere sind ja nett mit Kindern. Ich hatte danach noch etliche Katzen, nur gerade habe ich zu meinem Kummer eine Katzenpause. Es ist schwierig, eine Katze mit meinen Leben halb in Köln und auf dem Land zu kombinieren. Aber eigentlich kann ich mir ein Leben ohne Tiere nicht vorstellen.
Was geben Tiere Ihnen?
Tiere sind Geschöpfe, auf die man sich einfach anders einstellen muss. Sie haben eine andere Art von Bedürfnissen und Kommunikation. Die pfeifen darauf, ob ich Alice Schwarzer bin. Die gucken einfach, ob jemand in Ordnung ist oder nicht. So sind die Kölner ja auch. Insofern sind die Kölner wie die Katzen.
Ich denke, Tiere sind ausgesprochen ehrlich …
(unterbricht) Ah, Moment mal! Ich habe vor ein paar Jahren ein Plakat gesehen von einer Ausstellung, die hieß „Tiere lügen nicht“. Da habe ich herzlich gelacht. Da kannte jemand Tiere schlecht. Meine Katzen und Hunde waren bei aller Klarheit auch immer ziemlich verschlagen. Ich erinnere mich an Flocki, mit dem ich aufgewachsen bin. Wenn man dem Hund mal aus Versehen auf die Pfote trat, wurde demonstrativ das Bein hochgehoben und gehumpelt. Ein Riesentheater. Und kaum drehte man sich um, lief er auf vier Pfoten weiter. Auch die Katzen können lügen. Zum Beispiel, wenn sie was klauen. Es wäre ja noch schöner, wenn alle Tiere einen guten Charakter hätten. Nein, sie können durchaus auch schlechte Eigenschaften haben. Das sollten wir nicht idealisieren.
Warum mögen Sie Katzen so besonders gerne?
Weil sie so eigenwillig sind. Die Katzen meines Lebens waren alle sehr unterschiedlich. Mit einem Tier zu leben ist ja wie bei einem kleinen Kind. Es gibt da durchaus Parallelen zwischen Kindern und Tieren – man entdeckt eine andere Welt mit ihnen. Die zentrale Katze meines Lebens war Lilli. Sie habe ich Ende der 70er bekommen und sie ist 18 Jahre geworden. Lilli war ganz eng mit mir. Sie war zunächst in der Emma-Redaktion. Sie konnte Eisschränke öffnen, alles musste man verkleben. Lilli zog aus den Eisschränken das Gemüsefach raus. Das gefällt mir auch, wenn Tiere so keck sind.
Lilli hat sie sogar mal angepinkelt …
Ja, das war 1980. Da hatte ich gerade mein altes Fachwerkhaus im Bergischen gekauft. Nach einer Weile war ich drei Wochen im Urlaub, der Nachbar hat Lilli versorgt. In der ersten Nacht nach dem Urlaub träumte ich, ich läge in Wasser und Wellen - bis ich merkte, dass ich angestarrt wurde. Lilli saß ganz nah vor mir und starrte. Ganz langsam realisierte ich: Sie hatte mir einfach auf den Kopf gepisst. Das Signal war ja klar. Ich habe dann ganz ruhig gesagt: Aber Lilli, muss das denn sein? Habe das Kissen genommen und bin ins Badezimmer gegangen, um den Kopf unters Wasser zu stecken. Lilli kam hinterher, hat sich neben mich gesetzt und triumphierend geguckt.
Haben Sie geschimpft?
Natürlich habe ich nicht geschimpft. Weil sie ja recht hatte. Die hat gesagt: Pass auf, du warst drei Wochen weg, du kannst mich mal. Tiere können ja reden. Wir verstehen nur nicht immer ihre Sprache.
Das Eigenwillige respektieren Sie?
Na klar. Sonst wäre es ja unterinteressant. Das geht mir genauso mit Menschen. Ich habe eine fatale Schwäche für eigenwillige Menschen. Das kostet, das ist anstrengend, aber es lohnt sich.
Gibt es Tiere, die Sie nicht mögen?
