Während die CDU feiert, nehmen Grüne und SPD die Ergebnisse bestürzt zur Kenntnis. Wir haben uns bei den Parteien in Köln umgehört.
Europawahl 2024Erstes Entsetzen bei den Grünen, Frust bei der SPD – Reaktionen aus Köln
Keine Jubelschreie, kein Freudentaumel, nicht einmal ein verhaltenes Klatschen. Als um 18 Uhr die Zahlen der ersten Prognose für die Ergebnisse der Europawahl in Deutschland auf dem Fernseher erscheinen, bleibt es auf der Wahlparty der Kölner CDU im Brauhaus Sion ruhig. Und das, obwohl CDU und CSU sich mit insgesamt 29,5 Prozent der Stimmen als Wahlsieger feiern können. 2019 hatte die CDU nach schweren Verlusten 28,9 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Grund für die Stille ist der fehlende geschäftsführende Vorstand, der beschlossen hat, die Ergebnisse im kleinen Kreis auf der Geschäftsstelle zu beobachten. Ganz sicher ist sich die CDU auf dem Weg zum Wahlsieg also nicht.
Erst als der Parteivorsitzende Karl Alexander Mandl gegen 18.10 Uhr zum Mikro greift, kommt Stimmung bei den 50 bis 60 Gästen auf. „Für uns ist das ein enormer Sieg. Fast 30 Prozent, das ist wirklich super“, erklärt der Parteichef, der nicht mit Kritik an den Regierungsparteien spart: „Mit so einem Ergebnis hat die Ampel eine ganz klare Abmahnung bekommen.“
Vorstandsmitglied Oliver Kehrl begründet die verhaltene Freude mit dem Schock über das vorläufige Ergebnis der Alternative für Deutschland (AfD), die in den ersten Hochrechnungen bereits 16 Prozent der Stimmen erhalten. Die verhaltene Freude ist aber auch Zeuge der Ungewissheit, ob die CDU auch bei den Wählerinnen und Wählern in Köln ganz oben steht.
Grüne reagieren entsetzt
Nicht weit davon entfernt, im „Consilium“ am Rathaus, geht um 18 Uhr ein Raunen durch den Saal. Die Prognose verschlägt den Grünen in Köln die Stimme. Ein Minus von 8,5 Prozent auf Bundesebene. Nur ein Wahlkämpfer flüstert resigniert vor sich hin: „Das ist aber bitter.“ Um ihre Stimme wieder zu finden, braucht die Kölner Parteispitze eine gute halbe Stunde. Dann greifen die Vorsitzenden Katja Trompeter und Stefan Wolters zum Mikrofon. Die Stimmung sei dieses Mal gegen die Grünen gewesen, sagt Wolters. „Aber wir haben uns nicht einschüchtern lassen, wir lassen uns nicht klein kriegen“, gibt er sich kämpferisch.
Auch bei Trompeter ist erst einmal Wunden lecken angesagt: „Zur Europawahl 2019 hatten wir ein Rekordergebnis, die Stimmungslage war eine andere.“ Das sei die Bürde dieses Wahlkampfes gewesen. Und dann das erste Wort direkt zur Prognose: „Das kann nicht unser Anspruch sein. Alle Hoffnung der Grünen richtet sich zu dieser Stunde auf die Kölner Ergebnisse: Die sind traditionell höher“, macht Trompeter Mut. Vor fünf Jahren sind die Grünen in Köln mit 32,9 Prozent erstmals stärkste Kraft geworden.
Dass sie dieses Ergebnis diesmal wieder erreichen, damit hat bei den Kölner Grünen keiner gerechnet. Nun bleiben sie zwar stärkste Kraft in Köln, doch der Abstand zum Bündnispartner CDU ist geringer geworden. Die Union kann die Brust breiter machen, die Grünen müssen Land zurückgewinnen. Gilt es nun, sich gegenüber der CDU bis zur Kommunalwahl 2025 stärker abzusetzen? „Unser Bündnisvertrag gilt, und den wollen wir noch abarbeiten“, sagt Trompeter. „Stillstand können wir uns nicht leisten“, erteilt sie einem Positionskampf eine Absage.
