Zweites EM-Spiel gegen die SchweizSchotten machen Altstadt dicht - großes Fußballfest in Köln

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Schottische Fans feiern das 1:0 ihrer Mannschaft beim Public Viewing am Rheinufer.

Schottische Fans feiern das 1:0 ihrer Mannschaft beim Public Viewing am Rheinufer.

Die Kölner Innenstadt war am Mittwoch fest in schottischer Hand. Am Nachmittag startete der Fanmarsch zum Stadion.

Falls es den Fußballgott wirklich geben sollte, hat er es am Mittwoch äußerst schwer. Mit größtmöglicher Andacht entzünden Fans aus Schottland und der Schweiz Teelichter im Kölner Dom, manche verharren in kurzem Schweigen, ein Organist probt Lieder. Die Bereitschaft zum Zündeln ist groß – Plätze auf dem riesigen Kerzenständer sind fast so heiß begehrt wie Eintrittskarten für ein EM-Spiel. Tausende vornehmlich schottische Fans haben die Kölner Innenstadt fest im Griff und führen ein denkwürdiges Stück friedlicher Fankultur auf. Der zweite Akt nach dem Auftakt am Wochenende in München. Am späten Nachmittag zieht die Stadt dann die Reißleine und sperrt die gesamte Altstadt für den Fahrzeugverkehr. Die Fan-Zone auf dem Heumarkt ist voll, auf den Straßen dominieren längst die Fans.

Köln ist am Mittwoch fest in schottischer Hand.

Köln ist am Mittwoch fest in schottischer Hand.

Großer Anziehungspunkt für die Fans ist der Kölner Dom. Auf dem Bahnhofsvorplatz dominieren blaue Trikots, am frühen Nachmittag verwandeln Tausende Fans die große Freitreppe, die hinauf zum Dom führt, in eine Tribüne, auf der im Grunde nur der Fußballsport zelebriert wird. „Feiern, trinken, Spaß haben“, fasst Liam aus Aberdeen den Dreiklang des Aufenthalts zusammen. Mancherorts gibt es ein paar Schönheitsfehler, so stehen fünf Herren im Kilt vor dem Gaffelbrauhaus und trinken bayerisches Weißbier aus Flaschen. „Wir probieren auch gerne Kölsch“, meint einer von ihnen. Der Inhaber eines Cafés am Bahnhof lässt kurzerhand einen Kasten Kölsch kaufen, denn der Wunsch nach Kaffee hält sich bei den britischen Gästen in engen Grenzen.

Spätestens seit Montag sorgt die „Tartan Army“, wie die schottischen Fans genannt werden, für sehr viel EM-Flair in Köln. Tausende haben sich in den Hotels eingebucht, viele sind zum Spiel auch aus Düsseldorf angereist. Michael Clark, der in den schottischen Highlands lebt, hisst mit seinen Kumpels an einem offiziellen Infobildschirm der „Euro 24“ vor dem Bahnhof die blau-weiße Landesfahne. Nur die rote Schrift ist ungewöhnlich „Ich hasse Bier“ steht dort in englischer Sprache geschrieben und weiter „Oh, guck mal, da gibt's Bier.“ Wann er sein erstes Bier geöffnet habe? „Um acht Uhr heute Morgen“, sagt er. Schon das Auftaktspiel in München hat er gesehen, die Begegnung am Abend gegen in Köln gegen die Schweiz wird sein EM-Abschluss sein. „Morgen geht es zurück nach Hause. Und zurück in die Realität“, sagt er.

Während die schottischen Fans am Bahnhof ihre Vorfreude in zünftige Gesänge verpacken und auch die Hymne „Flower of Scotland“ anstimmen, schallt der Klang von fünf Dudelsäcken über den Roncalliplatz. Es ist der Auftakt zu einem unangekündigten Kurzkonzert der Musiker von Kasalla. „We are a regional band with a strange dialect“, begrüßt Sänger Basti Campmann die etwa 100 Menschen vor der kleinen Bühne und hat sichtlich Spaß. Kölsche Musik für schottische Fans, das hat schon beim Liederabend mit den Höhnern am Vorabend im Tanzbrunnen geklappt.

Der Fanmarsch der Schotten mit über 12 000 Teilnehmern startete in Braunsfeld.

Der Fanmarsch der Schotten mit über 12 000 Teilnehmern startete in Braunsfeld.

Mit Dudelsack-Klängen stimmten sich die Schotten auf das Fußballspiel am Abend ein.

Mit Dudelsack-Klängen stimmten sich die Schotten auf das Fußballspiel am Abend ein.

Um sich von den zum Teil eher rabiaten englischen Fans zu unterscheiden, arbeiten die Schotten schon seit Jahren am Image der feierfreudigen Fußballtouristen. Und weil es eben nicht nur um Spaß und Bier geht, überreicht ein Fanvertreter des Projekts „Tartan Army Children's Charity“ einen Scheck über 5000 Euro an die Kölner Initiative „Kidsmiling“ – das Geld kam unter anderem bei Spendenaktionen zusammen. Der schottische Fan Craig Ferguson etwa war 41 Tage lang von Schottland aus zum Eröffnungsspiel nach München gelaufen und hatte dabei Geld gesammelt.

Auch für die Kölner Gastronomen wurde die Invasion der Schotten zum arbeitsintensiven Feiertag.

Auch für die Kölner Gastronomen wurde die Invasion der Schotten zum arbeitsintensiven Feiertag.

Auch sonst arbeiten die Fans an ihrem guten Ruf. Schon am Dienstag wird ein Video zweier Fans vom Alter Markt zum Klickhit im Internet, denn die Fans geleiten einen gebrechlich wirkenden Herrn mit Rollator über den kopfsteingepflasterten Platz und schützen ihn mit einem Schirm vor strömendem Regen. Das alles aber ist nun der Auftakt für den großen Marsch zum Stadion am späten Mittwochnachmittag. Angeführt von sechs Dudelsackspielern pilgern mehr als 20 000 Fans aus Braunsfeld nach Müngersdorf – vielleicht das Bild dieser Kölner Europameisterschaft.

EM in Köln: Ein Festtag auch für die Straßenmaler am Dom

Doch zwischen all den meist Männern in blauen Trikots fallen auch einige Fans in rot auf. Toni aus Luzern und seine Kumpels haben Karten für fünf Spiele erhalten – jedes Ticket habe zwischen 150 und 200 Euro gekostet, erzählen sie. Frankfurt, Dortmund, Berlin, Köln – für das Fußballturnier reisen sie quer durchs Land. „Wir übernachten zwar in Düsseldorf, lieben aber Köln“, sagt einer der Fans. Vor Jahren sei er schon mal für ein Konzert von Marillion in der Essigfabrik nach Köln gekommen. Und nun zur EM. Ein Festtag ist das Spiel auch für die Straßenmaler am Dom. Auf der schottischen und schweizerischen Fahne türmt sich das Geld, sogar Scheine werden dort abgelegt. Am Fußball verdienen halt viele Menschen. Und an diesem Tag nicht nur die Wirte in der Innenstadt.

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