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In der Kälte der NachtSo helfen „Straßenwächter“ und „Kältegänger“ Obdachlosen in Köln

Lesezeit 7 Minuten
Tatjana Smudzinski gibt Suppe aus.

Tatjana Smudzinski gibt Suppe aus.

Sogenannte „Kältegänger“ sind in Nächten mit Minustemperaturen im Auftrag der Stadt unterwegs, um obdachlose Menschen auf die Notunterkünfte hinzuweisen. Das Team der Straßenwächter verteilt warmes Essen.

Ein Handkarren rumpelt durch den nachtschwarzen Abend, unversehens ist er von Menschen umringt. Sie warten geduldig, bis Ehrenamtlerin Tatjana Smudzinski alles zur Ausgabe vorbereitet hat. „Spätzlesuppe“, antwortet sie freundlich auf die Frage, was es heute gibt. Die Suppe ist dampfend heiß, sie riecht würzig, und auch nach Zwiebeln. Eine schlanke kleine Frau nimmt ihre Plastikschale mit Dank entgegen, fragt: „Gibt es auch wieder Salat und Nachtisch?“ Gibt es, in kleinen Plastikdöschen. „Das Dressing ist unten drin“, sagt die 27-Jährige.

Sie ist Teil des Straßenwächter-Teams, das täglich Essen an hilfebedürftige Menschen verteilt. Der Nachtisch liegt in der untersten schwarzen Box, Gebäck und Schokolade, Reste vom Weihnachtssortiment. Die zierliche Frau kommt seit zwei Jahren hierher. Das warme Abendessen sei ihr wichtig, sie achte auf sich, sagt sie.

Kältegang - Ringe und Neumarkt

Über die warme Suppe freuen sich die Obdachlosen.

Neben ihr bringt ein Mann sein altes, mit Tüten beladenes Rad zum Stehen, fragt auf Englisch, ob er auch etwas bekommen kann. Natürlich, sagt Jonas N. (Name geändert), der zweite Ehrenamtliche im heutigen Team, und reicht ihm einen Teller Suppe an. „Everybody“, sagt der Mann. Er gestikuliert und spricht auf Englisch zu sich selbst. „Es gibt hier viele Menschen, sie hängen von Drogen ab.“

Ein anderer Mann im mittleren Alter steht zurückhaltend neben dem Wagen. „Möchten Sie eine Käseschnecke? Sie ist noch ein bisschen warm“, fragt Jonas N. Der Mann nimmt sie gerne zur Suppe, sagt: „Vielen, vielen Dank für ihre Arbeit.“ Mit drei Ikeatüten um die Schultern kommt ein alter Mann die Straße herunter, so schnell er kann. Er hat keine Hand frei für die Suppe. „Bringen Sie die Tüten doch rein ins Café“, sagt Smudzinski. Macht er. Da kann er auch im Warmen seine Suppe essen. Bis acht Uhr. Dann schließt das von Ehrenamtlichen betreute Café.

Sozialarbeiterin Friederike Bender im Gespräch mit einem obdachlosen jungen Mann

Sozialarbeiterin Friederike Bender im Gespräch mit einem obdachlosen jungen Mann

Die beiden Essensverteiler ziehen mit ihrem Karren weiter. Der Lidl am Ring ist die nächste Station. Weil hier viele obdachlose Menschen sind. Und auch, weil die Filiale ihre nicht verkauften Gebäcke regelmäßig spendet. Auch hier warten Stammgäste. Andere kommen dazu, fragen, ob sie eine Suppe bekommen könnten. Manche schauen und warten, bis sie von den Helfern angesprochen werden. Lidl hat zwei große Kartons mit Schokocroissants und Pizzabrötchen gespendet. Ein Mann bittet um ein Croissant, ein anderer um eine Pizza und einen Berliner, er schleift zwei große graue Säcke mit Decken neben sich her. Fast jeder, der zum Karren der Straßenwächter kommt, möchte eine dampfende Suppe. Mit der wärmt sich Ralf erstmal die Finger, sie ist noch viel zu heiß. Der 64-Jährige erzählt, dass er täglich aus Stammheim herkommt. Das Amt zahle seine kleine Wohnung. „Aber ich habe Schulden, und es bleibt nicht genug zum Leben.“