Nein. Ich finde auch die Verachtung gewissen Tieren, wie Ratten oder Tauben, gegenüber nicht akzeptabel. Wir planen gerade für die nächste Emma ein Dossier über Tierrechte, inklusive Tauben und Ratten. Inzwischen fordern ja internationale Stimmen, dass wir menschlichen Tiere den Tieren den Raum lassen, den sie brauchen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Bedürfnisse auszuleben. Ich finde das richtig. Die absolute Gleichberechtigung ist natürlich eine kühne Forderung. Wir müssen in die Richtung gehen. Vielleicht drehen wir uns in 30 Jahren um und sagen: Was haben wir nur den Tieren angetan? Nicht nur mit der Massentierhaltung, die einfach unaussprechlich ist, und den medizinischen Versuchen, die nicht nötig sind.
Wie wichtig ist Ihnen Tierschutz?
Ich bin eine früh geprägte Tierrechtlerin. Ich bin ja bei den Großeltern aufgewachsen und meine Großmutter war schon eine Tierrechtlerin, auch wenn es den Begriff noch gar nicht gab. Der einzige Verein, in dem ich jemals Mitglied war, ist der „Verein gegen Missbrauch der Tiere“, in den ich ungefähr mit zehn Jahren eingetreten bin. In unser eh schon beengtes Häuschen habe ich als Kind alle möglichen Tiere geschleppt und die, die ich nicht angeschleppt habe, wurden uns über den Zaun geworfen. Schwarzers waren für ihre Tierliebe bekannt. Auch bei der Emma haben wir ja immer wieder Dossiers zu Tierrechten gemacht, schon vor Jahrzehnten, als das noch gar nicht angesagt war.
Welche Beziehung haben Sie zur Natur?
Ich war ein halbes Jahr, als wir aufs Land evakuiert wurden. Da bin ich sehr frei und eigenständig aufgewachsen. Das hat mich geprägt. Ich war viel in der Scheune beim Bauern, im Wald oder bin runtergelaufen zum Bach, der Lauer. In Wuppertal wohnten wir am Rand des Burgholz‘, da bin ich fast im Wald großgeworden, zwei Meter entfernt von den Bäumen. Ab etwa 19 habe ich dann in Metropolen gelebt – München, Hamburg, Paris, Berlin und so weiter. Auch das ist mir ein tiefes Bedürfnis. Aber ohne die Natur halte ich das nicht aus. Mein jetziges, sehr privilegiertes, Leben ist, dass ich zwei Plätze habe: Ich wohne im Herzen von Köln und wenn ich Zeit habe, bin ich auf dem Land in meinem Haus im Bergischen. Wenn ich eine Weile nicht in der Natur war, werde ich nervös. Menschen, die mich gut kennen, sagen immer: Du bist wie ausgewechselt auf dem Land.
Gehen Sie gerne barfuß?
Natürlich. Als Kind bin ich fast nur barfuß gelaufen. Ich war jetzt im Sommer an der Côte d’Azur in einem kleinen Häuschen neben einem Naturpark. Meine größte Freude war, barfuß den Weg zum Strand zu gehen.
Sammeln Sie in der Natur?
Klar. Ich esse alles, was am Weg ist. Brombeeren, Himbeeren, Waldbeeren. Ich sammle auch Pilze. Das habe ich schon als Kind gemacht.
Womit wir beim Alter wären. Ist das für Sie persönlich ein Thema?
Ich bin ja öffentlich 80 geworden. Aber ich habe mein Leben lang quasi alterslos gelebt. Das Alter hat mich nie interessiert. Mein Alter nicht und auch nicht das der Menschen in meiner Nähe. Ich habe immer mit viel Jüngeren oder auch mit viel Älteren zu tun gehabt. Mich selbst habe ich immer von innen her gedacht. Es ist so, dass ich gefühlt mal 80 oder 40 oder 18 bin. Man ist lebenslang dieselbe Person. Mit denselben Gefühlen und demselben Übermut. Nur die Erfahrungen häufen sich.
Ich verstehe das so, dass es auf die eigene Haltung ankommt …
Nicht nur. Leider. Aber das Entscheidende ist, dass man sich in Altersschubladen nicht einschließen lässt. Ich kann mich nur aufregen über Sachen, die ich ändern kann. Alles andere wird in Würde getragen. Das Einzige, was gegen Alter nutzt, ist, früh zu sterben.
Deutschlands bekannteste Feministin
Alice Schwarzer (geboren am 3. Dezember 1942) in Wuppertal ist eine deutsche Journalistin und Publizistin. Sie ist Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma und Deutschlands bekannteste Feministin. www.aliceschwarzer.de