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Eine andere WeltTeenager erklärt die Faszination der Gamescom

Lesezeit 6 Minuten
Ein Junge sitzt vor einem Bildschirm, im Hintergrund weitere Bildschirme.

Der 14-jährige Tim testet, was auf der Spiele-Messe Gamescom angeboten wird.

Ein Teenager erklärt die Faszination der Spiele-Messe Gamescom für Menschen, in deren Jugend das Telefon noch eine Wählscheibe hatte.

Was er mal erreichen will? „Ganz klar: Ein Threesixty-No-scope. Mehr geht echt nicht.“ Willkommen in der Welt von Tim. 14 Jahre alt. Leidenschaftlicher Gamer. Spezialgebiete: Ego-Shooter und Simulatoren. Grundausstattung: Ein selbst gebauter PC, eine Tastatur, die leuchtet wie ein Diskokugel, und einen Stuhl, der aussieht, als gehörte er in ein Cockpit.

Wer an dieser Stelle des Artikels sagt, ich bin raus: Moment. Tim hat eine Aufgabe. Nämlich: den Menschen, deren Helden noch Rummenigge oder Littbarski hießen und die klammheimlich denken, so verkehrt waren Wählscheiben an Telefonen nun auch wieder nicht, seine Welt zu erklären. Wie ließe sich das besser einfädeln, als bei einem Rundgang über die gerade eröffnete Games-com in Köln. Der weltweit größten Messe rund um die Welt der Computerspiele.

Blick in eine Messehalle, im Vordergrund zwei lebensgroße Figuren Tamagotchis Pikachu.

Keine Anzugträger, sondern Pikachu im Doppelpack.

Der Mittwoch gehört dem Fachpublikum und den Berichterstattern. Und schon dabei wird deutlich: Schon der Begriff „Messe“ passt zur Gamescom wie ein Faxgerät in ein modernes Büro. Dicht an dicht drängen sich an diesem Tag junge, bunte Menschen durch die Hallen. Wer über 40 ist, gehört zur Security. Wer Anzug trägt, hat an diesem Tag irgendwo die falsche Ausfahrt genommen. Tim passt zu dieser „Messe“ wie Kartoffelchips zu Cola. Der Grundnahrung aller Gamer. Und damit auf in Tims Welt, die so facettenreich ist, dass jeder, der sie nur annähernd begreifen will, in Kategorien denken sollte.

Das Handwerkszeug

Wer Computerspiele spielen will, braucht einen Computer. Erste Halle, erster Blick: ein Volltreffer. Wobei, es braucht Menschen wie Tim, um dieses Ding noch als Computer zu erkennen. Das „Gehäuse“ ist ein Skelett, mehr Ball als Kasten. „Der ist wassergekühlt. Hier führen die Schläuche zum Prozessor, dahinter ist der Kühlwasserbehälter. An den kannst du bis zu acht Festplatten anschließen.“ Ein Traum für Gamer: Spielen, bis der Prozessor, der Motor des Computers, dampft. So viele Spiele auf Festplatten herunterladen, bis es alleine schon einen Rechner braucht, um sie noch zu zählen.

Ein Junge steht vor einem eiförmigen Gehäuse.

Rechteckige Gehäuse waren gestern: Was für die "Generation Wählscheibe" aussieht wie ein Mittelding aus Ei und Skelett, ist ein Computer.

Wer glaubt, mit einem solchen Computer schon den größten Posten in den Anschaffungen gestemmt zu haben, der hat die Rechnung ohne Equipment-Branche gemacht. Am Stand neben dem „Skelett-Rechner“ werden Gamer-Stühle ausgestellt. Preisschilder braucht es nicht für den Kenner: „Da gibt es keine Grenzen, da kommen schnell hunderte, tausende Euros zusammen“, sagt Tim — und hat aus dem Augenwinkel etwas erspäht, das ihn anzieht wie ein Magnet. „Da, das 1000-Euro-Lenkrad von Logitech.“ Ein Lenkrad für Rennspiele am PC, das soviel kostet wie ein Lenkrad in der Mercedes-S-Klasse. Und die Branche ist erfinderisch, um Neuanschaffungen nicht nur durch die Herausgabe neuer Modelle attraktiv zu machen.