Neben ihm packt ein hoch aufgeschossener dünner Mann ein paar Gebäckstücke ein. Seine Suppe möchte er mitnehmen, für einen Freund. „Er liegt in einem Zelt im Park und kann sich nicht bewegen“, sagt er. „Zum Arzt will er nicht. Er hat keine Krankenversicherung.“ Er selbst sei Epileptiker und nach einem Anfall ins Krankenhaus gekommen. „Ich musste 800 Euro zahlen.“ Er dreht sich um, trägt die Suppe vorsichtig vor sich her, 20 Minuten Weg liegen vor ihm.

Kältegang - Ringe und Neumarkt

Freude über die warme Suppe

Vor dem Lidl sind alle versorgt, die Helfer ziehen ihren Karren weiter, die Ring herunter, an den gleißend hellen Geschäften vorbei und an der Leuchtreklame der Kinos, dem Scala-Lustspieltheater, an Banken, Cafébars, Burgerbrätern. Am Neumarkt wartet die nächste Gruppe wohnungsloser Menschen auf sie. Bis zu vier Stunden sind die Straßenwächter-Teams unterwegs, an 365 Tagen im Jahr. Sie verteilen an jedem Abend Essen an 150 Menschen.

Schlafplatz im Schutz einer kleinen Ladenpassage

Der Neumarkt liegt auch auf der Strecke der Kältegänger, die im Auftrag der Stadt von 18.30 bis 20 Uhr unterwegs sind. Sie sprechen Menschen an, die um diese Zeit noch draußen campieren, weisen sie auf die Notschlafstellen hin und verteilen Flyer dazu. Heute sind Sozialarbeiterin Friederike Bender und Maja Schumacher von der Diakonie unterwegs. Die Sozialarbeiterin ist eine von sechs Streetworkerinnen in der Obdachlosenhilfe, ihr Bereich sind Menschen aus Osteuropa, sie spricht Rumänisch.

Das hilft, denn viele der Menschen, die das Team in den Einkaufsstraßen antrifft, stammen aus den Westbalkanstaaten. So wie das Paar, das auf der Schildergasse einige Decken um einen Laternenmast herum ausgebreitet hat, auf einer liegt ein Hund. Die Streetworkerin kennt die beiden noch nicht, erklärt ihnen, dass es Notschlafstellen gibt, wo sie übernachten können und weist sie eindringlich darauf hin, dass für die Nacht Temperaturen von minus acht Grad angekündigt sind. „Das kann gefährlich werden.“

Die Pizzabrote hat Lidl gespendet.

Die Pizzabrote hat Lidl gespendet.

Die Gefahr ist vielen der obdachlosen Menschen, die in Köln draußen übernachten, in der ersten sehr kalten Nacht des Jahres von Montag auf Dienstag bewusst geworden. „Heute sind weniger draußen als sonst, manche sind wohl doch in die Notunterkünfte gegangen“, sagt Bender. Manche mieden diese Unterkünfte sonst, weil sie Angst hätten, sich in den Mehrbettzimmern mit Krankheiten anzustecken oder Ungeziefer zu bekommen. Andere hätten Angst vor Diebstählen oder könnten es nicht in lange in Räumen aushalten.

Weil Friederike Bender auch tagsüber als eine von sechs Sozialarbeitenden in der aufsuchenden Hilfe unterwegs ist, kennt sie viele schon seit Jahren. Eine rumänische Familie mit einer volljährigen Tochter, die sich einen geschützten Schlafplatz in einer kleinen Passage an der Schildergasse gesucht hat, begrüßt sie freundlich.