Enttäuschung bei den Sozialdemokraten
Lange Gesichter gab es am Wahlabend auch im Ben-Wisch-Haus: Als um 18 Uhr in der Zentrale der Kölner SPD an der Magnusstraße die erste Hochrechnung über den Bildschirm flimmert, macht sich bei den dort versammelten Sozialdemokraten Enttäuschung breit. Der Erfolg der Union, das Erstarken der AfD und ein SPD-Ergebnis, das schlechter als 2019 ausfällt – all das sorgt bei den Genossen für eine Mischung aus Ernüchterung und Frust, aber auch für eine Jetzt-erst-recht-Haltung. „Dieses Ergebnis ist nicht das, was wir uns erhofft haben“, sagt Claudia Walther, Kölner SPD-Vorsitzende und Europakandidatin ihrer Partei. Als besonders bitter bezeichnet sie das Abschneiden der AfD, die in der Prognose vor der SPD liegt.
Ihre Parteifreunde hören konsterniert zu, dann sagt Walther: „Ich habe aber den Eindruck, an uns lag es nicht.“ Das Kölner Team habe „einen großartigen Wahlkampf“ gemacht. Das quittiert der Saal mit Jubel.
Von der ersten Hochrechnung an zeichnet sich ab, dass Walther, die auf Listenplatz 15 der SPD steht, es nicht ins EU-Parlament schaffen wird. Dafür braucht sie ein SPD-Ergebnis von bundesweit knapp 15 Prozent. Dafür reicht es am Ende nicht. Das sei sehr schade, betont der SPD-Co-Vorsitzende Florian Schuster, denn sie sei mit so viel Herzblut und Idealismus bei der Sache. „Du hättest es absolut verdient gehabt.“
Über das Wahlergebnis und den Umstand, dass die AfD vor den Sozialdemokraten liegt, sagt Schuster: „Das ist eine Katastrophe, da brauchen wir nicht drumherum reden. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt nicht aufgeben.“ Die SPD mit ihrer mehr als 160-jährigen Geschichte sei mehr denn je gefordert, als Bollwerk für die Demokratie und gegen rechts zu kämpfen. „Es braucht uns: Wer macht das, wenn nicht wir?“
Als später die Kölner Ergebnisse eintrudeln, zeigt sich, dass die SPD in der Stadt nur unwesentlich besser abgeschnitten hat als bundesweit. Das sei zu wenig, meint SPD-Fraktionschef Christian Joisten: „Dass wir uns in Köln nicht stärker vom Bundestrend abgesetzt haben, schmerzt mich schon.“
Volt vervierfacht Ergebnis
Die Liberalen erreichen in den frühen bundesweiten Prognosen fünf Prozentpunkte. Der Kölner FDP-Vorsitzende Lorenz Deutsch zeigt sich zufrieden: „Unter den Ampelparteien sind wir die glücklichsten heute.“
Große Freude herrscht bei Volt - der 2017 als Reaktion auf den Brexit gegründeten proeuropäischen Partei. Auf Bundesebene kann sie ihr Ergebnis von 0,7 Prozent (2019) auf rund 2,5 Prozent fast vervierfachen. In Köln wächst Volt sogar noch stärker auf rund sieben Prozent (2019: 1,6 Prozent). „Darüber freue ich mich sehr“, sagt die Europakandidatin und frühere Kölner Volt-Chefin Rebekka Müller. Mit Listenplatz 4 wird sie es selbst nicht ins EU-Parlament schaffen, dennoch ist sie zufrieden mit dem Erfolg ihrer Partei. „Volt hat sich etabliert. Wir sind gekommen, um zu bleiben.“
Wahlbeteiligung gestiegen
Das im Januar 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht holt in Köln aus dem Stand mehr als vier Prozent, bleibt damit aber unter dem Bundesergebnis der neuen Partei. Die Wahlbeteiligung gibt die Stadt Köln nach Auszählung aller Stimmbezirke mit 65,99 Prozent an. Damit sind mehr Kölnerinnen und Kölner zur Wahl gegangen als 2019 (64,6 Prozent) und 2014 (53,1).