„Im Stich gelassen“Wofür die Angestellten im Einzelhandel in Köln demonstrieren
Grüne Kreuze sind in regelmäßigen Abständen auf den Boden am Neumarkt gesprüht. Darauf stehen jeweils zwei oder drei Menschen, die Liedzeile „All alone she moves“ (Ganz alleine bewegt sie sich) tönt aus zwei Boxen am Rande der Versammlung. Die gelben Warnwesten der Versammelten verraten: Hier wird gestreikt – corona-konform.
Mehr Geld fordern die Beschäftigten aus dem Einzelhandel, vorrangig aus der Lebensmittel- und Möbelbranche. Ganz konkret möchte Verdi eine Erhöhung der Entgelte um 4,5 Prozent. Bisher haben die Arbeitgebenden kein Angebot vorgelegt, das sorgt für Missmut. Vor allem, weil der Einzelhandel, laut Verdi, das höchste Umsatzwachstum seit 1994 erreicht hat. „Ich fühle mich nicht besonders gut. Applaus bringt uns nicht weiter. Wir machen Milliardengewinne. So Umsätze wie aktuell sind zumindest im Lebensmittelhandel lange nicht gemacht worden. Und die Wertschätzung ist gleich null“, sagt Janin Pratsch. Die 51-Jährige arbeitet bei Kaufland und glaubt, dass die Pandemie als Vorwand der Arbeitgebenden genommen wird, um nichts zu tun.
Die Verhandlungen
Am Mittwoch haben für den nordrhein-westfälischen Einzelhandel die Tarifverhandlungen begonnen. Die Gewerkschaft Verdi beklagte nach der ersten Verhandlungsrunde, dass die Arbeitgeber kein Angebot vorgelegt hätten. Verhandlungsführerin Silke Zimmer nannte das enttäuschend.
Verdi fordert für die rund 700 000 Verkäuferinnen und Verkäufer in NRW 4,5 Prozent plus 45 Euro Zulage. Der Einzelhandel habe im vergangenen Jahr den höchsten Umsatzanstieg seit 1994 erwirtschaftet. Dieses Plus könne nicht alleine auf den Internethandel zurückgeführt werden. Auch der stationäre Einzelhandel könne ein Plus von 4,3 Prozent vorweisen.
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands NRW, Peter Achten, verwies auf die unterschiedliche Lage des Handels. „Die Spreizung ist riesengroß“, sagt Achten. Es gebe Branchen, die gut durch die Pandemie kämen und andere, deren Geschäfte überwiegend geschlossen gewesen seien.
Dafür müsse in den Verhandlungen erst ein gemeinsames Verständnis entwickelt werden. „Da sind wir noch weit auseinander“, sagt Achten. Deshalb sei es für ein Angebot noch zu früh gewesen. Er zeigte sich zudem überrascht über den Warnstreik: Dass in Tarifverhandlungen gleich zur ersten Runde ein Angebot vorgelegt werde, sei nicht üblich. (two)
Auch die Politik sieht sie mit in der Verantwortung. Nicht nur für den Einzelhandel, sondern auch bei den Pflegekräften würde die Situation schöngeredet. „Da muss mal jemand einschreiten. Wir halten alles am Laufen. Der Mensch muss leben. Ohne Lebensmittel geht das nicht, und so wie das gerade läuft, das ist nicht ok. Ich fühle mich schon ein bisschen im Stich gelassen.“
Auf einem Lkw, der als Bühne dient, teilen Einzelne ihr Schicksal mit der Menge. Pappaufsteller von weiteren Streikenden lassen die Gruppe ein bisschen größer wirken. Die insgesamt etwa 50 Leute auf dem Platz klatschen nach jeder Rede und klappern mit selbstgebastelten Fächern. Dazu kommt das Geklingel von acht Fahrradrikschas. Auf denen waren die Streikenden vom Heumarkt zu der Kundgebung auf dem Neumarkt geradelt.
In einer Rikscha sitzt Jürgen Runge. Der 56-Jährige aus Nippes arbeitet seit 40 Jahren bei Karstadt. Als Auszubildender hatte er dort angefangen. Inzwischen sitzt er seit 28 Jahren im Betriebsrat, seit 20 Jahren in der Tarifkommission. Mitarbeitende des Konzerns haben es ohnehin nicht leicht, weil das Unternehmen in der Krise steckt. „Ich habe immer Vollzeit gearbeitet, und wie wenig Rente ich mal bekommen werde, das ist schon richtig traurig“, sagt Runge. Er ist genervt, wie die Arbeitgebenden auf Zeit spielen: „Dass die nicht einen müden Euro dafür bezahlen wollen, das ist schon schade. Wenn man sieht, dass wir auch alles am Laufen halten. Ich arbeite zwar bei Karstadt und bin aktuell in Kurzarbeit, aber trotzdem, es geht ja irgendwann weiter. Da muss man schauen, dass man auch davon leben kann. Das wird langsam ein bisschen knapp mit dem Geld.“
Ein weiteres Problem, das auch eine Rednerin, die bei Saturn arbeitet, anspricht: Immer weniger Angestellte sind für die gleiche Verkaufsfläche zuständig. Heißt: Mehr Arbeit und Stress für den gleichen Lohn. Runge findet die Forderung von 4,5 Prozent noch zu wenig, doch das sei auch ein Kompromiss wegen der Pandemie.
Nach anderthalb Stunden ist die Kundgebung vorbei. Die Menschen in den gelben Westen verstreuen sich. Nur die Kreuze deuten noch auf den Streik hin. Ob der etwas gebracht hat, bleibt abzuwarten.