Für den Arbeitsvertrag musste er seine Papiere abgeben

Einige Geschäftsinhaber würden das Übernachten im Schutz ihrer Läden tolerieren, sagt die Sozialarbeiterin. Mit Isomatten, Decken und Schlafsäcken wollen sich die drei Menschen vor der Kälte schützen. Die zwei Hunde der Familie liegen auf einem dicken Polster. „Die Hunde nachts abzugeben kommt für viele Menschen nicht in Frage. Sie hängen sehr an ihnen, manche haben Angst, dass sie sie aus dem Tierheim nicht zurückbekommen, wo die Tiere übernachten könnten. Etwa, weil ihnen Impfungen fehlen, die hier Pflicht sind“, erklärt Bender.

Viele der Menschen aus den Westbalkanstaaten würden auch für einen sehr geringen Lohn arbeiten, weil sie ihre Familien unterstützen müssten. Manche würden sich durchs Betteln hier so viel zusammensparen, dass sie sich in Rumänien den Rest des Jahres über Wasser halten könnten, weiß Bender. „Viele suchen verzweifelt Arbeit, nehmen alles an. Und kommen so in Arbeitsverhältnissen mit extrem geringen Löhnen ohne Vertrag, Krankenversicherung oder Kündigungsschutz bei Arbeitsunfällen.“

Am Neumarkt hockt sie sich neben einen jungen Mann, der höchstens Mitte 20 ist. Er hält eine Pappe fest. Auf der steht „Bitte Hilfe ich bin obdachlos“. Er erzählt, dass er vor Beginn seiner Arbeit seine Ausweispapiere bei dem Chef abgeben musste. Er hat sie nicht zurückbekommen, als er gekündigt wurde.

Jetzt weiß er nicht mehr weiter, kann sich auch nicht für eine andere Arbeit bewerben. In der Notschlafstelle war er schon und ist wieder gegangen. Er hat Angst, sich anzustecken, auch, weil er keine Krankenversicherung hat. Er wird noch betteln, bis die Geschäfte schließen und die letzten Menschen mit ihren bunten Tüten im U-Bahnschacht verschwinden. Dann geht er zu seinem Schlafplatz unter einer Brücke. Auch heute, in einer bitterkalten Nacht.


Hinweis auf Menschen in Not und Hilfe durch Spenden

78 Menschen haben in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in der Winterhilfeunterkunft der Stadt an der Ostmerheimer Straße übernachtet. Sie ist eigentlich für 72 Menschen ausgelegt. „Aber in einer so kalten Nacht schicken wir keinen Menschen weg, der zu uns kommt“, so die Sprecherin des SKM, der die Unterkunft betreut. 103 obdachlose Menschen aus Osteuropa haben in der Notunterkunft an der Vorgebirgstrasse Schutz gesucht; auch sie war damit stärker belegt als vorgesehen.

Warme gebrauchte Kleidung für Männer, gebrauchte Schlafsäcke oder neue lange Unterwäsche   wird dringend benötigt in der Notunterkunft im Haus Vorgebirgstrasse 22. Sie kann dort und um die Uhr abgegeben werden.

Am Winterhilfetelefon der Stadt können Passanten und um die Uhr auf Menschen in Not hinweisen. Es ist unter der Rufnummer 0221 5609 7310 erreichbar. Bei Nofällen werden die Bürger und Bürgerinnen gebeten, unter Ruf 112 direkt den Rettungsdienst zu informieren.

Die Straßenwächter sind eine Ehrenamtsinitiative, die neben der täglichen Essensausgabe auch ein Café für wohnungslose Menschen im Haus Balduinstraße 18 betreibt. Hier gibt es kostenlose heiße Getränke, Hygieneartikel und Winterkleidung. Die Initiative ist auf Spenden angewiesen und freut sich auch über neue Ehrenamtliche. Infos dazu gibt es auf ihrer Internetseite.