Warum stehen an diesen Glasvitrinen so viele Menschen? „Da gibt es personalisierte Controller“, erklärt Tim. Die heimlichen Freunde der Wählscheibe würden sagen: eine Bedieneinheit, auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten. Eine Halle weiter: Bildschirme. Tim hat sich „verguckt“ in einen von Samsung. Unfassbar breit, harmonisch geschwungen. Doch worauf es wirklich ankommt, macht Tim nach einem Probespiel so klar: „Krasse Auflösung!“

Das Herzstück

Es gäbe diese hochgezüchteten Rechner, diese ergonomischen Rennsessel und diese handschmeichelnden Steuereinheiten wohl gar nicht, wären da nicht die Spiele. Unmöglich, den ganzen Kosmos der „Games“ zu erfassen. Es ist ein wenig wie mit der Literatur: Es gibt alles, was die Fantasie beflügelt. Nur scheint es so, als habe sich das Hochgeistige nicht recht in die neue Welt übertragen lassen. Um uns nicht zu verlieren in diesen unendlichen Weiten, bleiben wir in der Welt von Tim. Er steht vor allem auf Ego-Shooter: Spiele, bei denen es kurz gesagt darum geht, Gegner mit allen nur erdenklichen Waffen den Garaus zu machen. Im Spielekosmos eine eigene Galaxie.

Ein Junge sitzt vor einem Bildschirm, auf dessen Anzeige man eine Figur sieht.

Glücklich in der Welt der Ego-Shooter

Tims Lieblingsspiel wird über die Plattform „Steam“ angeboten. Die wiederum gehört „Valve“, ein Riese unter den Anbietern. Welche Dimension das Unternehmen hat, macht Tim so klar: „Die sind so groß, die brauchen die Gamescom nicht.“ Valve ist nicht nach Köln gekommen. Tim findet Ersatz. Ein Stand von ESL. Das Unternehmen richtet Turniere für Computerspiele aus.

Vor wenigen Wochen fand ein solches Turnier für eins der beliebtesten Ego-Shooter-Spiele, Counter-Strike, in der Kölner Lanxess-Arena statt. Eine Million Dollar Preisgeld, 15.000 Zuschauer in der Halle. Unzählige verfolgten es im Internet über Live-Streaming-Videoportale. So auch Tim. Über dem Stand ein Banner mit mysteriösen Symbolen. Nicht für Tim: „Das sind die Teams, Big, Mouz, Navi...“ Passend dazu Trikots , ähnlich wie bei Fußballmannschaften. Immerhin, ein Anknüpfungspunkt für die „Generation Rummenigge“.

Die Stars

Selbst zu spielen ist also nur ein Aspekt. Die Szene hat Stars, denen Millionen Fans (Follower) über die Schultern schauen, wenn sie zum Controller greifen. Über Video-Plattformen wie Twitch oder You Tube sind sie allzeit abrufbar. „Am Samstag kommt Monte auf die Ganescom“, weiß Tim.Was nach einem Joghurt von Zott klingt, ist der Rummenigge der deutschen Gamer-Szene. „Montana Black 88“ lautet sein voller Name.

Tim war bei der Gamescom 2022, als Monte sich seinen Fans präsentierte. „Hier war alles voll, als er die Treppe runter kam, alles dicht. Security musste dem den Weg frei machen“, zeigt er auf einen langen, breiten Gang, der zwischen den Ausstellungshallen verläuft. Monte ist Vorbild. „Da, der da, den habe ich auch schon mal auf Twitch gesehen.“ Tim zeigt auf einen jungen Mann, der sein Handy auf einem Stab vor sich herträgt und sich dabei filmt, wie er über die Gamescom geht und etwas hektisch Kommentare brabbelt. Einen Namen hat „der da“ offensichtlich noch nicht in der Szene. Heute noch nicht. Morgen kann das schon anders sein. Die Welt er Gamer ist rasant. Und so wie er hoffen zahlreiche auf den Ruhm. Allerorten wird auf der Gamescom ins Handy gebrabbelt.

Bunte Blüten

Spielfiguren als Stofftiere (eine Spezialität von Nintendo), Menschen, die in die Kostüme ihrer Lieblingsfiguren schlüpfen (Crossgamer) — in den Ausläufern des Computerspiele-Kosmos gibt es nichts, was es nicht gibt. Und vieles dafür wird auf der Gamescom angeboten: Perücken, T-Shirts. Und was ist das da? In den flachen, viereckigen Hüllen? „Was das ist? Das sind Schallplatten. Mit Games-Soundtracks“, erklärt Tim lachend. Vielleicht liegen sie ja doch nicht so weit auseinander, die Welt der Wählscheiben und die der personalisierten Controller.

Bleibt am Ende des Rundgangs eigentlich nur noch eine Frage zu klären: Was in Gottes Namen ist denn dieser angeblich so erstrebenswerte Threesixty-No-scope? „Ein Begriff aus einem Ego-Shooter-Spiel. Wenn du einen Gegner, der hinter dir steht, bei einer 360-Grad-Drehung erschießt, ohne dabei durchs Visier geschaut zu haben.“ Kaum gesagt, macht Tim eine 180-Grad-Drehung. Ab in die nächste Halle.